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Aus der Gefellfchaft.

Novelle

Ida Gräfin Hahn⸗Hahn.

Berlin, 1838. Verlag von Dunker und Humblot.

Zur Sroßhberzogl:

Doberaner Bibliother

An den Verleger.

Sie fragten mich in Berlin, ob ich eine Vorrede ſchreiben wolle? ich ſagte Nein. Seitdem hab' ich eine Menge Bücher in Händen gehabt, wiſſenſchaft⸗ liche, belletriſtiſche, ja gar Gedichte Alle mit Vor: reden. Sie ſind wie Fächer, die zum vollſtändigen Anzug gehören. Wir können zwar ohne Fächer im Salon erſcheinen, aber dann, find wir nicht ele⸗ gant und das iſt doch gewiß eine große Schmach. Ich würde alſo gern eine Vorrede ſchreiben, wenn ich nur wüßte, was ich darin ſagen ſollte. Was ich zu ſagen hatte, ſteht im Buche ſelbſt. Haſche ich vorſchnell meine Idee heraus, und tiſch' ich fie dürr und trocken dem Leſer in der Vorrede auf, ſo iſt er im Stande damit genug zu haben und das Buch wegzuwerfen. Jetzt aber muß er friſch an's Leſen, und das wünſcht doch der Autor. Ich könnte auch

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vielleicht das Publikum fein demüthig um Nachſicht bitten für meinen erſten Proſa-Verſuch. Doch, wenn er gut iſt, fo muß es ſich ja freuen, daß ich ihm den- ſelben vorgelegt; und taugt er nichts, ſo verdien' ich keine Nachſicht, mögte ſie nicht, und würde ſie nicht finden, hätt' ich auch fußfällig darum gebeten. Et— was Ueberflüſſiges zu thun hab' ich aber immer ge haßt. Endlich könnte ich mich vielleicht mit den Le— ſern in anmuthige Unterhaltung verwickeln, erzählen wie und wo ich mein Büchlein, und weshalb ich es in Proſa geſchrieben, mich gegen die Muthmaßung verwahren, daß ich darin porträtirt kurz, Alles thun was der Autor thut, der die Blicke auf ſich ſelbſt ziehen will; aber ich mag nicht das Publikum in feinem neugierigen Heißhunger nach Perſönlich— keiten beſtärken! Und darum wird mein Buch ohne Vorrede bleiben, wenn nicht etwa dieſe Zei len als ſolche gelten können, was ich Ihrem Gut— dünken überlaſſe. Dresden, den 21. Februar 1838.

Ida Hahn⸗Hahn.

Aus der Geſellſchaft.

Erſtes Kapitel.

Ein bepackter Reiſewagen fuhr langſam und ſchwer— fällig zur letzten Höhe des Wormſer Jochs hinauf. Es war Ende Auguſt, vielleicht ein wunderſchöner Som— mertag in den Thälern von Tyrol und Graubündten, aber in dieſer Höhe, zwiſchen dieſen gewaltigen, ſchnee— bedeckten Bergen, hingen ſchwere trübe Nebel, und wehte ein ſcharfer Wind. Man ſage was man wolle! auf dem Hochgebirge iſt es im höchſten Grade unbe— haglich, und wenn man dafür in der Majeſtät des An— blicks Erſatz zu finden hofft, ſo wird man ſehr oft ge— täuſcht; denn es ſind nicht nur Nebel und Stürme in dieſen Regionen heimiſch und den An- und Aus— ſichten ſehr nachtheilig, ſondern es fehlen die Kon: traſte, es fehlt ein Maßſtab für die Majeſtät. Hier iſt Alles ſo hoch, ſo ſchroff, ſo gewaltig, ſo über den Wolken; hier fehlen ſo ganz liebliche Thäler, tiefe dämmernde Seen, belaubte Hügel und friedliche Dorf— ſchaften, daß das Auge nicht vergleichen kann, und mehr mit Staunen als mit Bewunderung, mehr mit Grauſen als mit Entzücken, dieſe in Granit ausge— prägte Natur betrachtet. N 1 *

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Gelangweilt durch die Langſamkeit der Fahrt, hatte die Gräfin Schönholm den Wagen verlaſſen und ging raſch voran; neben ihr der junge Polydor. Ein eiſiger Nordwind wehte ihnen gerade entgegen, und wühlte in Schleier und Shawl der Gräfin. Sie preßte ihr Taſchentuch vor den Mund und bog die ſchlanke Ge— ſtalt vornüber, ohne jedoch ihren Schritt zu mäßigen.

„Aber Sie erkälten ſich gewiß,“ ſagte Polydor. Sie ſchüttelte den Kopf.

„Es iſt doch nur Eigenſinn das Wormſer Joch

erklettern zu wollen.“ Sie nickte.

„Und wie kann es Ihnen Spaß machen bei ſo unbedeutenden Dingen Eigenſinn zu haben?“

Weil ich bei großen keinen habe! Uebrigens iſt es unmöglich hier eine Converſation zu Wach

Sie gingen ſchweigend weiter.

Die Gräfin Schönholm kehrte nach zweijährigem Aufenthalt in Italien nach Deutſchland zurück. Sie war unabhängig, jung und reich, liebte weder das Clima noch das Leben des Nordens, wäre weit lieber jenſeit der Alpen geblieben; aber ſo wenig frei iſt man trotz ſeiner Unabhängigkeit, daß man ſich vom irdiſchen Beſitz feſſeln, lenken und beſtimmen läßt! Sie kehrte auf ihre großen glänzenden Herrſchaften zurück, wo ihre Anweſenheit zwar nicht nothwendig, aber doch wün— ſchenswerth war.

Polydor war ein junger Bildhauer gebürtig aus Welſchtyrol, den ſie in Rom hatte kennen lernen, und

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von dort mitgenommen, weil er nach Wien zu gehen wünſchte,

Auf dem Culminationspunkt ſtand endlich die Grä— fin ſtill, kehrte ſich nach Süden und ſagte: „Wenn ich binnen Jahresfriſt nicht todt bin, fo ziehe ich wieder dort hinab.“

„Und ich mit Ihnen, rief Polydor, denn ich glaube nicht, daß ich's länger in Deutſchland aushalte.“

„Ich gewiß nicht! nur in Italien kann ich glück— lich ſein; aber da bin ich es auch ganz, und deshalb thut es mir unſäglich leid es zu verlaſſen. Wer weiß was in der Heimat meiner harrt!“

„Was überall Ihrer harrt: Freude und Liebe. Denn wenn Sie auch ein wenig eigenſinnig ſind, ſo bleiben Sie doch ewig ein anbetungswerther Engel.“

„Mein guter Polydor, daß Sie ſo denken iſt natürlich; allein daß Andere nicht ſo denken iſt eben— falls natürlich.“

Der Wagen hatte ſie erreicht; ſie fügen ein; es ging bergab. Da kam ihnen eine andre bepackte und dicht verſchloſſene Kutſche entgegen. Als die Wagen an einander vorüberfuhren, blickte die Gräfin aus dem Fenſter.

„Mein Gott,“ rief ſie, „das iſt ſeltſam! an je— nem Wagen war ein Alliancewappen, und eins derſel— ben war das meinige. Mein Wappen aber führt nie— mand als mein Vetter Askanio, und der kann es nicht geweſen ſein, der weiß ja, daß ich zu ihm komme. Er

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würde mir gewiß gefchrieben haben, wenn er eine Reiſe nach Italien für dieſen Herbſt beabſichtigt hätte.“

„Der Wagen iſt noch nicht fern,“ ſagte Polydor; „befehlen Sie, ſo hält der Poſtillon, und Sie ſchicken Ihren Kammerdiener um ſich nach dem Namen jener Wappenräuber zu erkundigen.“

„Sie haben Recht, es iſt kindiſch! Engländer können es ja geweſen ſein, oder weiß Gott wer. Heut' zu Tage reiſt ja alle Welt, und alle Welt hat auch ſein Wappen. Wenn Sie erſt der Baron von Poly— doro ſein werden; bekommen Sie auch eins. Bis da— hin ſiegeln Sie aber Ihre Briefe mit einem Pettſchaft, das ich für Sie machen laſſen werde. Eine himmel— anſteigende Rackete ſoll darauf geſtochen werden, mit dem Motto: da Pardore Tardire. Sie ſehen, was ich für Hoffnungen für Sie hege. By the by wüßte ich doch gern wer die Leute in jenem Wagen geweſen.“ „Vielleicht erfahren Sie es auf der nächſten Poſt.“ 6

„Ach, es iſt ein beklemmendes Gefühl nach jahre— langer Abweſenheit in den Kreis alter Bekannter heim— zukehren. Wie viel kann ſich verändert haben, was kann Alles geſchehen ſein, wovon wir keine Ahnung haben. Briefe gehen verloren, und Manches, oft das Wichtigſte, mögen wir keinem Briefe anvertrauen. So tritt man oft als ein Fremdling in den Kreis ſeiner Freunde.“

„Darum ſollte man ihn vielleicht nie verlaſſen.“

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„Ja, wenn es möglich wäre, nie das geliebte Dach des Vaterhauſes zu verlaſſen! Doch iſt das ein— mal geſchehen, ſo iſt damit auch ſchon der erſte Schritt in die Fremde gethan und die Scheu vor ihr über— wunden. Dann zieht ſie uns an, lockend und magiſch, und bleibt es ſo lange bis wir uns mit ihr vertraut gemacht haben. Sind wir heimatlich in ihr einge— bürgert, oder vollends bequem eingeniſtet, ſo hat ſie ihren Reiz verloren, und ſieht uns mit ſolchem Alltags— geſicht von Langweiligkeit an, daß wir über Meere ſchiffen und über Berge klettern müſſen um wieder die Fremde zu ſuchen.“

„Aber wie drückend iſt dies Umhertreiben in dem begrenzten Kreiſe, für die unbegrenzte Sehnſucht! Und wenn wir über die ganze Erde dahingewandelt ſind, fo iſt dieſe Sehnſucht nicht befriedigt, höchſtens ermat— tet, und wir haben nichts weiter geſehen, als Sonne, Mond und Sterne, auf zwei- und vierbeinige Ge— ſchöpfe herabſcheinend, was wir ganz genau auch ſehen, wenn wir in unſerm heimatlichen Dörfchen bleiben.“

„Und warum ſind Sie nicht in dem Ihren ge— blieben?“ 5 „O, ich! ich bin Künſtler! ich muß in den ewig wechſelnden Formen die Offenbarung der Schönheit ſuchen und finden lernen.“

„Sehen Sie wol! weder Sie noch irgend Einer mag ſich mit dem heimatlichen Dörfchen begnügen. Der Gelehrte ſagt: ich muß meine Wiſſenſchaft berei-

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chern; der Staatsmann: ich muß mich erholen von dürren Geſchäften; der Diplomat: ich muß fremde Höfe und Kabinette in der Nähe obſerviren; der Sol— at: ich möchte gern wiſſen ob die Peſcherähs auch eine Idee von Fortification und Taktik haben; und jeder Mann: ich muß die Welt ſehen. Die Frauen, die ſich emancipiren ſo gut ſie können, wollen auch die Welt ſehen, nicht um Taktik, Kabinette, Bibliothe— ken und Muſeen zu ſtudieren, ſondern um ſich zu amü— ſiren und ein Grund iſt ſo gut wie der andere.“

„Und warum wollen Sie die ganze Welt ſehen?“

„Die Griechen nannten den einen Unglückſeligen, der den olympiſchen Jupiter nicht geſehen. Ich bin ungefähr ihrer Meinung, und mag nicht zu den Un— ſeligen gehören, die nie das Schneegebirge im Abend— roth und das Kolifeum im Mondlicht erblickt haben, nie den St. Stephan, und Madonnen von Rafael und Bettelbuben von Murillo.“

„Und nie Thorwaldſen und andere Unſterblche der Mitwelt.“

„Nun, Thorwaldſen gewiß ausgenommen, dieſen liebenswürdigſten und wohlwollendſten aller Menſchen im Allgemeinen ſollte man nicht die perſönliche Bekanntſchaft ſolcher Männer ſuchen, wenn man nicht zu ihrem Fach gehört und etwa von ihnen zu lernen wünſcht. An der Statue, an dem Gedicht, iſt Alles ſo harmoniſch, ſo edel, ſo kräftig, daß ſie uns durch und durch heben und erquicken; der Bildhauer und

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der Dichter hingegen können fo viel Schroffheiten, Lau⸗ nen und Schwächen im Character, oder doch wenig⸗ ſtens in der augenblicklichen Stimmung haben, daß wir uns nicht von ihnen angeſprochen, ja oft verletzt fühlen. Dann ſchreien wir, als ob uns groß Unrecht geſchähe! iſt aber Logik darin, zu folgern: weil jene Menſchen vortrefflich in ihrem Atelier und an ihrem Schreibtiſch ſind, müſſen ſie auch liebenswürdig in un⸗ ſern Salons ſein?“ b l

„Die Freundſchaft eines ſolchen Menſchen iſt mehr werth, als alle Berge und Tempel und Bilder der Erde bewundert zu haben.“

„Das will ich meinen! aber an ihnen vorüber: ſtreifen und drei Worte mit ihnen wechſeln, iſt nicht ihre Freundſchaft gewinnen! Ja, über das Glück ein Jünger Platos oder ein Schüler Rafaels geweſen zu fein, geht doch nichts . 4

„Als das Glück Plato und Rafael ſelbſt geweſen zu ſein.“

„Kaum! bewundern iſt ſeliger, als bewundert wer⸗ den. Sie aber als Künſtler dürfen nicht ſo denken. Ueberdies mag es wol himmliſche Befriedigung geben von einer Welt bewundert zu werden. Man muß das erfahren haben um darüber urtheilen zu können und jetzt macht niemand mehr, glaub' ich, dieſe angenehme Erfahrung. Die Welt iſt zu groß, zu getheilt, zu zer⸗ riſſen. Wo eine Größe auftaucht, wird fie gleich ge packt, und gleichſam als Feldherr eines Armeecorps in

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den großen Krieg der Parteien geſchickt, folglich von den Gegnern gehaßt, und mörderiſch verfolgt. Da hatten wiederum die Alten es beſſer. Griechenland war ihre Welt. Der olympiſche Jupiter und die Oreſtea wurden von der Welt bewundert. Was küm— merte man ſich um die Barbaren rechts und links.“

„Für uns aber giebt es keine Barbaren mehr, und da iſt es wol etwas drückend in Europa eine Sommi- tät, und in Afrika unbekannt zu ſein! wie ungeheuer ehrgeizig Sie ſind! ich würde mich vor der Hand mit der Bewunderung Europa's zufrieden ſtellen.“

„Ich mit gar keiner! Aber ich freue mich herzlich den Askanio wieder zu ſehen und meine lieb— liche Ondine und die beiden herzigen Knaben. Was wollen Sie denn eigentlich in Wien, Polydor? kom— men Sie mit mir nach Schloß Ohlau, und ſehen Sie dort tüchtige, ſchöne und glückliche Menſchen.“

„Nein, es geht nicht! ich muß verſuchen mir eine ſelbſtändige Exiſtenz zu gründen. Und dann ver— wöhne ich mich auf der einen Seite bei Ihnen, in— deſſen ich mich auf der andern doch etwas beſchränkt durch Sie fühle. Sie ſind zu eminent um nicht den Menſchen, die viel mit Ihnen leben, eine Richtung zu geben, und ich bin noch zu jung und unerfahren, um zu wiſſen, ob dieſe Richtung auch die meinige iſt.“

„Keine Mutter kann die Erziehung ihres Soh— nes vollenden und muß ihn ziehen laſſen wie ſollt' ich Sie bei mir behalten können! Nur ängſtigt es

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mich, daß Sie nach Wien gerade gehen, wo man nur vermittelſt einer coloffalen Reputation, oder einer eben ſo mächtigen Protection ſeinen Weg macht. Nur hätte ich Ihnen die Freude gegönnt, einmal recht nahe an das Bild des Glücks heranzutreten. Mich hat es im— mer in tiefſter Seele erquickt. Mein Vetter iſt ein durch und durch tüchtiger Menſch, vom Scheitel zur Sohle nicht blos Edelmann, ſondern von Adel, tadel— los in jedem Verhältniß, glücklicher Gatte und Vater mein Stolz und meine Freude.“

„Sie lieben ſehr den Grafen Ohlau.“

„Wie meinen Vetter und Freund, d. h. wir ſind uns gegenſeitig von Herzen gut und zählen in Noth und Trübſal auf einander. Uebrigens aber bin ich ihm etwas zu genial, wie er es artiger Weiſe nennt; denn ich glaube es ſoll heißen excentriſch. Wir ſind oft in kleine Fehden verwickelt, allein die ſtören uns nicht. Mir iſt doch ſtets bei ihm zu Muth, als ob ich die Zweige einer Eiche über mir rauſchen hörte, und er betrachtet mich mit verwunderten, freundlichen Augen, wie irgend ein buntes, ſtachlichtes Tropenge— wächs in ſeinem Garten. Und ſeine Frau! o dies holdſelige Weſen würde Sie entzücken. Ich begreife nicht, wie irgend ein Mann ſie erblicken und nicht von ihr hingeriſſen ſein kann. Zum Glück lebt Askanio immer auf ſeinem Schloß; dieſe dunkeln, zauberhaften Augen würden viel Unheil in der Männerwelt ſtiften.“

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„Meinen Sie, daß men fih auf dem Lande nicht in eine ſchöne Frau verlieben könne?“

„O ja, aber man ſieht ſich nicht ſo viel; in der Stadt hingegen täglich, wenn man will. Uebrigens iſt mein Vetter dieſen Winter hindurch mit ſeiner gan— zen Familie in der Reſidenz geweſen. Wie es ihnen gefallen hat, weiß ich nicht. Ondine hat mir nur ein— mal geſchrieben, wir correſpondiren nicht eifrig.“

„Aber mir werden Sie oft und viel ſchreiben, nicht wahr?“

„Wie's kommt! vorher verſprechen kann ich nichts, weil ich nicht weiß ob ich's halten kann.“

„Sie müſſen doch wiſſen was Sie thun werden?“

„Nein; denn ich weiß nicht was mir begegnen wird.“ a „Alſo wär' es möglich, daß Sie mich über einen andern Gegenſtand oder eine neue Idee total vergäßen?“

„Nein; aber in den Hintergrund können Sie al— lerdings geſtellt werden.“

„Frau Gräfin, Sie ſind von einer deſolanten Aufrichtigkeit.“

„Wenn Sie wahr ſein wollen, ſo fühlen Sie ganz daſſelbe.“

„Möglich; aber ich ſag' es Ihnen nicht.“

„Ich aber ſag' es Ihnen abſichtlich, damit Sie Sich nicht etwa jugendlich einbildeten, Sie wären mir lieber, als Sie es wirklich find." |

„Gräfin, warum ſagen Sie mir ſo harte Dinge?“

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„Weil Sie ein Mann ſind, mein armer, guter Polydor, folglich ein wenig eitel und ſelbſtvertrauend. In jedem Verhältniß zwiſchen Frauen und Männern halte ich es für das Beſte, wenn beide Theile ſo ge— nau und klar wie möglich wiſſen, was ſie einander ſind. Sonſt kommen leicht Mißverhältniſſe und Mißſtim— mungen, die ſehr weh thun können.“

„Ich bewundere eine neue Vollkommenheit an Ihnen: die Verſtändigkeit.“

„Ja, mein Lieber, für Andere bin ich die Ver— ſtändigkeit und Vernunft ſelbſt“ ſagte die Gräfin lachend, und gab freundlich ihrem Gefährten die Hand. Er ſchüttelte ſie zwar, doch mit einem kühlen Lächeln. Er hatte nie an die Möglichkeit eines Herzensverhält— niſſes zur Gräfin gedacht, er wußte, daß ihre Liebe einem andern Gegenſtande geweiht war; allein daß irgend etwas Neues ihn in den Schatten rücken könne, oder eigentlich, daß fie es ihm unverholen erklärte war ihm verletzend, für ſein Gefühl: ſo meinte er für ſeine Eitelkeit: ſo meinen wir. ;

Sie kamen in Landeck an, ermüdet, erfroren, ver: düſtert vom langen Nebel-Reiſetag. Auch der Gaſt— hof war unbehaglich, ſchmutzig, mit wüſten, großen Zimmern. Der Wind ſauſte und der Nebel löſte ſich in ſchwere Regentropfen auf, die klirrend an die Fen— ſterſcheiben ſchlugen. Die Gräfin nickte Polydor eine gute Nacht zu, ging in das ihr angewieſene Zimmer, wickelte ſich feſt in ihr großes Shawl, ſetzte ſich auf

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den erſten beiten dürren, lederbeſchlagenen Stuhl, und lehnte den Kopf zurück an die weiße Kalkwand.

Es war ein ſeltſamer Kopf, gar nicht ſchön, doch ſehr anziehend, der Schnitt einer Madonna und der Ausdruck einer Sibylle; fatiguirte Züge, die auf mehr als ſieben und zwanzig Jahr ſchließen machten, und ein durchſichtiges, wechſelndes Colorit, das den Hauch erſter Jugend über ſie zauberte; Augen, wechſelnd im Ausdruck wie die eines Kindes, und verſchieden im Glanz ſchillernd wie das Meer, wenn Wolken am Mit— tag darüber hinlaufen; aber zwiſchen den Augen, und im Aufſchlag der langbewimperten Augenlieder, ein Zug von unausſprechlicher Schwermuth. Lauter Kon: traſte und doch Harmonie, wie in den großen Bildern, welche die Natur vor uns aufrollt. Das war der Kopf von Ilda Schönholm; das war die analoge Form, welche ihre Seele nicht verhüllte, ſondern leicht umfloß.

Ein alter Kammerdiener, der ſeit zehn Jahren daran gewöhnt war auf allerlei Weiſe für ſie zu ſor— gen, war geräuſchlos ab und zu gegangen, hatte eine Decke auf den Tiſch gebreitet, Wachslicht angezündet, das Theegeſchirr nicht blos hingeſtellt, ſondern auch den Thee eingeſchüttet und das Waſſer darauf gegoſ— ſen. Nun legte er ein Polſter auf einen der unbe— quemen Stühle, rückte ihn an den Tiſch, legte einen zierlich geſtickten Fußſack unter denſelben und ein gro: ßes Portefeuille von Maroquin mit Stahlbeſchlag

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rechts, eine ſilberne Handſchelle links vom Sitz auf ihn, überzeugte ſich mit einem Blick, daß Alles zweck— mäßig geordnet ſei, und fragte mit einer Verbeugung:

„Gnädige Grafin haben weiter nichts zu befehlen?“

„Ich danke,“ ſagte ſie mit maſchinenmäßiger Ge— wohnheit.

„Gnädige Gräfin befehlen morgen keine Pferde?“

„Ja wol! um acht Uhr früh nach Inſpruck. Und dann erkundigen Sie Sich doch, was für Reiſende die letzte Nacht hier zugebracht haben, und bringen Sie mir ſogleich die Antwort.“

Sie ſetzte ſich an den Theetiſch. Albrecht ging und brachte nach wenigſtens zehn Minuten erſt Antwort:

„Bitte unterthänigſt um Verzeihung; aber es hält ſchwer ſich mit dieſen Leuten zu verſtändigen, denn ſie ſprechen kein gutes Deutſch und gar nicht fran— zöſiſch; daher hat es ſo lange gewährt.““

„Nun, wer war hier?“

„Eine vornehme Herrſchaft mit zwei Kindern.“

„Wie hieß ſie? wohin reiſte ſie?“ rief lebhaft die Gräfin.

„Den Namen wußte die Wirthin nicht; aber die Reiſe ging aus Italien an den Bodenſee.“

„Ah ſo!“ ſagte ſie erleichtert; „und weiter?“

„Vier junge Studenten aus Baiern; und ganz

ſpät iſt noch gekommen eine Dame in tiefer Trauer mit mehreren Domeſtiken in tiefer Trauer ...“

„Es iſt gut. Ich danke Ihnen.“

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„Wünſche unterthänigſt wol zu ruhen.“

Albrecht ging leiſen Trittes. Die Gräfin legte den Kopf in ihre aufgeſtützte Hand, und ſah ſtill in die ruhige Flamme des Lichts. Nichts regte ſich, es herrſchte eine Todtenſtille im Zimmer.

„Aber es iſt unheimlich hier,“ ſagte ſie plötzlich laut, wie es mitunter ihre Mareßuheze war „ich will an Askanio ſchreiben.“

Da fuhr plötzlich ein heftiger Windſtoß an das Fen⸗ ſter, riß einen ſchlecht verwahrten Flügel auf, pfiff ſchnei— dend durch das Zimmer und löſchte eins der Lichter aus.

Ilda ſtand ruhig auf, ſchloß das Fenſter, zündete, die Kerze wieder an und ſchrieb an Graf Ohlau:

Lieber Askan!

„Im Junius hab' ich vom Comerſee Ondinen ge— „ſchrieben, mich für die erſten Septembertage bei „Euch angemeldet und keine Antwort erhalten. Dar— „aus ſchloß ich, daß ich Euch willkommen ſein würde;

„denn wenn ich es nicht wäre, müßtet Ihr es mir N „freilich ſagen. Jetzt ſage ich Dir genau den Tag „meiner Ankunft, damit Ihr Alle hübſch zu Hauſe „ſeid, und ich auf einmal Eure lieben Geſichter ſehe. „Es wird der vierte September ſein; denn da ich „Inſpruck, München, und alle bedeutende Städte „kenne, die ich auf meiner Heimreiſe berühre, fo „werd' ich mich nirgends lange aufhalten, z. B. in „München nur: um die Pinakothek kennen zu lernen und

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„und mit meinem geliebten Adonis von Thorwaldſen „ein Liebeswörtchen zu plaudern; in Nürnberg: um „Lebkuchen für Deine Kinder zu kaufen und um „mich zu erquicken an dieſer in Stein ausgehauenen „Blüte der deutſchen Städtezeit. Das iſt das An— „genehme beim vielen Reiſen: man ſieht nicht, was „der Guide und der Lohnlakey uns empfehlen, ſon— „dern das, was uns anſpricht.“

„Ich habe viel Euch zu erzählen und zu zeigen, „und ich hoffe auch viel zu hören. Sollte Ondine „mir zürnen, daß ich ihren Brief vom November „erſt im Junius beantwortet habe? Nun, das wird „ſich Alles bald ausgleichen. Bis dahin küſſe ich „ſie und die Knaben, und drücke Deine gute, feſte „Hand. Wenn ich Euch nicht hätte, wie viel ginge „mir verloren! Ade, lieber Menſch! Ich ſchreibe „Dir vom Unwetter umtobt, im wüſten Zimmer eines „unſaubern Tyroler Gaſthofes, nachdem ich heute ſchon „dem Himmel ſehr viel näher geweſen bin, als Du, „nämlich 8000 Fuß über dem mitteländiſchen Meer auf „dem wormſer Joch, dieſem koloſſalſten aller Alpen— „päſſe. Dentſchland hat mich ſogleich mit dem un— „freundlichſten feiner Abgeſandten, dem Nordwind, „empfangen, der eben, wie der Arm eines böſen „Geiſtes mein Fenſter aufriß. Ich finde, Deutſchland „könnte graziöſer ſein für eine ſeiner „berühmten „Frauen,“ um ſo mehr, da ich es im Lauf des Winters „mit einem ſehr intereſſanten Album erfreuen werde—

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„Aber kann ich denn nie aufhören mit Dir zu „plaudern? ich nehme den Brief bis Inſpruck mit, „dann macht er ſeinen Weg allein, wie meine opera „omnia, und ich komme bald ihm nach.

Ilda.

Zweites Kapitel.

Der ſchönſte Sommermorgen weckte die Reiſen— den. Nicht mehr dicke graue Wolken, ſondern leichte ſilberne Nebel hingen um die Berge, welche Landeck und das Innthal einfaſſen. Sie flatterten in der Mor— genluft hin und her, kokett wie ein Schleier um ein ſchönes Antlitz, und zertheilten ſich endlich ganz, als die Sonne hoch genug geſtiegen war, um ſie mit ih— ren ſtrahlenden Geſchoſſen in die Höhlen der Nacht zurückzuſcheuchen.

Polydor hatte ſeine Empfindlichkeit verſchlafen und die Gräfin jene trübe Stimmung, welche unfreundli— ches Wetter ſtets in ihr erzeugte. Sie ließ den Wa— gen zurückſchlagen und fuhr fröhlich in der grünen Landſchaft dahin. g

O, es iſt ſehr lieblich am ſchönen Sommermor— gen durch eine anmuthige Gegend raſch zu fliegen wie ein Vogel, der auch nichts von der Welt will,

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als über ihr ſchweben. Das Fahren iſt wirklich die höchſte Annehmlichkeit des Reiſens. Das Gaſthofle— ben iſt unruhig; das Durchſtreichen der Städte iſt er— müdend; das Bewundern der Kunſtſchätze und Merk— würdigkeiten iſt eine Sache, von der man ſich gern durch einen Tag Holzſägen oder Waſſertragen loskau— fen würde. Aber ſich unbeweglich in den Wagen zu— rückzulehnen, indeſſen er leicht und bequem auf einer guten Chauſſee rollt; vor den Augen bunte Bilder zu haben, die wechſelnd, wie Träume, nie lang genug hän— gen bleiben um uns zu langweilen; durch den Sinn Gedanken fliegen zu laſſen, die ſich bald an jene Bil— der knüpfen, bald durch die wunderlichſten Ideenver— bindungen erzeugt werden; von keiner irdiſchen Be— dürftigkeit gebunden zu ſein, weil man weiß daß man überall einen gedeckten Tiſch findet, und ſollte man einmal kein Bett finden recht gern à la belle étoile, vom Wagen, wie von einer Wiege geſchaukelt, ſchläft; immer das Rollen der Räder zu hören, das, gleich dem Rauſchen eines Bachs, und dem Klappern einer Mühle, und dem Plätſchern des Ruderſchlags, durch feine Einförmigkeit ein beruhigendes Accompag— nement für die in's Unendliche ſchweifenden Gedanken wird; das iſt eine Wonne, an die, wie der Liebende an die Liebe, nur der ächte Reiſende glaubt. Und außer ächten Liebenden iſt gewiß nichts ſeltener auf der Welt zu finden, als ächte Reiſende. Denn wer da reiſt aus Neugier, oder aus Langerweile, oder der

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Geſundheit und Mode wegen, oder um Bücher dar: über zu ſchreiben der gehört nicht zu ihnen und weiß nichts von jenem ſeligen Quietismus. |

Ehe man Inſpruck erreicht, fährt man an der Martinswand vorüber. Ilda wies hinauf und ſagte:

„Sehen Sie, da oben hat gewiß der gute Kai— ſer Max, den die Hiſtoriker ſo verachten und den die Dichter ſo lieben, betend geſtanden und ſeine Seele dem Herrn empfohlen. Und drüben, jenſeit des Inn, verſammelte ſich das geängſtigte, theilnehmende Volk, ſchrie und zeigte empor, und wußte tauſend unaus— führbare Rathſchläge zu geben. Und als der Kaiſer an jeder Hülfe verzagt und auf den Tod gefaßt war, und als der Prieſter unter ihm die Monſtranz hoch empor hielt, und alle Glocken dazu läuteten, und alles Volk ſich auf's Angeſicht warf, und er ſelbſt ſein Knie vor dem Allerheiligſten beugte da kam der Engel und rettete ihn auf unbekannten Wegen vom gräßli— chen Hungertode. Lieber Polydor, das iſt doch eine wunderhübſche Geſchichte!“

„Ich bekenne Ihnen, daß ich ſie eben ſo hübſch finde, wenn der Hirt, Jäger, Bergmann, oder wer ſonſt der fremde Retter geweſen, darin figurirt ſtatt des Engels. Ja, ſie gewinnt durch die menſchliche Ein— wirkung des Unbekannten, durch den Gedanken an die Gefahren, denen er ſich dabei ausgeſetzt haben mag, durch ſein ſpurloſes Verſchwinden, welches jeden Dank ablehnt, vielleicht ein höheres Intereſſe.“

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„Gewiß! aber mich freut am meiſten, daß man damals in dem Retter ſogleich den Engel erkannte, den Boten einer höhern Macht, deren Reich beginnt, wo der Menſchenwitz das ſeine verliert. Ein Engel war jener Hirt oder Jägersmann für Kaiſer Max und ſein treues Volk, und in dem Bilde iſt die ſterbliche Erſcheinung ganz untergegangen. Dieſer Boden iſt überhaupt intereſſant für die Habsburger. Jenſeit In— ſpruck liegt Schloß Ambras auf einer Höhe, jetzt eine Kaſerne, einſt der Ort, wo der Erzherzog Ferdinand in langer glücklicher Ehe mit der ſchönen Philippine Welſer, der Kaufmannstochter aus Augsburg, lebte. Sie war ſo weiß, daß man, wenn ſie trank, den ro— then Wein in ihren ſchlanken Hals herabgleiten ſah.“

„Solche ätheriſche Geſtalten findet man nur dies— ſeit der Alpen; aber der Maler kann ſich mehr an ihnen freuen, als der Bildhauer. Dieſe Zartheit läßt keine prächtige Entwickelung der Formen zu.“

„Das ſieht man recht an den altdeutſchen Ge— mälden, ehe die Meiſter in Berührung mit italieni— ſcher Kunſt gekommen waren. Die Formen ſind von ängſtlicher Dürftigkeit. Aber wiſſen Sie, ich kann mir noch gar nicht vorſtellen, daß Sie übermorgen nach Oſten fahren wollen, während ich nach Norden fahre. München würde ſo merkwürdig für Sie ſein, und ich würde ſo gern ſehen, welchen Eindruck die reichſte Kunſtſtadt Deutſchlands auf Sie macht! Ob gar überhaupt einen auf Ihr verwöhntes Auge.!“

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„München muß mir bleiben als Troſt, als Hoff— nung und Erquickung, wenn es in Wien mir nicht nach Wunſch geht. Und die e von Shucn iſt mir ja doch gewiß.“

Sie fuhren mit dem Abendläuten in Juſpruck ein, das wunderlieblich zwiſchen Maisfeldern und eini— gen tauſend Fuß hohen Bergen liegt.

Sie verplauderten den Abend, ſprachen Manches von der Vergangenheit und viel von der Zukunft, formten unzählige Pläne zu künftigen Reiſen und Ar— beiten, ordneten und ſonderten allerlei Papiere, Bücher und Geräthſchaften, die bei längerem Zuſammenſein und auf der Reiſe unter einander gemengt waren; und als das Alles abgethan war, kniete Polydor vor der Gräfin nieder und ſagte:

„Nun ſegnen Sie mich, denn ich fahre gleich fort, die Poſt geht.“

Sie ſah ihn wehmüthig lächelnd an, lagte die Hand auf ſeine Stirn, und ſagte:

„Gott behüte Sie, und wende, wenn auch nicht den Schmerz, doch Unglück und Schuld gnädig von Ihrem Haupt. Ich bleibe unter allen Umſtänden Ihre Freundin, die immer ein Aſyl für Sie haben wird.“

Er küßte demüthig ihre Hand, ſtand auf und ſprach mit feuchten, verklärten Augen:“

„Sie ſind wie eine Gottheit in mein dunkles Daſein getreten. Seit ich Sie kenne, iſt mir das Le— ben eine Luſt, ſeit ich mit Ihnen zuſammen geweſen

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bin, eine Wonne geweſen. Das iſt das Himmliſchſte was ein Menſch dem Andern geben kann, und das haben Sie mir gegeben. Wenn die Welt Sie verwun— det, wenn die Freunde Sie kränken, wenn das Liebſte Sie betrübt ſo denken Sie an Ihren armen Po— lydor, der Sie ſegnet, und das wird Ihnen ein Bal— ſamtropfen ſein.“

Er drückte nochmals ihre Hand an ſeine ginge feine. Stirn, und verſchwand.

Ilda war nun allein, und fühlte ſich ſehr einfanı. Sie hatte Polydor lieb wie ihren Schützling, ihr Pfle— gekind, und die Künſtlerſeelen Beider hätten ſich zu— ſammen gefunden auch ohne jene Beziehungen.

Polydor war der Sohn armer Landleute bei Botzen. Von früheſter Jugend an mußte er viel ar— beiten, in den Weinbergen, auf den Feldern, im Hauſe, und dann, ſtatt auszuruhen, eine Schaar jüngerer Ge— ſchwiſter warten. Aber er that Alles willig, wenn er nur an Sonn- und Feſttagen aus Lehm allerlei Thiere kneten durfte, oder Soldaten mit Gewehr, und hübſche Mädchen mit Blumenſtrauß und Gebetbuch, in weißer Kreide an braune Thüren und Schränke und Wände zeichnen durfte.

Nicht blos ſeine Geſchwiſter und Spürlkamefaden, 9 1 55 auch die Nachbarn bewunderten ſeine Kunſt— fertigkeit.

Eines Tages hatte ſeine Schweſter Walpurge von ihrer Frau Pathe allerlei Herrlichkeiten und darunter

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auch einen Bogen buntfarbenen Papiers bekommen. Das Band wurde an den Hut geſteckt, die Nadeln ſollten beim Nähen gebraucht werden, und ging eine verloren oder zerbrach ſie, ſo durfte keine neue von der Mutter erbeten werden, die nie eine gab, ohne über die Flüchtigkeit der Walpurge zu ſchmälen. Aber was konnte man mit dem ſchönen, glänzenden, himmelblauen Papier machen?

„Das will ich Dir zeigen“ ſagte Polydor, nahm ein ſauber zugeſpitztes Stück weißer Kreide, und zeichnete darauf die Walpurge wie ſie die Hühner füttert. Die Aehnlichkeit war ſprechend, die Stellung leicht und natürlich. Walpurge lief triumphirend bei ihren kleinen Freundinnen umher, und ließ ihr Bild bewundern, was ihr ungefähr ſo vorkam, als ob ſie ſelbſt bewundert werde.

Polydor ward ein zweiter van Dyk: alle kleine Mädchen wollten von ihm konterfeit ſein, und ver— ſchafften ſich dazu, oft mit größter Mühe, die uner— läßlichen Bogen bunten Papiers. Sein Künſtlerlohn war ihr Dank und ſeine Zufriedenheit, wenn Alles ſchrie:

„Das iſt die Thereſel mit ihrer ſchwarzen Gais!“ oder: „Das iſt Nannerl wie ſie zur Meſſe geht!“

Die Feld- und Hausarbeit ging inzwiſchen immer ihren tüchtigen, raſchen Gang, und wenn Polydor auch Zeit fand ſeine künſtleriſchen Uebungen zu machen, ſo hatte er doch gar keine um irgend etwas Anderes zu

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lernen. Bei ſechszehn Jahren war ihm nur eine Wiſ— ſenſchaft bekannt, die Grundwurzel aller übrigen: er konnte nothdürftig leſen.

Eines Feierabends ſaß er vor der Thür und ſchnitzte mit einem ſcharfen Meſſer aus Lindenholz ei— nen ſaubern Löffel, bei dem er ſich viel Mühe gab ihn mit Laubgewinden zu verzieren. Er ſollte die Mutter zum Namenstag erfreuen. Da kam des Nach— bars Tochter gegangen, ſchön Trautel, die Braut des reichen Joſeph. Sie trug ein Gefäß mit Waſſer auf dem Kopf und hielt es mit dem rechten Arm. Ihre volle, hohe Geſtalt entwickelte ſich prächtig in dieſer Stellung. Die Anſtrengung ermüdete ſie nicht, ſon— dern färbte nur ihre Wangen mit glänzendem Roth. Als Polydor ſie kommen ſah, ließ er die Hände ſin— ken und ſtarrte ſie an. Auf einmal blieb ſchön Trau— tel vor ihm ſtehen. Ob ſie glaubte, daß er ihr etwas zu ſagen habe, ob ſie geſchmeichelt durch ſeine unver— holene Bewunderung ihm Gelegenheit geben wollte ſie noch mehr zu bewundern kurz, ſie blieb ſtehen, wünſchte ihm freundlich guten Abend und fragte, als er unbeweglich ſitzen blieb:

„Aber was gaff'ft mich denn fo an?“

Nun kam auf einmal Leben in die verſteinerte

Geſtalt, er ſprang auf, ſchlug die Hände verwundert

zuſammen und rief: „Heilige Mutter Gottes, was iſt die Trautel

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ſchön!“ dann wurde er blutroth. Trautel aber ſprach 1 und ruhig:

Willſt Du mich morgen nach der Meſſe auf ein 90d Papier malen für meinen Schatz?“

„Ich will wol“ ſagte Polydor, und ſchön Trautel ging.

Dies war die erſte ſchlafloſe Nacht ſeines Lebens. Hauptſächlich beſchäftigte ihn der Gedanke wie er die Trautel malen ſolle ob ſo wie er ſie geſtern geſe— hen, oder auf ihre Lieblingskuh, die große Braune ge— ſtützt, oder andächtig mit Roſenkranz und Blumen: ſtrauß, oder gar als Engel mit einem Lilienzweig, wie er ein Bild in der Kirche geſehen. Die Vorſtellung würde ihm am Beſten gefallen haben, wenn Trautel nicht dazu ihre Augen hätte niederſchlagen müſſen und ihre Augen waren ſo ſchön! Ach, er hätte gern hundert verſchiedene Bilder von ihr gemacht.

Endlich, endlich kam die Stunde nach der Meſſe und er ging hin. Trautel eilte ihm entgegen und be— dingte ſich aus mit der großen Braunen zuſammen— geſtellt zu werden. Ihr Wunſch machte ſeinen Schwan— kungen ein Ende. Die Sitzung begann. So auf— merkſam war er nie geweſen; ſo viel Mühe hatte er ſich nie gegeben; ſo feſt und lange hatte er nie ein Mädchen angeſehen daher war ihm auch noch nie ein Bild ſo gelungen. -

„Nun iſt's fertig!“ rief er und warf die Kreide fort. Trautel ſprang herzu, ſah es an, brach in ein

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freudiges: „Ah!“ aus, hüpfte umher und klatſchte in die Hände, einmal über's andre rufend: „Wie wird der Sepperl ſich freuen.“

be als ihr Jubel fich gemäßigt hatte, ſprach ſie:

„Nun ſchönen Dank und gieb her.“ Sie ſtreckte die Hand aus. Aber Polydor hielt das Blatt feſt, ihre Hand dazu, und ſagte keck: „Du mußt mir einen Kuß geben, ſonſt behalt' ich's.“

„Da haſt Du den Kuß,“ ſagte Trautel, und drückte ihre friſchen Lippen guf ſeinen Mund, nun gieb.“

Alles Blut war ihm ins Geſicht geſtiegen und ſein Herz ſchlug heftig. Schön Trautel hatte das Bild, Polydor den Kuß.

Bald verbreitete es ſich unter den jungen Mäd⸗ chen, daß Polydor ſich für jedes Bild einen Kuß ge— ben laſſe, und die Anforderungen an ſeine Kunſt wur— den nicht dadurch vermindert. Die Bilder waren ſo hübſch und Polydor war auch ſo hübſch.

Indeſſen bat er ſich nur von ſchönen Mädchen ſeinen Lohn aus. Häßliche zeichnete er umſonſt, und weiß der Himmel wie es zuging! ſie waren nie mit dem Bilde zufrieden.

Der Vater fand, Polydor ſei alt genug ſich ſein Brod ſelbſt zu verdienen, und er verdingte ſich als Knecht bei einem Gaſtwirth einige Stunden ſüdwärts von Botzen auf der Straße von Trident. Alle Fuhr— leute, die aus Italien kamen, auch geringe Handels—

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leute kehrten dort ein, und Polydor hörte ihren Erzäh— lungen von Italien mit großen Augen und offenem Munde zu. Sein Talent fand auch hier Beifall. Wie oft ſagten ihm die Italiener, er müſſe in ihr Va— terland gehen und ſehen, was man dort für Bilder in Farben male und in Stein haue! Dann ſeufzte Polydor; und es war nicht der Wunſch allein dieſe geprieſenen Herrlichkeiten in Augenſchein zu nehmen, was ihm dieſen Seufzer auspreßte.

Der Gaſtwirth hatte ein einziges Kind, Apollonie, deren Lieblichkeit nicht wie Trautel ſeine Augen ſondern ſein ganzes Herz erfreute. Darum hatte er auch noch nie ſie ſo ſtarr, wie einſt jene angeſchaut. Aber er wußte darum doch genau, wie ſie ausſah, wie ſie die Augen ſo lieblich aufſchlug, wie ſie erröthete, wenn ein Fremder und freundlich lächelte, wenn ein Bekannter ſie anſprach. Er hatte nie ſie ange— ſprochen. Was hätte er ihr auch ſagen ſollen? allein gezeichnet hatte er fie wie oft ſchon! aber ganz heim— lich und es keinem gezeigt. Ein italieniſcher Tabulet— krämer hatte ihm ſchwarze Kreide und einige Bleiſtifte geſchenkt. Dieſe Schätze wurden für Apollonias Bild verwendet. Höchſtens brauchte er ſie, wenn er eine Zeichnung machen mußte, für die er gewiß war etwas Geld zu verdienen. Zu einer ſolchen Höhe war ſein Ruf ſchon geſtiegen, und er ſann wol darauf etwas Geld zu ſammeln, denn im Hintergrund ſeiner Seele

lag, wie hinter fernem Gebirg, Apollonia, oder Ita— lien vielleicht Beides.

Apollonia war nicht Braut und hieß nicht „die Schöne“ wie Trautel hieß; daher war ſie ſchüchtern und zaghaft dem Polydor gegenüber, der ſie mit ſei— nen feurigen ſchwarzen Augen immer nur verſtohlen anſah, denn das hatte ſie, trotz ihrer Schüchtern— heit doch bemerkt. Mit einiger Ueberwindung alſo trug ſie ihm eines Tages ihre Bitte vor: er möge doch ihre Schutzheilige für ſie malen; ſie wolle dann das Bild über ihrem Bett aufhängen und Morgens und Abends zu ihr beten. Er verſprach es freudig.

Nach einiger Zeit war Apollonia eines Abends im Weinberg, als Polydor hinaufſtieg und ihr ein blaues Papier reichte. Sie nahm es, und erkannte die heilige Apollonia, in ſchwarzer und weißer Kreide lebendig von dem blauen Hintergrund hervorgehoben, aber mit ihren eigenen Zügen. Sie ſchwieg vor Freude und Verlegenheit, und wendete beſchämt ihren Kopf von ihm ab. Ihr weiches Profil zeichnete ſich lieblich auf dem goldnen Abendhimmel, und der Wind wehte ihr Haar über die Stirn, daß ſie wie verſchleiert war. Da bog ſich Polydor raſch zu ihr und küßte ganz flüchtig ihre Wange, und in demſelben Augen— blick packte ein mächtiger Arm den ſeinen, und ſchleu— derte ihn fort, daß er die Weinbergſtiege hinabtau— melte. Apollonias Roſenwange aber, fo eben erſt ſcheu von den Lippen der Liebe berührt, empfand die Schwere

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der zürnenden, väterlichen Hand, und in Polydors Ohr tönte der Schrei, den Schmerz oder 3 dem ar⸗ men Kinde abpreßte.

Sein Entſchluß war gefaßt. Der Gedanke wie— der derjenigen vor Augen zu treten, die unſchuldiger Weiſe ſeinetwegen mißhandelt worden war, vertrieb ihn aus ihrer Nähe. In der Dämmerfrühe des näch— ſten Morgens wanderte er mit einem Bündelchen auf dem Rücken Italien zu. Da er gehört hatte, daß man einen Paß haben müſſe, um nicht als Landſtrei— cher verdächtig und eingeſteckt zu werden, ſo ließ er ſich in Trident einen Paß geben, für den er einige Gulden mehr zahlte, als nöthig war um läſtigen Fragen zu entgehen und fühlte ſich zum erſten i Mal in ſeinem Leben vollkommen frei und ſein eige— ner Herr. Der Geldbeutel war leer, aber die Bruſt voll Hoffnung und Muth. Bei achtzehn Jahren iſt das genug. Zehn Jahre ſpäter iſt der gefüllte Beu— tel nothwendig um Hoffnung und Muth friſch zu er— halten, und abermals zehn Jahre ſpäter hat man, trotz aller Geldſäcke der Welt, keinen Jugendmuth und keine Jugendhoffnungen mehr. g

Polydor wollte nach Rom. Wie weit das war, auf welchen Wegen man dahin gelange das wußt' er nicht. Immer nach Süden! hatte ſein Freund der Tabuletkrämer, ein geborner Römer geſagt, und ihm von der Rieſenſtatue des Kaiſer Marcus Aurel und den Roſſebändigern auf Monte Cavallo erzählt, als

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Polydor ihm ein liegendes und ein galoppirendes Pferd, beide in Thon geknetet, vorzeigte.

So ging er denn immer nach Süden. Manches Nachtlager, manches Mittagseſſen bezahlte er mit ei— nem Porträt von Menſch oder Thier. Ja, hatte er des Hausvaters ſchöne, junge Frau, oder die hübſchen Kinder der Hausfrau, oder irgend eine garſtige Kan: tippe von Wirthin recht ſauber gezeichnet, ſo gab man ihm noch einen Zehrpfennig oder ein Frühſtück mit auf die Reiſe. In Schenken und auf Jahrmärkten war er gern. Wenn da die Bauern und Bürger Abends beim Wein zuſammen ſaßen, ſo trat er auf mit ſeiner Kunſt, ward immer gelobt und oft bezahlt. Hatte er dann wieder eine kleine Summe beiſammen, die ihn vor Mangel ſchützte und dazu brauchte er ſehr wenig ſo arbeitete er nur, was ihm eben einfiel. g

In und vor ſchönen Kirchen konnt' er tagelang ſitzen, und Alles ſo ſauber und genau er's nur ver— mogte nachzeichnen, oder noch lieber nachkneten. Dann kaufte er ſich Thon beim Töpfer, und formte mit ge— ſchickter Hand Altäre, Säulenreihen, gar Bildſäulen, oder Einzelheiten der Ausſchmückung, die ihm wol gefielen. 5 6 Zu Verona ſaß er einſt dem wunderlichen Grab: mal der della Scala gegenüber und verſuchte es nach— zuzeichnen. Es wollte ihm nicht gelingen, er warf unwillig den Hut vom Kopf, ſein Auge flammte, ſeine

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Wangen brannten, er ſah fehr ſchön aus. Da kamen Fremde mit ihrem Cicerone. Er bemerkte ſie nicht, aber eine junge Dame aus der Geſellſchaft bemerkte ihn, und ſtatt das Grabmal anzuſehen, ſchaute ſie ſei— nem emſigen Treiben zu. Endlich redete ſie ihn deutſch an denn ſein Tyroler-Hut lag neben ihm rich— tete mehrere Fragen an ihn, ermunterte ihn zum Fleiß, lobte ſeine Arbeit, beſtärkte ihn darin nach Rom zu gehen. Ach, hätte ſie doch daran gedacht ihm die Mit— tel dazu zu erleichtern! Aber daran denken die Vor— nehmen nicht! Doch war Ilda Schönholm dieſe junge Frau. Endlich nannte ſie ihm ihren Namen, fügte hinzu, er möge ſie in Rom beſuchen und ging mit ihrer Geſellſchaft fort.

Eine Stunde ſpäter war Polydor zufrieden mit ſeiner Zeichnung und hatte darüber gänzlich die deut— ſche Gräfin und ihren Namen vergeſſen.

Er zog weiter, nach Bologna, nach Florenz. Je mehr er ſah, deſto heißer wurde ſein Durſt etwas zu können, zu wiſſen, zu lernen, deſto mehr widerte es ihn an die langweiligen Bilder zu zeichnen, mit denen er ſich fein lümmerliches Brod erwarb. Oft hungerte er lieber. Oft, wenn er ein Geldſtückchen hatte, kaufte er lieber Thon, als Brod. Sein Anzug war ſo ſchmu— tig und zerriſſen, jo ganz bettelhaft, daß er nicht in die Gallerieen und Muſeen durfte, von deren Schätzen er doch reden gehört hatte auf ſeiner Künſtler-Pilger— fahrt. Aber er lag in der Loggia Lauzi, und

vor

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vor den Thüren des Batlisterios, und im Dom und in Santa Croce, überall wo Bettler auch ſein dürfen und unter ſeinen Lumpen zitterte und bebte er vor Entzücken, daß ſo Schönes auf der Welt ſei.

Seine Sehnſucht nach Rom ſtieg immer höher. Sein einziger Gedanke war: welche Herrlichkeiten werd' ich dort finden. Nie fiel ihm ein: wie wird es mir dort gehen; und fuhr ihm das ja einmal durch den Sinn, ſo dachte er an die deutſche Gräfin, deren Na— men er vergeſſen hatte und das beruhigte ihn.

Seine Wanderung durch die Romagna war ent— ſetzlich. Er kämpfte mit Hunger, Hitze und Ermü— dung. Das Porträtiren war ihm theils zuwider, theils fand er nicht hier die frühere Theilnahme. Die Leute waren weniger gaſtfrei denn er ging jetzt auf der großen Landſtraße, um den nächſten Weg nicht zu ver— fehlen er ſelbſt, krankhaft reizbar und matt, war nicht ſo freundlich und traulich wie ſonſt, gefiel nicht mehr den Frauen, dieſer mitleidigen Halbſchied des Menſchengeſchlechts. Die Anſtrengung zehrte ihm das Mark aus den Knochen, die Sonne das Blut aus den Adern. Die verſengende Atmoſphäre färbte ihn braun. Seine Züge wurden welk und ſchlaff, ſein Gang ſchlep— pend. Aber er ging und ging. a

Einſt hob er ſein trübes Auge, und ließ es ge— dankenlos in der Ferne umherſchweifen. Ein runder Berg am Horizont feſſelte es. Oder war es kein Berg? zu abgezirkelt, zu regelmäßig war die Maſſe.

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Er firengte feine Sehkraft an Gott! es war die Kuppel von St. Peter! ſo hatte man ſie ihm beſchrie— ben. „Rom! Rom!“ rief er und breitete ſeine Arme aus und die Thränen ſtürzten ihm aus den Augen. Nun fühlte er keine Erſchöpfung. Er ſah das er— ſehnte Ziel. Ach, Meilen lagen noch dazwiſchen, aber er wußte, er fühlte, daß er es nun erreichen werde. Ein alter Hirt gab ihm barmherzig einen Trunk Ziegenmilch. Das war ſein einziges Nahrungsmittel für den Tag. Wenn er eine halbe Stunde gegangen war, mußte er ſich niederſetzen und ausruhen, und im? mer ſchwerer wurde ihm das Aufſtehen. Ein Reiſe— wagen kam ihm entgegen. Ein verdrießlich ausſehen— der junger Mann ſaß darin, und beachtete nicht die Jammergeſtalt am Wege. Ein andrer Wagen mit zwei hübſchen blonden Frauen fuhr an ihm vorüber; ſie wendeten unwillig die Köpfe von dem ſchmutzigen, halbnackten Menſchen ab. Allein der Wagen fuhr nach Rom, und Polydor verjuchte ſich hinten auf die Koffer zu ſchwingen. Es gelang. Er ſaß fünf Mi— nuten oben und dankte ſeinem Glück. Da entdeckte das wachſame Auge des Bedienten am Schatten, den der Wagen warf, den verdächtig ausſehenden Mitrei— ſenden, und rief dem Poſtillon zu, mit ſeiner langen Peitſche einmal herumzuſchlagen. Polydor flieg eilig von ſeinem Sitz. Ein Landmann auf einem zweiräd— rigen Karren, in dem nur Ackergeräth und etwas Kraut lag, fuhr langſam hinterher, ſah wie mühſam Polydor

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ſich fortſchleppte, und hieß ihn ſich auf den Karren ſetzen. Er fuhr ihn bis eine Viertelſtunde vor der porta del popolo, dann führte ihn ſein Weg in die Campagna hinein, und Polydor, etwas ausgeruhet, verließ dankbar den Karren, und betrat darauf nun endlich wirklich Rom.

Da war er! aber in welchem Zuſtand von Elend! Schuh und Strümpfe hatte er ſchon lange nicht mehr gehabt. Ueberflüßigkeiten des Anzugs, wie ein ſeide— nes Halstuch, ein Paar bunte Tragbänder, waren ver— wendet um Nachtquartier und Zehrung zu bezahlen. In den letzten Tagen hatte er auch ſeine verblichene Jacke dafür hingegeben. So beſtand denn ſein Anzug aus zerriſſenen Hoſen, und den Fragmenten eines Hem— des und eines Hutes, die beide von ungefähr derſelben Farbe waren. Dazu war er ſo hungrig wie man iſt, wenn man in vielen Tagen keine ordentliche Mahlzeit, und in zweimal vierundzwanzig Stunden gar keine gehalten hat. N

Er fing an in Rom umher zu irren; allein er ſah mehr nach Bäckerladen, als nach Bau- und Bild— werken. Schaaren von Bettlern erblickte er überall, aber Niemand, der ihnen eine Gabe reichte. Hätte er das geſehen, ſo würde er wol auch gebettelt haben. Nun war es ja umſonſt! Seine Füße waren ſchwer wie Blei, krampfhaft zuckte es ihm durch die Glieder; in ſeinem Kopfe hammerte es, vor ſeinen Ohren ſauſte es. Er taumelte fort. Da war es ihm als ſtellten

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ſich alle Paläfte in einen Kreis um ihn, fingen an zu wanken, brachen ein er verlor die Beſinnung, und lag ohnmächtig im Koliſeum.

Der Mond ging auf, glanzvoll wie er nur am füdlichern Himmel ſtrahlt. Gelaſſen, wie das Aug’ eines ſeligen Geiſtes, der die Ewigkeit vor ſich hat, blickte er nieder auf die Spuren einer Vergangenheit voll unſäglicher Größe, und einer Gegenwart voll un— ſäglichen Elends.

Da ſauſte es wieder vor Polydors Ohren, denn er erwachte allmälig aus ſeiner Ohnmacht, und durch das Gebraus ertönten ihm Menſchenſtimmen: italieni— ſche Bettlerſtimmen, deutſche Männerſtimmen, endlich eine Frauenſtimme. Die ſagte: „Ich kann durch die— ſen Frieden in der Natur kein Menſchenweh klagen hören! einer der Herren leiht mir gewiß ſeinen Geld— beutel.“ . „Sehr gern, war die Antwort, aber das Bettler: volk wird Sie unverſchämt verfolgen, wenn es weiß, daß Sie geben.“

„Thut nichts!“ ſagte die Frau ein wenig unge— duldig, und die Dankgebete der Beſchenkten ſagten, wie freigebig ſie geweſen.

Da nahm Polydor alle ſeine Kraft zuſammen, ſtreckte die Hand aus und ſprach: „Ich hab' in zwei Tagen nicht gegeſſen.“

„Himmel!“ rief die junge Frau, „das iſt der Ty— roler von Verona!“

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Sie erkannten ſich. Polydor war gerettet, er bekam ein Stück Brod, das ſie von einem der andern Bett— ler theuer erkaufte. Ihr Bediente mußte bei ihm blei— ben, ihn in ein Wirthshaus führen, die Nacht ihn be— wachen, daß er nicht durch unmäßiges Eſſen ſich ſchade, für anſtändige Kleidung ſorgen, für ein Bad, für ei— nen Arzt wenn es nöthig ſei ſie bedachte Alles. Am nächſten Morgen ſollte Polydor zu ihr kommen.

„Nun! den Menſchen hat ſein guter Stern hie— hergeführt,“ ſagte im höchſten Erſtaunen einer von Ilda's Begleitern; „Sie würdigen dieſen Bettler einer Aufmerkſamkeit, deren ſich Wenige rühmen dürfen.“

„Soll ich einen Menſchen vor meinen Augen Hungers ſterben laſſen?“ fragte Ilda unwillig.

„Und einen ſo ſchönen Menſchen!“ ſagte der an— dere Herr. 7

„Richtig, lieber Baron! er hat es ſeinem ſchönen, ehrlichen Geſicht zu danken, daß ich ihn in Verona bemerkte. Solche treuherzige Augen müſſen jeden er— freuen.“

„Haben Sie denn ſo gar tief hineingeſchaut?“

„Tief genug um zu wiſſen, daß ich ihm helfen kann.“

„Ich bewundre nur das außerordentliche Talent der Damen, die Schönheit in Lumpen zu erkennen.“

„Ich habe daſſelbe Talent, nur in erhöhtem Grade, ſtets bei Männern, wenn nicht bewundert, doch ge— funden.“

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Dies Geſpräch war im ſcherzenden Ton geführt. Da hob der Herr, der zuerſt geſprochen, in etwas ſchulmeiſterndem Tone an:

„Ich muß Sie aufmerkſam machen, meine gute Gräfin, daß Ihre große Menſchenliebe Sie in Gefahr bringt ...“

„Moralprediger zu hören,“ ſagte ſie mit einer kurzen, wegwerfenden Kopfbewegung, und ging raſchen Schrittes zu ihrem Wagen.

Andern Tages erſchien Polydor gewaſchen und gekämmt, gekleidet und geſtärkt vor Ilda, und mußte ihr ſein ganzes vergangenes Leben erzählen. Dann ſollte er ihr ſeine Plane und Ausſichten mittheilen. Er hatte keine andre, als Bildhauer zu werden. Sie fragte nach ſeinen Kenntniſſen. Er hatte wiederum keine, konnte nothdürftig leſen und Buchſtaben ſchrei— ben. Aber zeichnen könne er fügte er zuverſicht— lich hinzu. Sie begehrte Proben, und er brachte ei— nige zerknitterte Blätter zum Vorſchein, die er ſeit Florenz in den Beinkleidertaſchen getragen. Alles war ſo verwiſcht, ſo beſchmutzt und zerdrückt, daß es un— möglich war zu erkennen, geſchweige zu beurtheilen. Sie gab ihm Papier und eine Reisfe der und mit leuchtenden Augen fing er an zu zeichnen: wie ſie da ſaß in ihrem Fauteuil, den linken Arm über ein Tiſch— chen gelegt, worauf Bücher, Blumen und kleine Ge— räthſchaften lagen, mit der Rechten ein Wachtelhünd— chen ſtreichelnd, das, die Vorderfüße an ihre Knie ge—

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ſtemmt, auf den Hinterbeinen ſtand, und fie verſtändig anſchaute. In leichten, kühnen Zügen, vollkommen ungezwungen, von unverkennbarer Aehnlichkeit war die Zeichnung. Dann zeichnete er noch einmal die Gräfin, größer, doch nur den Kopf, büſtenartig mit einer Drap— perie umgeben; dieſelbe freie Hand und dieſelbe Aehnlichkeit! Ildas Herz ſchlug vor Freude über die— ſen entſchiedenen Beruf. Sie fragte ihn, ob er nicht eben ſo gern Maler werden wolle; der verdiene leich— ter ſein Brod, und könne durch Porträtiren ſchnell be— rühmt werden.

„Nein, ſagte Polydor, die Farben blenden mich.“

„Alſo Bildhauer! Aber nebenbei viel, viel ler— nen!“ Sie ſetzte ihm auseinander, wie nothwendig es ſei, daß er die Verhältniſſe des menſchlichen und thie— riſchen Körpers genau kenne, damit er Rechenſchaft über das Warum ablegen könne, wenn Kunſtverſtän— dige und Meiſter ihn danach fragten. Eben ſo noth— wendig ſei es, daß er die Gegenſtände kennen lerne, die von Malern und Bildhauern dargeſtellt wären, damit er ſelbſt beurtheilen möge, inwiefern die Aus— führung und Auffaſſung ihnen gelungen ſei. Dies Alles ſei hauptſächlich in Büchern zu leſen und zu ler— nen, und er müſſe ſich viel Mühe geben um es zu verſtehen. Wenn er dazu entſchloſſen ſei, ſo wolle ſie ihm Lehrer geben, die ihm dabei behülflich wären, auch ſelbſt ihn von dem belehren, was ſie wiſſe; aber An—

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ſtrengung dürfe er nicht ſcheuen. Polydor ſagte, er ſcheue keine.

Durch die thätige Mitwirkung des deutſchen pro— teſtantiſchen Predigers in Rom gelang es, für Poly: dor ein Unterkommen bei einem deutſchen Kupferſtecher zu finden, wo er als ein Glied der Familie aufge— nommen und behandelt, und etwas unter Aufſicht ae ſtellt wurde. Dann wurde für den Unterricht Sorge getragen. Er mußte, wie ein Kind, ſchreiben und rech— nen lernen, und er lernte auch leicht und willig wie ein Kind, theils weil er es ſeiner Wohlthäterin ver— ſprochen, theils weil er ſeinen Hauptzweck dadurch zu fördern hoffte. Zuweilen ließ die Gräfin ihn rufen; dann war er ſtolz ihr irgend einen Beweis ſeiner Fort— ſchritte vorlegen zu können, und ihr Lob war ihm ein neuer Sporn. Oft nahm ſie ihn mit auf ihren Spa— zierfahrten und in Muſeen, und erzählte ihm von dem Leben und Treiben der alten großen Meiſter, und von den Zeiten des alten großen Roms.

„Es geht mit meinem Tyroler,“ ſagte ſie oft froh zu ihren Bekannten, mit jenem kleinen unwillkürlichen Egoismus des Herzens, der uns den Gegenſtand un— ſerer Wohlthaten als unſer Eigenthum betrachten läßt.

Nachdem ſie für Polydor Anſtalt zum gründli— chen Studium der bildenden Künſte getroffen, ging ſie im November nach Neapel. Aber, obwol Briefe der Lehrer und derjenigen Perſonen, denen ſie ihn empfohlen hatte, von ſeiner Entwickelung und ſeinen

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glänzenden Fortſchritten ihr erzählten: jo war ſie doch nicht darauf vorbereitet ihn ſo zu finden, wie er vor ihr erſchien, als ſie im April nach Rom zurückkam. Sein junger Genius hatte die Raupenhülle abgeſtreift, war aufgefahren und wiegte ſich auf friſchen Flügeln. In ſeinem treuen, glänzenden Auge funkelte geiſtiges Licht; ſeine Züge waren edler und feſter, die Geſtalt gehoben, die Bewegung frei. Ein unbeſchreiblicher Ausdruck von Glück lieh ſeinem Weſen einen eigenen Zauber. Dies war nicht die Heiterkeit, die Zuverſicht, die unbefangene Sorgloſigkeit, die uns auf jungen Geſichtern ſo erquickend und wehmüthig anſprechen, und die ſo lieblich ſind, weil ſie bewußtlos wie die Unſchuld ſind. Polydors Ausdruck war der ruhige des bewußten Glückes. Er wußte, daß er auf der Bahn ging, die die Vorſehung ihm beſtimmt.

Mit einem Eifer, dem nur ſeine Ausdauer gleich kam, hatte er geſtrebt ſich zu unterrichten. Vom frü— hen Morgen bis in die ſpäte Nacht trieb er ſeine Studien, und fühlte weder geiſtige noch körperliche Ermüdung. Trat je ein Augenblick der Abſpannung ein, ſo ſuchte er in der Praxis der Kunſt wieder die friſche Anregung zu finden, die von der Theorie zu— weilen gelähmt wird, und nur als Erholung hatte er den Winter hindurch gezeichnet und modellirt. Da jetzt aber auch die Ausübung der Kunſt in ihre Rechte treten ſollte, führte Ilda ihren Schützling zu Thor— waldſen, der ihn mit jenem Wohlwollen aufnahm, das

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aus dem großen Künſtler einen jo liebenswürdigen Menſchen macht. Unzählig ſind die Züge ſeiner Men— ſchenfreundlichkeit. Einſt kam ein junger Maler aus den Wäldern von Litthauen nach Rom, fremd, unbe— mittelt, ohne Schutz. Er wandte ſich an Thorwald— ſen, der ſich ſogleich von ihm malen ließ, um ihm da— durch nicht nur eine Unterſtützung, ſondern auch eini— gen Ruf zu verſchaffen. Wenn man ſo viel von dem Hochmuth und der ſtarren Unzugänglichkeit großer Künſtler reden hört, fo erfreuen dergleichen kleine Züge doppelt.

Polydor arbeitete bei Thorwaldſen, Ilda brachte den Sommer in der Schweiz zu, und führte ihn im Winter auf ein Paar Monate nach Neapel und Si— cilien, damit ihm die üppige Natur des Südens und die Rieſentrümmer doriſcher Baukunſt nicht fremd blie— ben. Den letzten Sommer vor ihrer Abreiſe aus Ita— lien war ſie in der Lombardei, meiſt auf einer Villa am Comer-See, wo Polydor ſich einige Zeit bei ihr auf— hielt, ehe beide den Weg über die Alpen ſuchten.

Er war jetzt zwanzig Jahr und wollte ſelbſtändig in der Welt ſein. Nicht als ob Ildas Wohlthaten auf irgend eine Weiſe ihn drückten! für natürliche, unverdorbene Menſchen iſt Dankbarkeit keine Laſt; und ihre freie, ſtolze Seele hätte es nie begriffen, daß man mit der einen Hand geben könne, um mit der andern in Feſſeln zu ſchlagen. Sie liebte zu ſehr die eigene Unabhängigkeit, und hatte zu große Freude an

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ſelbſtändiger Entwickelung, um ſie nicht gern andern zu gönnen. Was Polydor als armer Bauerknabe gethan um ſein Leben zu friſten, das wollte er nun im grö— ßern Styl fortſetzen: porträtiren, Büſten machen. Sein außerordentliches Talent die Aehnlichkeit zu treffen, ſchien ihm Fortkommen anf dieſer Bahn zu verbürgen, und das Glück einiger Wiener Maler, die für ein in zwei Tagen gefertigtes Aquarel-Porträt 15 Dukaten erhielten, ein ähnliches ihm zu verheißen. Darum ging er nach Wien. Vielleicht zog auch noch ein heimli— ches Intereſſe, aus der Kindheit mit herüber gebracht, ihn nach der Kaiſerſtadt ſeines Vaterlandes. Ilda kannte niemand dort; alſo konnte ſie nichts weiter thun, als für den Augenblick ſeine Exiſtenz ſicher ſtellen.

Drittes Kapitel.

Der gewöhnliche Aufenthaltsort der Gräfin Schönholm war ein freundliches Schloß von einem ſehr großen und geſchmackvollen Park umgeben, der unmittelbar vor den Thoren einer bedeutenden Seeſtadt Norddeutſchlands, und an dem Ufer eines vielbeſchiff— ten Fluſſes lag. Der Park war zu jeder Zeit allen

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Beſuchern offen. Am großen Eingang, von der Chauſſee aus, lag die Wohnung des Portiers im Geſchmack ei— ner Cottage erbaut. Er hatte ſchon vom verſtorbe— nen Grafen die Erlaubniß erhalten den Beſuchern des Parks, auf deren Begehr, Erfriſchungen vorſetzen zu dürfen, und machte ein gutes Geſchäft als Kaffee— wirth, denn der Park war von jeher der Lieblings— Spaziergang der Stadtbewohner in dieſer an Natur— ſchönheiten nicht reichen Gegend geweſen. Er war ſo weitläuftig, daß man in den Hauptalleen reiten und fahren durfte, und daß gewöhnlich verſchloſſene und nur an einem Wochentag geöffnete Abtheilungen deſ— ſelben, die Orangerie und der Blumengarten der Grä— fin, nicht die Promenade beeinträchtigten. Gräfin Ohlau, Ilda's Mutter, bewohnte immer das Schloß.

Ein Spätſeptembertag mit linder Luft und wol— kenloſem Himmel, hatte alle Welt nach Ruhenthal hinausgelockt, und man ging und ſaß, ritt und fuhr unter den dünnbelaubten und allmälig bunt ſich fär— benden Lindenalleen und Buchenhainen. Der Platz vor der Cottage war ſehr belebt. Gruppen ſaßen um Thee- und Kaffeetiſche. Herren, mit und ohne Cigar— ren, hatten ſich in Zeitungslectüre vertieft denn der Portier war ein Mann von Weltkenntniß und wußte, welch ein Magnet Journale heut zu Tage wä— ren und manches Frauenauge blickte mit unverhoh— lenem Erſtaunen zu den Leſern hinüber, nicht begrei— fend, wie man einen Journalartikel über ſpaniſche Zu—

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ſtände ihrer Converſation vorziehen könne, obleich das etwas iſt, woran ſie ſich nach gerade gewöhnt haben ſollten.

Zu einem jungen Mann im blauen Ueberrock, der in einem kleinen Buch leſend einſam daſaß, flo— gen ſehr oft die Blicke der Frauen. Bemerken moate er es, aber er beachtete es nicht. Die Geſellſchaft war ihm in dieſer Stadt zu unbeholfen, zu klein— ſtädtiſch, zu langweilig. Er miſchte ſich nur gerade genug unter fie um nicht aufzufallen. Ein Miniſter hatte ihn kürzlich hergeſchickt um ein gewiſſes Archiv zu ordnen und darin zu arbeiten. Einige ſagten, er ſei die rechte Hand des Miniſters; Andere, er ſei deſſen natürlicher Sohn und zu einer glänzenden Carriere beſtimmt; noch Andere gar, er ſei der eines Prinzen des Hauſes. Von Allem war keine Sylbe wahr. Otto hieß dieſer junge Mann.

„Sie kommt! Sie kommt!“ rief ein ältlicher, ziemlich beleibter Herr, aus dem Innern des Parks an einen Tiſch eilend, wo mehre junge Männer plauderten.

Dieſe riefen durcheinander: „Wer? Wann? Die Cholera? Iſt die Königin von Spanien ent— wiſcht? Kommt die Schröder-Devrient aus England zurück?“

„Was Königin! was Sängerin! ſie iſt beides in einer Perſon! kurz ich ſag' Ihnen, Gräfin Schönholm kommt nächſtens. Sie hat es heute früh ihrer Mut—

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ter geſchrieben, und ich komme fo eben don der. Nun, freut ſich niemand?“

Wieder erhoben ſich mehre Stimmen: „Ja, wenn ſie uns gute Diners geben wird. Wenn die italie— niſche Sonne ihren Hochmuthspanzer geſchmolzen hat. Was geht ſie mich an! Langweilige Perſon! Die Schröder-Devrient wäre mir hundert Prozent lieber. Andre Nachrichten, Baron!“

„Weiß nichts!“ brummte dieſer verdrießlich, ſetzte ſich, nahm den Hut ab, um mit einem Foulard die Stirn zu wiſchen, drückte ihn dann tief in die Augen, rief mit Stentorſtimme: „Kaffee!“ und ſchien ent— ſchloſſen zu ſchweigen.

Da ertönte eine Frauenſtimme vom nächſten Tiſch: „Iſt's wahr, lieber Baron, kommt die Schönholm bald?“

Der Baron fuhr herum: „Ja, Gnädigſte, noch im Laufe dieſes Monats!“ und als die Dame eine winkende Handbewegung machte, weil ſie ſchon lieber von einer hübjchern jüngern Frau, als gar nicht, reden hören und ſelbſt reden wollte ſo folgte er dem Wink, und ſetzte ſich zu ihr und ihrer unſchönen Tochter.

„Nun was ſchreibt ſie?“ fragte die Dame weiter.

„Außerordentlich niedergeſchlagen über den furcht— baren Tod ihres Vetters, und vielleicht noch mehr über das Schickſal ihrer Couſine was ſie Beides erſt in Schloß Ohlau erfahren hat. Dann macht ſie

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ihrer Mutter leiſe Vorwürfe, daß ſie ihr dieſe Bege— benheit verſchwiegen.“

„Wie konnte die Mutter ihr das verſchweigen! Alle Welt wußte es, jeder Zufall konnte es offenbaren!“

„Sie wiſſen, wie die gute Mutter iſt! Ich gab ihr auch meine Verwunderung zu erkennen; da erwi— derte ſie mir, ſie habe nicht ihrer Tochter die Trauer— botſchaft mittheilen mögen, weil ſie gefürchtet, daß ſie dann nicht für dieſen Winter nach Deutſchland kom— men, oder wol gar, daß ſie zur Gräfin Ondine gehen werde.“

„Und wo iſt dieſe abſcheuliche Frau gegenwärtig?“

„Still, ſtill, ums Himmelswillen! man weiß nichts, ſag' ich Ihnen, gar nichts! man vermuthet nur.“

„Aber auf keinen Fall könnte die Schönholm daran denken zu dieſer Frau zu gehen.“

„Ach, Allergnädigſte, ſie denkt und thut Dinge, die man ſich nicht träumen läßt, und es liegt ganz in ihrem Charakter, daß ſie ihre Couſine aufſuchen würde, weil ſie unglücklich iſt.“

„Sie brauchen ein mildes Wort, guter Baron.“

„Warum ſollt' ich nicht! ich gleiche darin den Griechen, von denen ich einmal geleſen habe, daß ſie aus Liebe für den Wohlklang den Dieb einen Lieb— haber genannt hätten. In unſern Tagen ſollte man die Liebhaber Diebe nennen nicht?“ Er gab ſich Mühe ſchlau zu lächeln und mit den Augenliedern

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zu zwinkern, was ſeinem gutmüthigen breiten Geſicht ſehr poſſirlich anſtand.

Die Dame bemühte ſich eben ſo vergeblich impo— ſant auszuſehen, und fragte weiter: „Da die Schön— holm in tiefer Trauer iſt, wird ſie wol wenig Geſell— ſchaft ſehen?“

„Vor der Hand wahrſcheinlich! indeſſen petit a petit Foiseau fait son nid um die Mitte des Winters wird doch Alles wieder bei ihr ſein, und daher war mein Staunen groß, als die jungen Her— ren vorhin mit ſolcher Gleichgültigkeit die Nachricht aufnehmen, daß ein ſo gutes Haus ſich ihnen wie— der öffne.“

„Sie wiſſen, Gräfin Schönholm iſt ſehr wenig zuvorkommend gegen junge Leute ...“

„Sie iſt es gar nicht, was noch mehr iſt, und nur für ältere Männer die Artigkeit ſelbſt. Sie fin— det es artig genug jungen Leuten, die oft noch ſo un— geſchickt ſind, ihren Salon zu öffnen. Aber freilich muß man ſich da mehr geniren, wie in dem einer Tän— zerin! zu meiner Zeit war es doch anders.“

„Nein, guter Baron, es war eben ſo. Die Män— ner waren immer am liebſten dort, wo ſie à peu de frais für charmant galten. Uebrigens ſcheint es mir ſehr ſchwer der Gräfin Schönholm zu gefallen. Aus— gezeichnete Männer ſollen ſich umſonſt bei ihr bemü— het haben.“

„Man ſagt es.“

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„Ich kenne fie wenig, denn Sie wiſſen, daß ich nur ein Jahr vor ihrer Abreiſe nach Italien mich hier etablirte; doch ich habe von einigen Perſonen ge— hört, ſie wolle eine Inclinationsheirath oder gar keine ſchließen.“

„Da würde ſie vollkommen Recht haben.“

„Wenn es aber wahr iſt, daß ſie im Fall einer Ehe den Genießbrauch des glänzenden Vermögens ih— res verſtorbenen Mannes verliert: ſo müßte ſie bei dieſer Inclinationspartie doch auch andre Rückſichten nehmen.“

„Mein Gott, wer redet denn von einer ſolchen?“ rief der Baron ungläubig und doch neugierig.

„Ich nicht, denn ich kenne ſie zu wenig. Allein ich habe von einem Künſtler gehört, einem Violin— ſpieler, glaub' ich, den ſie hat erziehen laſſen dar— aus ſoll eine heftige Paſſion von beiden Seiten er— wachſen ſein.“

„Der kleine Polydor? nimmermehr! Ich war mit ihr in Rom, als ſie ſich ſeiner annahm. Der gute ſteife General Krück auch, der jetzt ſchon todt iſt, und damals noch den Liebenswürdigen zu ſpielen verſuchte, was ihn ſehr unliebenswürdig machte. Polydor? der junge Bildhauer? ich glaub' es nicht.“

„Wie er heißt und was er iſt, weiß ich nicht. Doch Sie ſagten ja Selbſt ſo eben, es läge im Cha— racter der Gräfin Schönholm das Ungewöhnliche zu thun.“

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„Nun ja doch dies wäre geradezu eine Toll— heit. Dieſer Menſch hat nichts, iſt Sie machen mich ganz unruhig.“

„Alſo halten Sie es nicht für unmöglich?“

„Gott, Napoleon iſt auf St. Helena geſtorben, und der Sohn eines gascogniſchen Advocaten trägt die Krone der Waſa was iſt unmöglich, Aller— gnädigſte?“

„Aber gewiß iſt es 155 nicht? di Mutter hat noch nicht davon geſprochen?“

„Auf Ehre nicht! keine on Der Brief war fo traurig.“

„Guten Abend, Baron. Es wird kühl, ich fahre.“ Mutter und Tochter gingen mit freundlichem Gruß. Der Baron blieb einſam bei ſeinem Kaffee mit dem Hamburger Korreſpondenten. i

„Das lügt Alles durcheinander!“ rief er endlich und ſtand auf. „Ach, mein lieber Otto, Sie noch hier? das iſt gut. Laſſen Sie uns zuſammen gehen und plaudern. Darüber werd' ich meinen Aerger ver— geſſen. Ein ſo ſchöner Abend, und die dummen Leute laufen herein, weil es dunkel wird! Sie wiſſen nichts Gutes zu ſchätzen.“ ö

„Doch! wenn es ihnen zu gut kommt.“

„Das Gute kommt gewiſſermaßen Allen zu gut.“

„Aber Keinem excluſiv, und darum gerade iſt es gut, und wird wenig anerkannt.“

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„Das iſt wahrhaftig auf ſie anzuwenden! ich meine auf die Gräfin Schönholm.“ ;

„Gewöhnlich auf das Genie.“

„Aber ſie iſt nicht blos ein Genie, ſie iſt auch ein Engel! man kann mit ihr ſcherzen, ſie nimmt's nicht übel; man kann von ernſten Dingen mit ihr re— den, es langweilt ſie nicht; ſie hat ſo viel Unglück ge— habt und ſteht immer friſch im Leben da; ſie hat ſo viel geweint und iſt doch nicht larmoyant; ein zartes Herz Rund eine mächtige Seele! Ich behaupte nicht, daß ſie keine Schwächen und Fehler habe, z. B. etwas Hochmuth, etwas viel Selbſtvertrauen; aber dennoch iſt fie himmliſch gut. Haben Sie das Buch geleſen, das ſie unter dem Titel: Ein Denkmal heraus— gegeben?“ N

„Ja, ſo eben noch. Es iſt unvergleichlich an Grazie der Phantaſie und Tiefe des Gefühls. Wem hat ſie dies Denkmal geſetzt?“ | 95

„Einem Todten, dem Lord Henry Killarney. Ich weiß die Geſchichte, ich werde ſie Ihnen erzählen wenn es Sie nicht langweilt. Verdreht und verſtüm— melt haben Sie fie vermuthlich ſchon gehört.“

„Deſto lieber hör' ich jetzt die Wahrheit.“

„Der Vater der Gräfin Schönholm hieß Graf Ohlau, war mein lieber alter Freund, aber ein leicht— finniger Patron. Er farb gerade zu rechter Zeit, nach— dem er fein Vermögen, daß nie bedeutend war, in alle dier Winde geſtreut hatte. Es wurde geordnet und

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gerettet was irgend möglich war, und ſeine Wittwe lebte eingezogen, aber anſtändig und erzog ihre Toch— ter aufs Vollkommenſte. Indeſſen vermuthete Keiner von uns, was aus dem Kinde werden würde, und ſie ſelbſt wohl am Wenigſten. Manche Mütter müſſen ſich verwundern, wie ſie zu ſo ganz von ſich verſchie— denen Kindern kommen! Väter weniger nicht?“

Und wieder machte der Baron die poſſierliche Grimaſſe, die er annahm, wenn er glaubte einen kek— ken Scherz gewagt zu haben. Otto lachte laut über ſeine komiſchen Mienen und der Baron ſagte:

„Ja, ja, Sie lachen jetzt! dereinſt wird Ihnen die Sache weniger ſpaßhaft vorkommen!“ dann lachte er ſelbſt herzlich über ſeinen unerſchöpflichen Witz, und fuhr endlich fort:

„Nun, Gräfin Ohlau iſt die Tugend ſelbſt, aber in Sorgen und Mühen iſt ſie jung geweſen und alt geworden, und von dem Geiſt und der Lebhaftigkeit ihrer Tochter hat ſie nichts. Als dieſe ſiebzehn Jahr alt war, war ſie an Schönheit und Huldgeberden eine Wunderſage auf Erden wie ich geſtern in einem orientaliſchen Gedicht gelefen und Graf Schön— holm ein reicher, braver rechtſchaffener Mann warb um ſie und heirathete ſie ſogleich. Mit einer ſolchen Ruhe und Unbefangenheit, wie die kleine Ilda, hab' ich nie heirathen ſehen. Sie freute ſich nicht, ſie betrübte ſich nicht, fie zeigte ihrem Verlobten weder Zu- noch Abneigung, ſie äußerte weder Furcht noch Bedauern.

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Die Heirath ſchien ihr zum Gang ihres Lebens zu gehören. Aber bald ſtellte ſich die Sache anders, denn die beiden Menſchen harmonirten ſo wenig wie Luft und Erde und die Ehe blieb kinderlos. Darüber war Graf Schönholm ſehr verdrießlich und man kann nicht wiſſen, was für Seenen vorgefallen ſind, denn etwas roh war er. Aber Ilda klagte nie, ſagte kein Wort, obgleich die Mutter in der Stadt lebte; nur verfiel ihre Geſundheit und ſie ward außerordentlich ernſt und immer ſtiller und ſtiller. Auf einmal brach ein unerhörter Jubel aus, ſie ſei guter Hoffnung. Napoleon traf große Anſtalten für die Geburt des Königs von Rom; Graf Schönholm proportion gardée desgleichen. Er rechnete auf einen Sohn mit einer Gewißheit, die mich ärgerte, denn wenn der liebe Gott ein Mädchen beſcheerte, ſo hätte die Frau es wahrſcheinlich wieder verſchuldet und Hartes darum gelitten. Ich fragte ihn auch einmal, ob er glaube, daß der Himmel ein eben ſo lebhaftes Intereſſe an der Geburt der Töchter, wie an der der Söhne nähme; ich für mein Theil bezweifelte es, wenn ich ſähe, wie die Väter ſich geberdeten. Er machte ein Paar fürch— terliche Augen und ſagte: „Herr Baron, Sie ſind nicht der letzte Ihres Namens und Stammes.“ Ilda ſprach weder Wunſch, Freude noch Hoffnung aus; ſie war und blieb ſchweigend. Endlich kam ſie nieder und richtig mit einem Sohn. Schoͤnholm tri— umphirte. Mit ſolchem Jubel iſt wol ſelten ein klei—

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ner Erdenbürger empfangen worden, und ſtellen Sie Sich die Verzweiflung vor, als er nach fünf Wochen ſtarb. Acht Tage ſpäter brachte man Graf Schön— holm mit einer tödlichen Kopfwunde nach Ruhenthal— Er pflegte wie ein Wahnſinniger zu reiten, ſein wil— des Pferd hatte ſich geſcheut und ihn an den Eckſtein einer Brücke geſchleudert. Er ſtarb binnen vierund— zwanzig Stunden. Sein Teſtament bewies Gleich— gültigkeit für ſeine Frau und Intereſſe für ſeinen Na— men; es gab ihr den Genießbrauch des ganzen Ver— mögens, ſo lange ſie Gräfin Schönholm blieb; verhei— rathete ſie ſich aber, ſo ging es gleich an irgend eine entfernte Verwandtenfamilie in Schweden über, ger

rade ſo als ob ſie todt ſei. Dies iſt die äußere Geſchichte der drei Eheſtandsjahre der Gräfin. Nun

giebt es noch eine innere, von der aber freilich ein Dritter wenig zu erzählen weiß, wie überhaupt von jeder Liebesgeſchichte, bei der es keine Duelle, Schei— dungen und Scandal gegeben. Ungefähr ein Jahr vor dem Tode Schönholms kam Lord Killarney nach Ruhenthal. Dies war ein junger Irländer, den der Graf auf einer Reiſe nach England kennen gelernt, und mit feiner gewohnten Gaſtfreiheit feine lies benswürdigſte Eigenſchaft zu ſich eingeladen hatte, wenn er je le grand tour auf dem Continent machen wolle. Aus ſeiner vaterländiſchen Provinz Connaught kam er plötzlich mit dem Dampfſchiff von London her— über. Hab' ich je einen melancholiſchen Menſchen ge—

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fehen, fo war es dieſer Lord Henry. Der Jammer ſeines Vaterlandes nagte ihm am Herzen. Er kam des wohlfeileren Lebens wegen auf den Continent, denn er mogte nicht feinen armen Unterthanen das abpreſſen und entziehen, was er in London verbrauchte, wo ſeine Geſchäfte und Verhältniſſe ihn bisweilen in das große Leben der Reichen warfen. Dabei hatte er Augen wie die Porträts von Lord Byron, und ſo ein napoleonfarbenes Colorit, wie die Büſten der al— ten Imperatoren. Sie haben ein ähnliches, Sie ſehen, ich bin nicht ganz umſonſt in Italien geweſen. Nun, um es kurz zu machen Lord Henry und die Gräfin liebten ſich, das war unverkennbar und nicht zu leugnen. So wie ſie ins Zimmer trat, nein, ſo wie nur ihr Name, nur eine Beziehung auf ſie ge— nannt wurde verklärte ſich ſein Geſicht, und mit ihr war es derſelbe Fall. Er blieb und blieb, ging mit Schönholm auf die Jagd, ſpielte Billard und Schach mit ihm, hielt Schieß- und Reitwetten mit ihm kurz, die Sache ſchien richtig zu ſein. Sie müſſen wiſſen, daß ich, wenn ich von einem Verhält— niß der Art höre, nie und nichts glaube, als bis der Gemahl anfängt ſich mit dem Aspirant zu liiren. Sind die beiden Männer erſt dicke Freunde, dann glaube ich, und unter hundert Fällen habe ich neunundneun— zig Mal Recht gahabt. Es iſt ſeltſam, wie der Ehe— ſtand die Männer verdummt und die Frauen klug macht. Letztere werden ſo ſchlau, daß, wenn nicht ihre

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Leidenſchaftlichkeit zuweilen die Oberhand gewönne, und wenn nicht die Anbeter durch Unvorſichtigkeit oder Prahlerei Blößen gäben Alles nur bei va— gen Vermuthungen bleiben müßte; nun, das iſt zu begreifen. Warum aber die Männer in eine ſo ſtu— pende Dummheit verfallen, daß ſie nicht ſehen, nicht hören, nicht ahnen, was weltkundig und doch wahr— haftig für ſie ſelbſt von Wichtigkeit iſt das habe ich nie begreifen können. Edles Vertrauen! warum nicht gar! länger als die Flitterwochen hindurch hegt es keiner. Eitelkeit und Gleichgültigkeit voilz! man ſieht die Frau nicht mehr mit denſelben Augen an, aber man meint, ihr Auge müſſe immer dale bleiben.“

„Sie ſind wahrſcheinlich nie oder mit einem En gel vermählt geweſen, um ein ſo eifriger Ritter der Frauen zu ſein, beſter Baron.“

„Nie, mein Lieber, nie! eben ſo wenig bin ich ein Ritter der Frauen. Ein Geſchlecht iſt heut zu Tag' gerade ſo verderbt wie das andere, und nur das weibliche hat den Vorzug der Klugheit, denn es ge— hört zu den mirakulöſen Ausnahmen, daß eine Frau einfältig genug iſt ſich mit derjenigen zu lüiren, der ihr Gemahl den Hof macht.“

„Alſo war das Verhältniß der Gräfin Schön— holm und des Irländers wie alle andre der Art?“

„Ich hab' geſagt: die Sache ſchien richtig zu ſein. Auf einmal aber verſchwand Lord Henry, zum

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allgemeinen Erſtaunen und zur Betrübniß Schönholms, von dem er nur einen kurzen, herzlichen, ſchriftlichen Abſchied nahm, und den abgebrauchten Vorwand von plötzlicher trauriger Nachricht angab. Am frühen Mor— gen war er fortgefahren; Abends las Schönholm den Brief einem ziemlich großen Kreiſe vor, der laut in Bedauern über die Entfernung des liebenswürdigen Lord Henry ausbrach und heimlich mit unendlicher Neugier das Ehepaar beobachtete. Einige meinten ſpäter, der Graf Schönholm habe ſeine Rolle vortreff— lich geſpielt; aber er war de bonne foi dabei; denn erſtens, wenn er Lord Henry hätte gehen heißen, wie hätte er ihn zwingen können, ein ſo herzliches Billet zu ſchreiben. Und zweitens ſprach er den ganzen Abend ununterbrochen von ihm, fing ſtets von ihm wieder an, ſobald etwas Neues auf's Tapet gebracht wurde wie das ſeine langweilige Gewohnheit bei allen Din— gen war, die ihn intereſſirten; hätte er etwas ge— wußt, ſo würde er nicht gewagt haben die Faſſung ſeiner Frau auf eine vierſtündige Probe zu ſtellen. Nein, er war vollkommen unbefangen! Die Gräfin blaß wie ein Geiſt, aber ruhig! Aller Augen wende— ten ſich auf ſie, als man nach dem Grund der Ab— reiſe fragte. Sie ſchlug die ihren groß und feſt auf, und ſaͤgte blos: Ich weiß nur, was Ludwig weiß, und kann keine genauere Auskunft geben. Nach zwei Monaten erhielt Schönholm einen Brief von Lord Henry aus Norwegen; doch man hatte ihn ſchon ziem—

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lich vergeſſen. Dann kam die Niederkunft der Grä— fin, wobei allerdings fein Andenken wieder aufwachte und viel von ihm geſprochen ward, bis die beiden To— desfälle jedes andre Geſpräch verſchlangen. Ilda war niedergeſchlagen und betrübt über den Verluſt von Sohn und Gemahl, doch nicht faſſungslos. Da erhielt ſie in der letzten Hälfte ihres Trauerjahrs plötzlich die Nachricht von Lord Killarneys Tod; er hatte nach dem Orient reiſen wollen und war bei einem Schiff— bruch im atlantiſchen Meer umgekommen. Nun brach fie zuſammen. Sechs Monat hat ſie in faſt klöſter— licher Abgeſchiedenheit, weiß Gott wie! verlebt, und kaum ihre Mutter geſehen, dann machte ſie mit der

eine Reife nach England, wobei Schottland und Ir⸗ 4 land das Hauptziel waren, und von dort kehrte fie -

zurück ungefähr ſo wie ſie jetzt iſt: entſchloſſen mit dem Leben fertig zu werden und es auf einer ihr ho— mogenen Bahn zu durchwandeln. Nach und nach kam ſie mit einer Menge Blüthen ihrer Phantaſie zum Vorſchein, Zeichnungen, Gedichte, Novellen, womit ſie im Stillen ſich zerſtreut und getröſtet, und die ſie ſorgſam verborgen hatte, weil Graf Schönholm über dergleichen Beſchäftigungen die Achſeln zuckte; und ſei es die Theilnahme befreundeter, oder der Bei— fall fremder Perſonen, oder der Drang des Ge— nius, der für eine Welt ſchaffen mögte, oder was weiß ich! kurz, ſie gab vor drei Jahren dies phantaſtiſche Denkmal heraus, wo Alles fo arabesken—

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artig um ein verhülltes Bild gereiht iſt, wie Blumen— kränze, Votivbilder, Kerzenglanz und Weihrauch um einen Heiligenſchrein. Dieſe Phraſe hätte ich nicht ſo ſchön erfunden; ich habe ſie mir aus einer Rezen— ſion gemerkt. Nächſtens kommt ſie und bringt neue Schätze mit, und niemand freut ſich, und man erfin— det alberne Geſchichten über ſie.“

„Wie kann Sie das ärgern? die Welt iſt weder geiſtreich noch witzig und macht Erfindungen, wie ſie's eben verſteht.“

„Ja, wenn ſie nur einigermaßen in dem Sinne und Character der Gräfin wären! aber ſie iſt keine Freundin der Ehe und ſoll heirathen! iſt ariſtokratiſch

geſinnt, und ſoll den kleinen Tyroler Bauerbuben hei— rathen! Sie ſehen wol, das geht nicht.“

„Sie ſcheint eine ſtarke Seele zu haben, drum muß ſie mächtiger Liebe fähig ſein, und wenn ſie den kleinen Tyroler Bauerbuben, wie Sie ihn nennen, liebt, ſo mag ſie ſich ja wol über Vorurtheile hinweg— ſchwingen können.“

„Vorurtheile, Beſter? ach, Sie ſind auch junges Deutſchland?“ 5

„Nur halb, denn Widerwille gegen die Ehe ſcheint mir ein Vorurtheil.“ |

„Weiß Gott, ob's auch ihr Ernſt iſt, denn fie ſagt oft ernſthafte Dinge mit ſcherzhaftem Ton, und luſtige ſo ernſt, daß man nie ſeiner Sache, ich meine ihrer Anſicht, gewiß iſt. Aber das letzte Wort, was

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ich bei einem Heirathsantrag, den ſie ausſchlug, von ihr hörte, war in Italien, und ſie ſagte: Himmel, iſt's denn nicht thörig genug, daß ich Dichterin bin zu einer Zeit, wo niemand den Dichter achtet? und man verlangt, daß ich mich verheirathe und kein Menſch achtet die Ehe? Dabei blieb es. Ich glaube, ſie kann Lord Henry nicht vergeſſen.“

„Gewiß nicht, ſo lange die Richtung, welche dieſe Liebe ihr gegeben, ihr genügt.“

„Mein Gott, kennen Sie ſie etwa? Sie ſprechen ſo beſtimmt.“ f

„Ich kenne nur ihr Buch, aber unwillkürlich formt man ſich das Characterbild eines intereſſanten Schriftſtellers aus und nach deſſen Werken.“

„Ach, intereſſant iſt ſie im höchſten Grade! nicht wahr?“

„Sie iſt es durch dieſe glühende und doch fo zarte Liebe, die ſie mit einer Unbefangenheit aus— ſpricht, wie einſt Heloiſe es gethan. Aber was mich noch mehr hinreißt, iſt, daß ſie nicht blos auf das Klopfen ihres Herzens hört, ſondern dem Schmerz der Menſchheit und der Klage eines Volkes zugäng— lich geblieben iſt. Die Geſänge aus Erin ſind viel— leicht die ſchönſten der Sammlung, und die Zeichnun— gen dazu gewiß die tieſſinnigſten.“

„Sie können ſich aber auch nicht vorſtellen, welche ergreifende Schilderungen Lord Killarney davon zu machen pflegte.“

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„Ich will gern glauben, daß ihre Phantaſie durch ihn auf dieſen Gegenſtand gelenkt und erregt iſt; allein, wie ſie ihn in ihrer Seele aufgenommen und dann ihn wiedergegeben hat, das geht aus eigener Kraft und eigener Anſchauung hervor.“

„Mein beſter Otto, ſo wie die Gräfin angekom— men iſt, werde ich Sie ihr vorſtellen, und ich glaube, Sie werden ſich Beide gut conveniren.“

Sie ſchüttelten die Hände und trennten ſich— each wenigen Tagen traf Ilda wirklich in tiefer Trauer und ſehr niedergeſchlagen in Ruhenthal ein, und beglückte ihre Mutter, den Baron und einige Perſonen ihres engeren Kreiſes durch die Verſicherung, ſie werde den ganzen Winter hier zubringen. Doch vor der Hand wollte ſie keine Geſellſchaft ſehen, ſie wäre zu traurig, zu beſchäftigt, und könne an nichts Theil nehmen, bevor ſie nicht einige Gewißheit über das Schickſal ihrer unglücklichen Couſine habe.

Viertes Kapitel.

Ungefähr ein Jahr vor dieſer Epoche begann die Wendung von Ondinens ſonſt ſo friedlichem Schick— ſal. Der Vater ihres Gemalhs war ihr Vormund ge— weſen, und hatte ſie, die elternloſe, arme Waiſe, mit

Liebe in feinem Haufe erzogen. Er farb als fie vier: zehn Jahr alt war. Die Zukunft dieſes einſamen ſchönen Geſchöpfs wäre unausſprechlich traurig gewe— ſen, wenn nicht Askanio ihr ſeine Hand geboten hätte, den Schutz und Schirm ſeines Namens, und die Zu— flucht an ſeinem edlen, feſten Herzen, das von inniger Liebe für Ondine bewegt war. Sie warf ſich in

ſeine Arme, jung, kindiſch, unerfahren, nichts wiſſend,

nichts kennend, nicht einmal Askanio, den ſeine Stu— dien fünf Jahre hindurch fern vom Vaterhauſe gehal— ten, und am wenigſten ſich ſelbſt. Aus der Kinder— ſtube trat ſie vor den Altar. Ihre flatternden, licht— braunen Locken wurden zum erſten Mal aufgeftedt, damit der Myrthenkranz graziöſer ſitze. Sie ward Gattin wie im Traum, und wie im Traum Mutter. Ihre Söhne waren ihre Puppen, dann ihre Geſpielen; ſie zu erziehen fiel ihr nicht ein; das war Askanios Sache. Von Sorgen und Mühe, von Ernſt und An— ſtrengung wußte ſie nichts; ſie flatterte durchs Leben fröhlich und lieblich wie ein Schmetterling.

Askanio war auch erſt einundzwanzig Jahr, als ſein Vater ſtarb, aber er war aus anderm Stoff und nach anderm Zuſchnitt geformt. Er wußte, was er auf ſich nahm, als er ſich entſchloß in ſo früher Ju— gend das Haupt einer Familie zu ſein, und nicht blos für ſich, ſondern für Frau und Kinder, feſt und ſicher dazuſtehen. Erfahrung hatte er wenig, jedoch den ei— ſernen Willen das Beſte zu thun und nie zu ſchwanken,

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wenn eigene und fremde Wohlfahrt auf der Wagſchaale lägen. Mit einem Ernſt, der weit über ſeine Jahre, mit einer Sicherheit, die nur das Erzeugniß ſeines edlen Selbſtbewußtſeins war, nahm er ſeinen Standpunkt in der Welt. Seine Liebe für Ondine war keine vor— überrauſchende Leidenſchaft geweſen. Er freute ſich ihrer Schönheit, aber ihn feſſelte dies weiche, ſchmieg— ſame, hülfsbedürftige Weſen, das bei jedem Schritt

ſeine leitende Hand ergriff. Er empfand für ſie die

innige Zärtlichkeit eines Gatten, er handelte für ſie mit der faſt mitleidigen Sorgfalt eines Vaters; aber demonſtrativ war er nicht. Ondine wußte und fühlte ſich geliebt, allein ſie hätte es auch gern von ihm ge— hört, und Askanio ſagte es nie, weil ihm das Wort überflüſſig ſchien, ſobald die Handlungsweiſe es offen— bare. Ach, gegenſeitiges Mißverſtehen iſt ſo leicht! und kaum trägt etwas Anderes die Schuld, als die Verſchiedenheit der Verhältniſſe! Der Mann kann auf hundertfache Weiſe durch Vorſorge und Thätig— keit, handelnd und gebend, feine Liebe bezeig en; die Frau empfängt und nimmt nur, kann nichts thun, darum ſpricht ſie von ihrer Liebe. Und weil ſie meint und mit Recht ihre Liebe ſei eben ſo viel werth, wie die des Mannes, und habe doch tau— ſend ſüße Worte, und Schmeicheleien, und Liebkoſun— gen, ſo findet ſie ihn oft kalt und gleichgültig, wäh— rend er meint, ſie mache kindiſche Anſprüche. So lange die tiefe, allverſöhnende und ausgleichende Liebe

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in beiden Herzen lebt, ſo trägt fie über ſolchen klei— nen Zwieſpalt hinweg; aber iſt ſie von einem Blitz— ſtrahl geblendet oder durch einen Sturm erſchüttert, ſo können aus der Kluft Nebel emporſteigen, die das ganze Leben verfinſtern.

Es giebt ein Buch voll wunderbar tiefſinniger Vorſchriften bisweilen ſind es nur Andeutungen für alle menſchliche Zuſtände. Der Himmel mag wiſ— ſen, wer die Schuld trägt, daß es bei einem großen Theil der Menſchen aus der Mode, und bei einem eben ſo großem Theil in die Mode gekommen iſt, und daher theils nicht verſtanden, theils nicht richtig angewandt wird. Dies Buch iſt die Bibel. Darin ſteht: „Ihr ſollt beſitzen, als beſäßet ihr nicht.“ Ge— wiß iſt das Goldplättchen dieſes Spruches in Predig— ten, Troſt- und Erbauungsſchriften, Andachtsbüchern ꝛc. zu einem Goldfaden von einigen hunderttauſend Klaf— tern bereits verdünnt und verbraucht, und beim Ver— luſt von irdiſchen Gütern und beim Tode von gelieb— ten Menſchen als eine zu ſpäte Ermahnung uns Al— len vorgetragen worden und, wie gewöhnlich Troſt— gründe, ziemlich am unrechten Ort. Aber wenn zwei Menſchen die ſich lieben und beſitzen, ſich entſchließen könnten, jene Worte zur Richtſchnur ihres Daſeins zu machen wenn es möglich wäre, die Grazie, die Zartheit, die Sehnſucht, die Flamme des Nichtbeſitzes mit der Glut und Hingebung des Beſitzes zu verbin— den wer wollte dann nicht gern an das Glück in

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der Ehe glauben, und in ihr den Himmel auf Erden ſehen? Doch nun kühlt der Beſitz nur ab, ohne zu befriedigen.

Ilda und Askanio waren ungefähr in einem Alter, und Beider Väter Brüder geweſen. Askans Ver— heirathung fiel in die Zeit von Ilda's herben Schmer— zen, und ſo lernten ſie ſich eigentlich erſt nach der Rückkehr der letzteren aus England kennen. Damals hatte ſie die erdrückende Schwermuth, die wie ein Mehlthau auf der Blüthe ihrer Jugend lag, abge— ſtreift, ſich entſchloſſen in jede freundliche Verbindung einzugehen, welche das Schickſal ihr bieten würde, und ſich vor allem dabei ihres Vetters erinnert, der ihr immer ſo wol gefallen hatte, wenn er bisweilen Ferien der Studien zu einem Beſuch in Ruhenthal benutzt. Sie lud ihn herzlich ein ihr ſeine Frau vorzuſtellen, und Askanio und Ondine folgten ſo bereitwillig der Einladung, als ob ſie den Gewinn ahnten, der für ſie Beide aus Ilda's Freundſchaft entſpringen würde. Er war groß; denn nicht nur, daß ihr reicher, viel— ſeitig gebildeter Geiſt für Askan ein anziehender Um— gang und für Ondine ein Sporn ward, ihr etwas nachzuſtreben ſondern oft auch ward ſie eine Ver— mittlerin zwiſchen dem etwas zu gebieteriſchen Gemahl und der zu demüthigen Ondine. Nie war Askan ein liebenswürdigerer „Herr,“ als wenn Ilda neben On— dine ſtand, und weil Letztere das fühlte, und dankbar erkannte, wie Ilda ſie zu heben ſuchte, ſo hing ſie an

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ihr wie an ihrem Schutzgeiſt, und weinte drei Tage nach jedem Abſchied. Dann aber vergaß ſie ihren Schmerz von ſelbſt. Der Verkehr zwiſchen den Be— wohnern von Ruhenthal und Schloß Ohlau war un- unterbrochen herzlich. Ilda richtete ihren Reiſeplan ſtets ſo ein, daß ſie kommend und gehend ihre Freunde beſuchte; aber korrespondirt wurde wenig. Askan hatte keine Zeit dazu; Ondine, wie die meiſten Frauen nicht Mädchen liebte nicht zu ſchreiben; und Ilda behauptete, ſie ſchriebe ihren Freunden ſo viel, und fo viel beſſer en gros, daß ihnen das en detail nicht genügen könne.

Während Ilda's Aufenthalt in Italien traten in der Regierung und in der Landesverwaltung Wechſel ein, die Askanios Gegenwart in der Hauptſtadt erfor— derten. Keiner hatte ſich ſo eifrig und thätig für das Wohl ſeiner Provinz gezeigt, darum ward er einmü— thig als Stellvertreter derſelben bei wichtigen Bera— thungen ernannt, die während einiger Monate in der Reſidenz gehalten werden ſollten. Die Trennung von Ondinen und den Knaben ſchien ihm eben ſo unmög— lich als ihr, darum nahm er ein Haus und richtete ſich vollſtändig für den ganzen Winter in der Reſi— denz ein.

Ondine hatte zwar wochenlange Reiſen gemacht, ſie kannte die ſchönſten Punkte Deutſchlands, ſie war in Ruhenthal auf langen Beſuch geweſen; allein dieſe förmliche Ueberſiedelung ihrer Häuslichkeit in eine

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große, fremde Stadt war ihr, vielleicht der erſten Un— behaglichkeit wegen, nicht lieb, und obwol es Anfangs November, alſo höchſt traurig auf dem Lande war, jo vergoß ſie doch heiße Thränen, als ſie in den Reiſe— wagen ſtieg, und der zurückbleibende Theil der Diener— ſchaft weinte ihr nach, denn ſie war eine milde und geliebte Herrin. Askanio begriff nicht dieſe Trauer; er war ja bei ihr, die Knaben waren bei ihr! er meinte, das heimathliche Schloß oder der Wigwam eines Indianers müßten unter dieſen Umſtänden On— dinen gleichgültig ſein. Doch ließ er ſie ungeſtört weinen, und begann erſt dann freundlich ihr zuzuſpre— chen, als ihre Thränen minder heftig floſſen. Sie hörte anfangs nicht ſehr auf ihn; doch als er Vor— ſchläge für ihr häusliches und geſelliges Leben machte, wurde ſie theilnehmend, und erreichte am nächſten Tage in heiterſter Stimmung das Ziel ihrer Reiſe, wo ein bequem eingerichtetes Haus ſie empfing und ſie vol— lends ganz zufrieden ſtellte.

Es war nicht ihre Abſicht viel in die Welt zu gehen. Askanio war ſo durch Geſchäfte in Anſpruch genommen, daß ſie die wenigen Stunden des Bei— ſammenſeins nicht an die Geſellſchaft verſchwenden mogten, ſondern ſich auf den Umgang derjenigen Per— ſonen beſchränken wollten, mit denen Askan in nähere Berührung kam, oder die ihn beſonders anſprachen. Ondine freute ſich auf das Schauſpiel, das ſie leiden— ſchaftlich liebte, und Askanios erſte Sorge war, eine

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Loge zu nehmen, damit ſie täglich ihre Unterhaltung habe. Als ſie zum erſten Mal das Theater beſuchte, wurde eine der ſchönſten Belliniſchen Opern gegeben; doch weder die hinreißende Muſik, noch das bezau— bernde Spiel der Primadonna, noch die ergreifende Stimme des erſten Tenors machten auf das Publikum einen ſolchen Eindruck, als Ondinens Erſcheinung. Alle Lorgnetten hafteten wie verzaubert an ihrer Loge. Eine fremdartigere, feenhaftere Schönheit hatte man lange nicht geſehen. Es herrſchte die Mode des ge— ſcheitelten Haars, die freilich höchſt bequem, aber vor— theilhaft nur für ganz junge, oder regelmäßig ſchöne Geſichter iſt, weil ſie die Züge nicht bloß, ſondern zu— gleich die ganze Form des Kopfes und Nackens ent— hüllt. Ondine aber trug ihr braunes, wie mit glän— zenden Goldfunken beſtreutes Haar, an beiden Seiten des Geſichts in langen, natürlichen Locken bis auf die Bruſt herabfallend. Ihre ſchwarzen, ſammetweichen Augen ruhten ſo friedlich, wie uüͤberhüllte Sterne un: ter den langen Wimpern, und die Grübchen in den Wangen und die geſchwungene kurze Oberlippe gaben den zarten, edlen Zügen einen lieblich kontraſtirenden Ausdruck von Schelmerei. Wie Geſtalt und Anzug waren, konnte niemand beurtheilen; ſie hatte ſich warm und bequem in einen tiefpurpurrothen Shawl gehüllt, und da ſie weder Lorgnette noch Opernglas brauchte, ſo blieb ihre Figur, ſogar ihre Hand, unſichtbar woraus die Damen den logiſchen Schluß zogen: die

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Geſtalt entſpreche nicht der Schönheit des Kopfes. Die Männer hofften das Gegentheil.

In der Loge neben Ondine ſaß Fürſt Caſimir P. Da er während der ganzen Oper eben ſo unbeweglich den Rücken gegen die Bühne kehrte, wie ſie das Ge— ſicht: ſo hatte niemand ſie beſſer und näher geſehen, als eben er, und auf niemand hatte ihre Schönheit einen lebhafteren Eindruck gemacht.

„Gott ſei Dank,“ ſagte er zu einem Freunde, „da iſt endlich einmal ein neues, frappantes Geſicht. Nun kann man doch wieder acht Tage lang mit In— tereſſe in's Schauſpiel gehen!“

„Vielleicht länger.“

„Nein, denn entweder ſie reiſt oder bleibt; in jedem Fall ſucht man ihre Bekanntſchaft zu machen. Ich wünſchte, ſie reiſte ab und ich wäre genug von ihr hingeriſſen um ihr nachzureiſen denn dies lang— weilige Leben iſt beim Himmel nicht mehr zu ertra— gen. Wenn ich nicht meinen Onkel erwarten müßte, wär' ich längſt fort.“

„Aber ſeit wenn nimmſt Du ſolche Rückſichten auf den Onkel?“

„Diable! ſeit mein Geld zu Ende geht.“

„Excellent! wenn haſt Du denn je etwas gehabt?“

„Wenn ich ſage „mein Geld,“ ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß ich meinen Credit meine. Vielleicht wird meine Liebe heftig genug, um den Onkel und die Juden zu plantiren, und jenen göttlichen Augen

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nachzuziehen. Wer kann es ſein? Engländerin? ſie ſieht zu ſchelmiſch aus; Deutſche? zu ungezwungen; Franzöſin? ſie hat keine Toilette gemacht! Polin? Diable, wenn's eine Landsmännin wäre!“

„Du magſt Recht haben! ich mögte den Mann anreden.“

„Den Mann, mein Lieber? was geht uns der an?“

„Vielleicht kann der Logenmeiſter Auskunft ge— ben, wenigſtens den Namen nennen.“ Ladislav zog auf Erkundigungen aus, und war ſo glücklich zu er— fahren, daß der Graf Ohlau dieſe Loge auf ſechs Mo— nate genommen habe und ſich darin befinde.

„Alſo warte ich vor der Hand ſehr gern auf den Onkel,“ ſagte Caſimir, nachdem ihm der Freund ſeine Nachrichten mitgetheilt.

„Die göttliche Frau wird die Königin dieſes Win— ters werden.“ Aber Ladislav's Prophezeihung ſchien nicht wahr werden zu ſollen, denn Ondine kam nicht in die Geſellſchaft, und das Theater war, außer der Promenade, der einzige Ort, wo die Herren Gelegen— heit hatten ſie aus der Ferne zu bewundern. Ihre Lebensweiſe war ihrem Plan gemäß, und ſie wünſchte nicht ſie zu verändern.

„Giebt es denn etwas Stupideres auf der Welt, als einen eiferſüchtigen Gemahl?“ fragte einſt Caſimir in einem Zirkel ſeine Freunde.

„Ja! einen gefälligen.“

„Aber etwas Unbequemeres giebt's nicht.“

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„Und ſo hors de saison! wer iſt denn jetzt von ſo ſchlechtem Ton eiferſüchtig zu ſein?“

„Und wozu hilft's? über lang oder kurz wird er doch düpirt.“

„Gegen wen richtet ſich denn eigentlich dieſe Dia— tribe?“ fragte einer, der noch nicht ſo recht in das Intereſſe des Kreiſes eingeweiht war.

„Quel chinois!“ murmelte Caſimir.

„Gegen den Mann der ſchönſten Frau in Europa.“

„Bah! bah! nur nicht ſo koloſſale Uebertrei— bungen.“

„Was Uebertreibungen! Caſimir verſteht ſich auf Weiberſchönheit und behauptet die Ohlau ſei das nee plus ultra. He, Caſimir?“

„Ja, rief dieſer, ich bleibe dabei! und ich finde es ſchändlich und barbariſch, daß der Ohlau ſie gleich einer Odaliske in's Serail ſperrt. Aber ich ſetze Him— mel und Hölle in e ſie ſoll heraus! iſt ſie aber erſt heraus ...“

„Oho, nicht vorſchnell ſie ſoll ihren un zärtlich lieben.“

„Noch immer? der älteſte der beiden deliziöſen Knaben, mit denen ſie täglich ſpazieren fährt, iſt doch wenigſtens fünf Jahr.“

„Und wenn auch! L'un n’empeche pas Tautre. Die Frauen, die ihren Gemahl zärtlich lieben, ſind des Liebens ſo gewohnt, daß man am leichteſten bei ihnen reüſſirt.“

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„Könnte fie nicht zufällig tugendhaft fein?”

„Deſto beſſer! fo ift man vielleicht der Einzige, und gewiß der Erſte. Ich bete die tugendhaften Frauen an.“

„A leur tour! es wäre traurig, wenn das Tu— gendhaftſein das Angebetetwerden ausſchlöſſe.“

„Bah, Caſimir! wozu das Adjectiv? Sie beten die Frauen an.“

„Bewahre! vom Anbeten iſt nicht viel bei mir die Rede, wenigſtens nicht lange, weil den Frauen im Allgemeinen nicht damit gedient iſt. Aber da die tu— gendhaften die Laune haben, daß die Liebe ſich ihnen nur im Gewande der Anbetung nahen dürfe, ſo kann man ihnen wol den Spaß der Maskerade machen.“

„Bei der Ohlau lohnt es ſich wenigſtens der Mühe. Sie war heute im violetten Sammetpelz auf der Promenade unvergleichlich ſchön. Da ihr Mann ſie begleitete, ſo verließen ſie den Wagen, und gingen einige Mal in der großen Allee auf und nieder. Sie hat einen ganz ſchwebenden Gang und einen wahr— haften Elfenfuß. Wir drängten uns auch Alle an den Wagen um ſie einſteigen zu ſehen.“

„Diable! daß mich die einfältige Euphemie ſo lange feſthalten mußte! Ich habe ſie nicht geſehen! wie ſah ſie aus ich meine die Ohlau.“

„Sie lächelte ein wenig verlegen.“

„Das Lächeln war natürlich, die Verlegenheit Koketterie.“ ö

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„Möglich, obwol es nicht jo ausſah.“

Ondinens Verlegenheit am Morgen war keines— wegs Koketterie geweſen; ſie fand wirklich die Herren außerordentlich unbeſcheiden, ſie mit und ohne Brillen und Lorgnetten anzuſtarren, als ob ſie eine Tänze— rin ſei.

„Daran mußt Du Dich gewöhnen,“ ſagte As— kanio; „wenn man Dich kennt, wird es aufhören.“

„Es iſt wahr, ich habe nicht bemerkt, daß ſie andre Damen ſo impertinent angegafft hätten,“ erwi— derte ſie unbefangen.

Fürſt Caſimir machte aufs Eifrigſte der ſchönen einfältigen Frau des erſten Miniſters den Hof. Sie langweilte ihn aufs Aeußerſte, und er ſann nur darauf, ſie vor der Hand zu ſeinen Abſichten zu brauchen, und wenn dieſe erreicht wären, mit ihr zu brechen. Eines Abends kam er in ihre Loge, ſetzte ſich mit dem Rük— ken gegen das Publikum und ſchwatzte ihr tauſend Fadaiſen vor, die ſie ſehr amüſirten. Auf einmal ſagte er:

„Ihrer Loge gegenüber ſitzt die Gräfin Ohlau. Sagen Sie mir, ob Sie ſie auch ſo ſchön finden, wie man es hier will.“

Die Miniſterin entgegnete: „Frauen ſind nicht unparteiiſch, wenn es die Beurtheilung ſchönerer Frauen gilt.“

„Schönerer à la bonne heure! indeſſen

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dieſe iſt Ihnen nicht gefährlich, fie wird niemand eva— ſiren. Dulden Sie ſie immerhin neben Sich.“ „Dulden? mein Gott, ich habe gar nichts mit ihr zu thun.“ „Wiſſen Sie wol, daß Graf Ohlau geſagt hat, die hieſige Damengeſellſchaft ſei deshalb ſo wenig zu—

vorkommend gegen feine Frau, weil fie ihre Schön-

heit fürchte?“

„Abgeſchmacktes Geſchwätz! wenn er ſeine Frau zu niemand führt, wie ſoll man denn zuvorkommend gegen ſie ſein oder nicht.“

„Ja wol, abgeſchmacktes Geſchwätz! denn ich weiß aus ſicherer Quelle, daß er herzlich froh iſt, wenn ſich niemand um ſeine Frau bekümmert, theils weil er eiferſüchtig wie ein Türk, theils weil ſie von unbe— ſchreiblicher Gaucherie iſt.“

„Wirklich? woher wiſſen Sie das?“

„Er hat einige gute Freunde, die öfter bei ihm ſpeiſen, und die nicht mehr das allgemeine Entzücken theilen, ſeit ſie die Frau in der Nähe geſehen, und ſie geſprochen haben. So etwas wird denn bald durch die guten Freunde bekannt.“

„Wie ſchade, daß eine ſo hübſche Perſon ſo gauche iſt.“

„Und doppelt muß es neben dem Mann auffallen denn er iſt liebenswürdig und gewandt wie wenige.“

Nach einigen Tagen drang der Miniſter, der häufig in Geſchäften mit Askanio zuſammenkam, leb—

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haft in ihn, ſeiner Frau doch ſo bald wie möglich die Bekanntſchaft der Grafin zu gönnen. „Ihre Frau Gemahlin muß ſich hier außerordentlich langweilen, da ſie Ihre Geſellſchaft faſt ganz entbehrt; erlauben Sie uns etwas zu ihrer Unterhaltung beitragen zu dürfen“ ſagte er, und fügte lächelnd hinzu: „oder ſollte es wahr ſein, was man behauptet, daß jede in— nige Liebe mit Eiferſucht verwebt ſei?“

Askanio antwortete auch ſcherzend, verſprach je— doch ſeine Frau recht bald zur Miniſterin zu führen, und theilte dann Ondinen dies Vorhaben mit.

„Gut,“ ſagte ſie, „die Frauen ſind hier vielleicht liebenswürdiger wie die Männer; wir wollen ſie ken— nen lernen.“

Und ſie gingen in eine glänzende Soiree der Miniſterin. Das war der Sprung über den Rubikon. Eine Bekanntſchaft zieht funfzig andere nach ſich. Wer einen Fuß in das Rad der Geſellſchaft geſtellt hat, wird mit fortgewirbelt. Ondine ward es; anfangs unwillkürlich, ſpäter weil dies ganz neue Leben fie amüſirte. Sie ritt und tanzte, ging auf Bälle und Soircen, putzte ſich und mediſirte ein wenig ganz wie die andern Frauen, und dennoch ganz anders: abſichtlos. Askanio gönnte ihr gern dieſe Vergnü— gungen, und freute ſich, daß ſie ſich ſo leicht und un befangen in dieſer fremden Welt bewegte. Für ihn war ſie immer dieſelbe an Zärtlichkeit und Hingebung. Wünſchte er einen Abend zu Hauſe zu bleiben, ſo

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blieb ſie, auch wenn der glänzendſte Ball und das friſcheſte Ballkleid ihrer warteten, und war eben ſo heiter und anmuthig ihm allein gegenüber, als um— ringt von dem eleganteſten Männerkreiſe.

Fürſt Caſimir war natürlich einer der erſten, der ihr ſeine Huldigung darbrachte. Schön und gewandt, und mit jenem Glanz geſchmückt, den das Unglück ſeines Vaterlandes, worin auch das ſeiner Familie ver— wickelt war, ihm lieh, konnte es nicht fehlen, daß er auch von Ondinen, wie von allen Frauen, bemerkt ward. Sie tanzte gern mit ihm, fie hörte ihn noch lieber ſingen allein es blieb bei dieſem geſellſchaft— lichen Intereſſe. So lange er von allgemeinen Din— gen ſprach, ging ſie theilnehmend in die Unterhaltung ein; ſobald er noch ſo leiſe, noch ſo verſteckt, ſie in— niger für ſich zu gewinnen ſuchte, ſah ſie ihn mit Au— gen voll ſo deſolanter Munterkeit an, daß er biswei— len heimlich ſich ſagte: ſie iſt nicht zu gewinnen, ſie durchſchaut mich. Indeſſen verſuchte er auf anderem Wege zum Zweck zu kommen, und die Ungewißheit ſeines Sieges, ſo wie die Anſtrengung, welche es ihn koſtete, um dies arme kleine Herz zu erringen, gab ihm eine innere Aufregung, die in der That einen Anſtrich von mächtiger Leidenſchaft hatte.

Er zog ſich von Ondinen zurück. Man kann ſicher ſein, daß jede Frau ein ſolches Zurückziehen be— merkt, und was mehr iſt höchſt ungern bemerkt, ſchon dann, wenn ſie frühere Huldigung gleichgültig

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oder abweiſend aufgenommen; wie viel mehr, wenn der Mann ihr intereſſant oder angenehm iſt. Ge— wöhnlich werden dann Minen angelegt um ſeine Ver— ſchanzungen in die Luft zu ſprengen; doch Ondine ließ ſich nicht darauf ein, ſie brauchte keine Argliſt, weil ſie keine ahnte. Sie fragte den Fürſten, weshalb er unſichtbar für ſie werde.

Er antwortete ernſt: „Was ſoll ich bei Ihnen? Sie brauchen mich nicht.“

„O doch! z. B. am Piano. Täglich mögte ich Sie Ihre ſchönen Lieder ſingen hören.“

„Für ein Paar Dukaten ſingt Luigi Ihnen ſchö— nere vor.“

„Nun gut! aber für ein Paar Dukaten kann ich mir keinen Mazurkatänzer kaufen.“

„Das iſt auch nicht nöthig, weil alle Männer ſich zu dem Glück drängen werden.“

„Sie ſind langweilig!“ ſagte ſie verdrießlich und kehrte ihm den Rücken. Caſimir jubelte heimlich: „Bravo! dies iſt doch endlich einmal etwas anderes, als ihre ewige Munterkeit.“ er blieb ihr fern. Ondine fing an darüber nachzudenken, ob ſie auf ir— gend eine Weiſe ihn gekränkt haben könne; allein ſie brachte nichts heraus. Dann fiel ihr ein, er könne üble- Nachrichten von feine Familie erhalten haben, und ihr Mitleid ward rege. Abends in einer Soiree rief ſie ihn zu ſich, wies auf einen Sitz, der hinter ihr leer geworden war, und fragte ihn ſo freundlich, ob

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ihm Unangenehmes widerfahren ſei, ſah ihm ſo treu— herzig in die Augen, daß Caſimirs innerſtes Herz ge— rührt worden wäre, wenn er nur ein Herz gehabt hätte.

Er entgegnete: „Mir iſt nichts Unangenehmes begegnet; im Gegentheil! aber .. .. was fragen Sie mich!“

„Ich frage nicht mehr,“ ſagte ſie erſchrocken.

„Ich dächte auch, es wäre unnütz, und Sie müß— ten wiffen, for swift such Knowledge comes.“

„Laſſen Sie doch von der Gewohnheit, ſtets den Byron zu citiren“ ſagte fie verlegen.

„Sobald Sie mir einen Dichter nennen, der ein beſſerer Dollmetſcher meiner Empfindungen ſein könnte

„Wie, der tiefe, glühende, melancholiſche Byron? unterbrach ſie ihn ſtaunend; das hätte ich nimmer gedacht.“

„Weil Sie mich nicht kennen.“

„Warum ſind Sie auch ſo verſteckt?“ fragte ſie heiter und wollte in ihren alten Ton der Munterkeit zurückfallen; aber er rief ſchnell: „Darf ich denn re— den?“ mit einem ſolchen Ausdruck von Glück in Stimme und Blick, daß ſie unbeſonnen heftig den Kopf ſchüt— telte. Hätte ſie kalt geſagt: „Warum denn nicht?“ oder eine ähnliche abweiſende Phraſe, ſo wäre er nicht im Vortheil geweſen. Jetzt nahm er ihn wahr und ſagte traurig:

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„Sie heißen mich ſchweigen und wollen mich nicht verſtehen, alſo müſſen Sie fühlen, daß Ihre Nähe, ſogar Ihre Freundlichkeit mich nur elend machen kön— nen, und darum halte ich mich fern von Ihnen.“

Um Ondinens Lippen ſchwebte ein kleines ſpöt— tiſches Lächeln, doch es verſchwand, als ſie die Augen aufſchlug und Caſimir anſah. Was die Liebe an Glut, und die Anbetung an Tiefe, und die Wahrheit an Treue hat das lag auf ſeinem Geſicht. Er liebt mich wirklich dachte Ondine, und raſch ſtand ſie auf. Jetzt glaubt ſie an mich dachte Caſimir und verließ den Saal.

Ildas Freund, der alte Baron, hat zwar voll— kommen Recht: die Männer ſind einfältig in der Ehe. Hingegen iſt nicht zu leugnen, daß die Frauen in der Liebe wo möglich noch einfältiger ſind. Der Gedanke, wirklich geliebt zu werden, iſt eine Zauberformel, die einen magiſchen Kreis um ſie zieht, innerhalb deſſen ſie blind und taub daſtehen. Kommt noch gar die Vorſtellung hinzu, daß der Liebende ſchweigt, und wie ein Held, ohne Bitte wie ohne Klage, liebt und leidet, ſo niſtet ſich Mitleid in das ſchwache, weiche Herz. Das ſollten die Männer bedenken bei ihren Coquet— terieen, und ihre Triumphe nicht bloß der weiblichen Eitelkeit und ihrer eigenen Unwiderſtehlichkeit zuſchrei— ben. Im Gegentheil! die Frauen werden viel mehr von der Fülle und Wärme des eigenen, als des frem— den Herzens hingeriſſen; indeſſen der Mann in der

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Liebe allenfalls noch ſich beherrſchen, aber nie der Liebe der Frau widerſtehen kann.

Seit jenem Geſpräch näherte ſich Caſimir wieder der Gräfin, d. h. er erſchien, wo ſie erſchien und be— hielt ſie unabläſſig im Auge, ſtand auch bisweilen hin— ter ihrem Stuhl und redete einige banale Phraſen mit ihr; übrigens aber tanzte und ſang er nicht mehr, und war verſunken in ſeine Leidenſchaft. Wohin On— dine den Blick wendete, begegnete ſie dem ſeinen. Sie mogte mit Andern plaudern oder tanzen, er wußte ſich ſo zu ſtellen, daß er ihr auffallen mußte. Dies ru— hige Benehmen, und vor allem ſein Schweigen, ver— fehlten nicht ihre Wirkung. Wie plump, wie unge— ſchickt, wie zudringlich erſchienen andere Männer da— gegen! „Was thut es denn ob er mich liebt?“ fragte ſie ſich oft heimlich. Sie wollte ſich überreden, daß es ihr vollkommen gleichgültig ſei; und ach! unaus— geſetzt flogen die Gedanken zu ihm, und ſie war un— ruhig und zerſtreut, wenn er nicht in der Geſellſchaft war, und ſo froh, wenn er dann plötzlich erſchien.

Nun wurde er gar krank und mehre Tage un— ſichtbar. „Was fehlt Ihrem Freunde?“ fragte ſie bes ſorgt Ladis lang.

„Weiß der Himmel!“ erwiderte der; „er ſchweigt, man erfährt nichts. Seelenſchmerz iſt der Grund der Krankheit, davon bin ich überzeugt, und ich nicht al— lein.“ Er ſah ſie ſcharf an.

Sie rief heftig: „Sagen Sie ihm, er müſſe bis

näch⸗

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ſten Montag geſund ſein; dann habe ich ein wunder— hübſches Conzert bei mir, und ich habe auf ihn ge— rechnet.“ \

Ladislav richtete dem Fürſten dieſe Botſchaft aus. „Sie war ſehr zerſtreut,“ fügte er hinzu, „die Lange— weile war deutlich auf ihr allerliebſtes Geſichtchen ge— malt. Ich habe nie ein pifanteres Weſen geſehen. Wärſt Du nicht mein Freund, bei Gott, ich träte mit Dir in die Schranken.“

„Verſuch' es,“ ſprach Caſimir kalt.

Am Montag Morgen ließ ſich der Fürſt bei On— dinen melden. Ein heller Freudenſtrahl überflog ihr Antlitz und blieb in ihrem Auge hängen, als er ein— trat. Er bat um Verzeihung, daß ſein Befinden ihm noch nicht geſtatte am Abend zu erſcheinen; er habe ihr aber für ihre freundliche Erinnerung danken müſ— ſen. Das Piano war offen; er ſetzte ſich daran, fing

an wunderſchön zu phantaſieren, und endlich zu ſingen.

Nie hatte er mit dieſem Feuer, dieſer Innigkeit ge— ſungen. Bald war Glut in ſeiner Stimme, bald fühlte man Thränen darin. Aus Ondinens Augen rollten ſie längſt über die blühenden Wangen.

Da kehrte er ſich plötzlich zu ihr: „Weinen Sie um mich?“ fragte er mit tiefer, gepreßter Stimme Sie antwortete nicht, ſondern legte die Hand über ihre Augen und weinte heftiger. Da ſtand er raſch auf, ergriff dieſe Hand, bedeckte ſie mit heißen Küſſen, und eilte fort. Als Ondine ſich ein wenig erholt

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hatte, war ihr erſter Gedanke ſich in Askanios Arme zu werfen und ihm Alles zu ſagen; ihr zweiter die Frage: was ſie ihm zu ſagen habe? Sonſt erzählte ſie ihm lachend alle Fadaiſen, alle Schmeicheleien, die ſie im reichen Maaß zu hören bekam; allein von Ca— ſimir ſagte ſie nichts, es wäre ihr unmöglich geweſen, ihren Mann dabei anzuſehen, geſchweige ſich darüber luſtig zu machen. Das verdiente der arme, edle Ca— ſimir nicht! Und dann er ſagte ja kein fades Wort!

Das Conzert fand ſtatt; eine berühmte Pianiſtin ließ ſich hören, Luigi ſang himmliſch; alle Welt betete an. Ondine fand, daß die Künſtlerin einen harten An— ſchlag, und Luigi noch nie ſo ausdruckslos geſungen habe. f Am nächſten Morgen war ſie in unbeſchreiblicher Unruhe. Sie fing einen Brief für Ilda an; aber Ilda hatte ja kaum den erſten aus der Reſidenz er— halten. Sie nahm ein Pack neuer Muſikalien vor; aber beim geſtrigen Conzert waren zwei Saiten auf dem Piano geſprungen. Ihre Söhne ſollten zu ihr kommen; aber ſie hatten Unterricht. Sie ging aus einem Zimmer in's andere und begoß ihre Blumen. So kam ſie an das ihres Mannes. „Wenn ich ihn bäte eine recht lange Promenade mit mir zu machen!“ fiel ihr ein. Sie klopfte leiſe an, dann ſtärker, dann druckte ſie die Thür auf und blickte hinein. Er war nicht da, und ſein Schreibtiſch ſo arrangirt, daß ſie

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ſah, er habe nicht daran gearbeitet. „Warum iſt er nicht da, wenn ich ihn brauche!“ ſeufzte ſie, und ging in den Salon zurück. Fürſt Caſimir ward gemeldet. Sie ſetzte ſich ermattet nieder mit jener Abſpannung, die immer auf eine heftige innere Aufregung folgt.

„Muß ich Sie denn ewig um Vergebung bit— ten?“ ſprach er; „heute geſchieht es der albernen me— lancholiſchen Romanzen wegen, mit denen ich Sie geſtern ſo traurig machte, wie ich ſelber bin. Es ſoll nicht wieder geſchehen.“ ;

„Ach, ſagte Ondine, die Traurigkeit iſt mir lie— ber, als alle Fröhlichkeit der Welt.“

„Doch war es das erſte Mal, daß ich Sie trau— rig ſah und vergeben Sie dem Egoismus es that mir wol.“

„Ich war ſonſt auch immer fröhlich, ich bin es noch, nur zuweilen kommt eine unbegreifliche Trauer ohne allen Grund über mich. Ich glaube, daß ich mich langweile, daß mich dies bunte Treiben abſpannt und nervenſchwach macht, und oft ſehne ich mich in die Einſamkeit meines Schloſſes zurück.“

„Aber Sie denken doch nicht daran uns zu ver— laſſen?“

„Nein. Mein Mann würde es nicht gern ſehen.“

„Und ich und wir Alle .. . o Gräfin, wie können Sie Sich fortſehnen, da Sie doch wiſſen, daß mich Ihre Gegenwart beglückt, daß ich nur in den Stunden lebe, wo ich Sie ſehe, daß Sie meine ganze

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Exiſtenz durch die Magie Ihres Daſeins verklären? Ondine, Sie dürfen und können Sich nicht fort— ſehnen.“

Er kniete halb ernſthaft, halb ſcherzend auf ein Polſter zu ihren Füßen nieder und fuhr fort: „Ich flehe um Widerruf.“

„Frauen gelten nun einmal für inconſequent, alſo kann ich ſchon mein Wort zurücknehmen. Aber ſtehen Sie auf, und ſingen Sie; dann ſind Sie am liebens— würdigſten.“

„Man iſt es immer, wenn man ſich ohne Hehl zeigt. Aber ich kann heute nicht, ich habe Bruſtweh, bin ſchon ganz in der Frühe zwei Stunden lang hef— tig geritten, und es war kalt.“

„Wie unvorſichtig! und weshalb?“

„Es zerſtreut mich; in der heftigen Bewegung bin ich keines eee fähig. Doch ich will ver— ſuchen ob.

„Nein, 1 nicht heute! morgen wird es beſſer ſein dann!“

„Alſo morgen,“ ſagte sie mit freudeſtrahlen— den Augen.

Und ſo kam er täglich, und täglich wurde er On⸗ dinen unentbehrlicher. Die beiden Stunden zwiſchen eins und drei abſorbirten ſie ganz und gar. Sie wußte von keinem Abend und keinem Morgen, von keiner Vergangenheit und keiner Zukunft mehr. Sie dachte nichts, als dieſe zwei Stunden. Die Gegen—

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wart ihres Mannes war ihr peinlich, denn ſſe hatte ihm nichts zu ſagen; an Caſimir ſagte ſie Alles, was ihr eben einſiel, er war nachſichtiger, freundlicher, er liebte ſie, wie Askanio ſie nie geliebt hatte, nie lieben konnte. Auch war ihr Mann mehr als je von Ar— beiten und geſellſchaftlichen Pflichten in Anſpruch ge— nommen. Auch ihre Söhne ſah ſie weniger. Der Vater wollte, daß ſie früh an ernſte Beſchäftigung ſich gewöhnten und hatte einen Gouverneur bei ihnen angeſtellt. Ob es möglich ſei, daß ſie Caſimir liebe, daran dachte ſie nicht. Wozu auch? er hatte ſie ja nie darum gefragt, und würde es nie thun deſſen war ſie gewiß.

Weshalb hätte wol Caſimir ſie fragen ſollen? Er wußte längſt, daß ſie ihn liebte und wie liebte!

Askanio trat eines Abends in das Kabinet ſeiner Frau. Es war unerleuchtet, nur die Straßenlaternen warfen einen röthlichen Schein hinein, ſo daß er On— dine erkennen konnte, die auf der Chaiſe longue lag.

„Biſt Du krank?“ fragte er beſorgt.

92 Nein.“

„Weshalb denn ohne Licht? unangekleidet? was fehlt Dir?“

„Ich bin ich war bei den Kindern, das hat mich aufgehalten.“ ö

„Aber wenn Du mit mir zur Miniſerin gehen willſt, ſo kleide Dich an; es iſt gleich zehn Uhr.“ Er ſchellte der Kammerfrau und ging in den Salon, wäh—

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rend ſie ſich zur Toilette begab. Als ſie nach kurzer Friſt eintrat, in lichtblau und Silber gekleidet, ſah fie aus wie eine Libelle, die im Sommer über dem Waſ— ſer ſchwebt, ſo zart, ſo graziös, daß Askanio den Ver— ſuch machte, ſie zu umarmen. Sie wand ſich aber ſchnell aus ſeinem Arm und ſagte faſt ängſtlich: „Laß mich! laß mich!“ und als er ſie verwundert anſah, ſetzte ſie hinzu: „Du chiffonnirſt das Kleid.“

„Nun, nun!“ erwiderte er, „es würde nicht das erſte Mal ſein! aber Ondine, Du biſt ſo blaß was fehlt Dir?“

„Nichts, gar nichts! ich glaube, dies blaſſe Blau ſteht mir nicht, dann iſt es auch ſehr dunkel hier. Komm' nur.“

Sie langten ſpät auf dem Balle an; dennoch war Caſimir nicht da. Ondine hatte mit einem Blick die Zimmer durchſpäht, dann den Tanzſaal er war noch nicht da. Aber er mußte kommen! Wie konnte er ſie heute warten laſſen gerade heute, wo er wichtige Briefe von ſeinem Onkel erwartete! O wie wichtig waren ihr dieſe Briefe! wenn der alte Gene— ral kam, ſo ſtand ihr vielleicht der Abſchied von Ca— ſimir ſehr nah. Das hatte er ihr am Morgen geſagt, und immer, immer wiederholt, weil ſie es gar nicht begreifen konnte. Und jetzt ließ er ſie warten!

Sie ſchlug einen Tanz aus; es ſchien ihr eine Marter in Reih und Glied gebannt zu ſein und Ca— ſimirs Eintritt nicht ſogleich zu gewahren. Dann

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nahm ſie einen Tänzer an, in der Hoffnung, der leb— hafte Walzer werde ſie betäuben. Sie tanzte, ſie ſprach ohne auf die Muſik noch auf die Unterhal— tung ihrer Tänzers zu achten. Plötzlich trat Caſimir in die Thür und lehnte ſich ruhig an den Pfeiler, weil er ſie tanzen ſah. Sie walzte eben, aber ſie nahm ihn doch wahr, und die Freude lieh ihr Flügel, daß ſie wie ein Elf dahin flog; denn Caſimir ſah hei— ter aus, alſo hatte er gute Nachrichten für ſie.

„Ich weiß Alles, rief ſie, als er nach dem Wal— zer ſie begrüßte; der Onkel kommt noch nicht vor der Hand. Nun iſt alles gut.“

Die Liebe kennt keine Zeit, nur eine Ewigkeit; deshalb iſt ihr ein Tag ſo lang wie Jahrhunderte.

„Dreiwöchentliche Friſt hab' ich,“ ſagte Caſimir, „dann ...“

„Still!“ rief Ondine, krampfhaft den Finger auf den Mund drückend. i

In dieſen drei Wochen that ſie Alles um ihn zu feſſeln, und Caſimir hätte ſich glücklich nennen können, wenn nicht ein Hauch von Reue oder Mitleid biswei— len ſtörend durch ſeinen Sinn geflogen wäre. Dann ſagte er ſich zwar heimlich, wie zur Beruhigung: ſie iſt ſo ſchwach, ſie wird ſich tröſten und mich vergeſſen, denn was vergißt nicht ein Weib!“ Doch wenn er zu ihr kam und ſah, mit welchem Delirium von Freude ſie ihn empfing, und hörte, mit welchem Ent— ſetzen ſie jede Möglichkeit einer Trennung abwies, ſo

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durchrieſelte ein Schauer von Bangigkeit den ſonſt ſo leichtſinnigen, übermüthigen Mann.

„Du kannſt nicht gehen, Caſimir,“ ſagte Ondine, „jetzt nicht mehr, und Du willſt auch nicht. Hätteſt Du wirklich gewollt, ſo wärſt Du früher gegangen. O Du kannſt nicht wollen! Sprich doch, Caſimir! ſage nein!“

„Lieber Engel!“

„Nenne mich nicht immer ſo! Du könnteſt es am Ende glauben und mit mir umgehen, als ob ich ein Engel wäre, der nichts von Schmerzen und Verzweif— lung weiß, und in ſeinem ewigen Himmel keine Hölle ahnt. Ich bin kein Engel! Aber ſage doch nein, Caſimir! was kann Dir denn an dem armſeligen Wört: chen liegen?“

„Wenn Du mich bitteſt, ſag' ich tauſend Nein, Ondine.“

„Recht, o Recht! ſo mußt Du immer ſprechen“ ſagte ſie mit gepreßter Stimme, durch die der in— nere Jubel herauszitterte, denn ſie glaubte an dies zweideutige Nein, für den Augenblick wenigſtens, und warf ſich mit ſo triumphirender Glut in Caſimirs Arme, daß er ſelbſt unſicher war, ob er herrſche oder beherrſcht werde. a

Und Askanio? Askanio dachte: es iſt nichts! es kann und darf ja nicht ſein! ich müßte ſie verach— ten, und mein Weib iſt nicht dazu geſchaffen, um von mir verachtet zu werden; aber bei einer ſchicklichen Ge—

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legenheit ſoll ſie fort.“ Er konnte nicht fragen, noch forſchen ſein ganzer Stolz lehnte ſich dawi— der auf, ihr eine Ahnung von Mißtrauen zu zeigen. Aber derſelbe Stolz verhinderte ihn auch auf irgend eine Weiſe mit ſeiner alten Liebe gegen die neue Liebe in die Schranken zu treten. Er mogte ſich keine Mühe geben, um das wieder zu gewinnen, was er als ſein unverlierbares Eigenthum anſah; er mogte es ſich nicht geſtehen, daß er auf dem Punkte ſei es zu verlieren. Aber die Rettung eines geliebten, vom Untergang be— drohten Geſchöpfes ſollte der Ueberwindung des Stol— zes werth ſein! Ach, er wird bisweilen überwunden, wenn der rechte Moment verfehlt, wenn es zu ſpät iſt.

Es verging ein Morgen, ohne daß Caſimir bei Ondinen erſchien, ein Tag, ohne ihr Brief oder Bot— ſchaft von ihm zu bringen. Was war ihm geſchehen? ein Unglück? vielleicht fort. . Kalter Schauer ſchüttelte ſie. Ihre Hoffnung war auf den Abend ge— ſtellt, wo er in der Soiree des ruſſiſchen Geſandten gewiß erſcheinen würde. Eine Stunde vor der Zeit wollte fie ſchon an ihre Toilette gehen, da trat As— kanio in ihr Kabinet und fagte: -

„Ich bringe Dir eine Nachricht, die Dich freuen wird. Ich habe auf einige Wochen mich beurlaubt und in den erſten Tagen können wir nach Ohlau ge— hen und uns am Frühling erquicken.“

„Himmel, warum ſo plötzlich!“

„Wir bedürfen beide der Erholung, Ondine, wir

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werden ſie dort finden, freie friſche Luft athmen, grüne Bäume ſehen Du freuſt Dich nicht?

„Morgen, Askanio, morgen!“

„Morgen? was ſoll das heißen, Ondine? Du delirirſt.“

„Ich meine morgen wollen wir von der Sache ſprechen und ſie arrangiren ar bin ich ſo ums wohl, das heißt ſo fatiguirt .. . und nun muß ich mich ankleiden.“

„Ich verberge Dir nicht, daß ich hauptfächlich Deinetwegen gehe, denn Du biſt in einem Zuſtand von nervöſer Aufregung, der nicht ſein ſollte. Einſam— keit, Ruhe und Stille werden Dir wol thun, hoffe ich, wünſche ich.“

„Außerordentlich wol! ich, glaub' es auch. Aber mein Kopfweh macht mich heute jedes Gedankens un— fähig.“

„So dächte ich Du bliebeſt zu Hauſe und gingeſt zu Bett.“

„Im Gegentheil, ich muß mich betäuben. & revoir.“

Sie entſchlüpfte. Eine Stunde darauf trat ihr im Salon des Geſandten Caſimir entgegen, und flü— ſterte ihr zu:

„Ich war keiner Minute Herr darum Ver— gebung! mein Onkel iſt gekommen.“

Leichenbläſſe legte ſich auf ihr Antlitz und zitternd mußte ſie ſich ſetzen. Um jedoch kein Aufſehen zu

ji

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machen, ſuchte ſie einen heitern Ton und eine lächelnd Miene anzunehmen und fragte:

„Wohin geht die Reiſe nun?“

„Nach Paris.“ 7

„Wann wird ſie angetreten?“

„Am nächſten Dinstag.“

„Dann gehe ich auch.“

„Wohin?“ 1

Num, nach Paris! wohin denn ſonſt? ſeltſame Frage.“

Caſimir prallte zurück. Der Ton war ſcherzend, doch in ihrem Blick lag ein fürchterlicher Ernſt.

„Unmöglich!“ ſtammelte er, „das iſt ganz, ganz unmöglich!“

„Wenn ich aber will, wer kann mich hindern?“

„Ich.“

Sie ſah ihn durchbohrend an, dann ward ihr Auge ſtarr, und mit einem dumpfen Seufzer ſank ſie ohnmächtig zuſammen. Er entſtand großes Geräuſch, gewaltiges Gedränge. „Was iſt's? was giebt es?“ fragte Alles. Da durchbrach ein junger Mann die zuſammengehäufte Menge, warf ſich nach Luft ſchnap— pend auf ein Sopha und ſagte zu einigen Eintretenden:

„Es iſt gar nichts. Die Ohlau liegt in Ohn— macht, weil Fürſt Caſimir vom Abreiſen ſpricht.“

Askanio ſtand hinter ihm. Ondine war in das Schlafzimmer der Frau vom Hauſe gebracht, und lag ſtarr und bleich, mit Blumen bekränzt, wie eine

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geſchmückte Leiche auf dem Bett. Es dauerte lange, bis ſie ſich erholte. Da trat ihr Mann ein, dankte den ſie umgebenden Damen, warf ihr einen Mantel um, und trug ſie die Treppe hinab und in den Wa— gen, ohne eine Sylbe zu ihr zu ſprechen. Auch er ſtieg ein und ſchweigend fuhren ſie fort. Auf ihrem einſamen Zimmer, das Askan ſogleich verließ, nachdem er ſie in ſichern Händen wußte, kehrte Ondine erſt zu voller Beſinnung und zum Schmerz zurück. Caſimir wollte ſie verlaſſen das war ihr klar wenn durch die fieberhafte Zerrüttung ihres Kopfes ein Strahl von Beſinnung drang.

Caſimir hatte die Soiree gleich nach Ondinen verlaſſen. In ſeinen Mantel gewickelt, ging er die Straße vor ihrem Hauſe hinab. Vielleicht war noch die Thür offen, vielleicht konnte er noch ihre Leute ſprechen, die Kammerfrau, ſie ſelbſt, und ſie wenigſtens fo weit beruhigen, daß fie jeden zerſtörenden Eclat vers miede. Wie er das bewerkſtelligen wolle, wußte er noch nicht; er vertraute aber ſeiner Gewalt über ſie, wenn er ſie nur ſprechen könne. Ihm folgen, ihm nachreiſen, Alles für ihn verlaſſen, ihre ganze Exiſtenz ruiniren das durfte ſie nicht; denn was ſollte er mit ihr anfangen. „Hätte ich ahnen können, daß ein Verhältniß dieſer Art ſolch eine diablement ernſte Wendung nehmen könne nie hätte ich es ange— knüpft“ murmelte er vor ſich hin. Und das ſa— gen ſehr viel Männer in ähnlichen Augenblicken; als

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ob fie, die immer ihre Abſichten verfolgten, wirklich hingeriſſen worden wären!

Ondinens Haus war ganz unerleuchtet, die Vor— halle und ihr Zimmer in tiefem Dunkel; nur in As: kanios Zimmer war Licht. „Das hilft mir nichts!“ ſagte Caſimir unmuthig, nachdem er mehre Minuten in Ungewißheit und Erwartung dageſtanden, und ging in ſeine Wohnung.

Kaum war er am nächſten Morgen aufgeſtanden, als Askanio ungemeldet, und den Kammerdiener bei Seite ſchiebend, in ſein Zimmer trat. Er ſah ſehr blaß und ſehr ruhig aus und ſagte: „Ich komme ohne Ceremonie; bei unſerm Geſchäft, mein' ich', wäre ſie überflüſſig.“

Caſimir erhob ſich eben ſo ruhig, trat an einen Schrank, und nahm einige Paar Piſtolen heraus. Aber Askanio rief:

„Nichts da! wenn Blut die Schuld abwaſchen könnte, ſo würde ich Sie auf der Stelle niederſchießen, und Sie ſehen, ich habe keine Waffen mitgebracht.“

„Und was kann ſonſt zu Ihren Dienſten ſtehen?“ fragte Caſimir kalt.

„Ich erſuche Sie auf der Stelle ein Billet an ... an die Gräfin Ohlau zu ſchreiben, worin Sie von ihr Abſchied nehmen und ihr ſagen, daß Sie in zwei Stunden dieſe Stadt verlaſſen, und ſie nie wieder ſe— hen werden. Ferner werden Sie mir ihr Ehrenwort geben, daß dies pünktlich geſchehen wird.“

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„Es war meine Abſicht, in einigen Tagen zu rei— ſen, ich ſehe nicht ein, weshalb ich meinen Entſchluß ändern ſoll.“

„Weil es nothwendig iſt“ ſagte Askan eiſig.

„Sind Sie das Fatum!“ fuhr Caſimir auf.

„Ich bin die ſichtbare Vorſehung der Frau die Sie elend gemacht haben. Ich handle nur in de— ren Intereſſe, und wenn Sie nicht der erbärmlichſte der Menſchen ſind, ſo ſind Sie ihr ein Gleiches ſchuldig.“

„Was wollen Sie mit der Gräfin beginnen?“ fragte unruhig Caſimir.

„Nichts,“ ſagte Askanio und lächelte bitter; „aber ſie ſoll die Ueberzeugung gewinnen, daß es unmöglich iſt, Sie je wieder zu ſehen.“

„Es mag ſo am Beſten ſein“ ſprach Caſimir nachdenkend, ſetzte ſich an den En und ſchrieb haſtig:

„Um Dir die Todesqual des Abschieds zu ſparen „und mir die Folter Dich leiden zu ſehen, reiſe ich „heute, jetzt, gleich, meine geliebte Ondine. Wenn „Du dieſe Zeilen erhältſt, bin ich ſchon fern, fern „auf immer, wir dürfen uns nicht wiederſehen. „Mache mir nicht den unſäglichen Schmerz, mir „vorwerfen zu müſſen, daß ich Deine äußerliche „Exiſtenz ſo zertrümmert, wie ich Dein zartes, ſchö— nes Herz zerriſſen habe. Vergiß, Du lieblicher „Engel, den Menſchen, der Dich grauſam aus Dei—

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„nem Himmel geſtürzt hat, und vergieb ihm dieſen „neuen Schmerz. Caſimir.“

Er wollte das Blatt ſiegeln; aber Askan, der während des Schreibens im Zimmer auf und nieder gegangen war, rief:

„Das iſt nicht nöthig! ich bringe ihr ſelbſt das Blatt, denn ſie ſoll wiſſen, daß ich Alles weiß.“ Er nahm es, überflog es, ſagte bitter: „Gut ſo!“ und wandte ſich dann zu Caſimir:

„Jetzt Ihr Ehrenwort, daß Sie binnen zwei Stunden die Stadt verlaſſen und nie den Verſuch machen werden die Unglückſelige je wiederzuſehen.“

„Ich geb' es“ ſagte Caſimir und ohne Gruß ging Askanio.

Der Fürſt ſchellte ſeinem Kammerdiener. „Pferde! Einpacken auf der Stelle! Je ſchneller fort, deſto beſ— fer! Ihm war eine Centnerlaſt von der Bruſt ges hoben; nach ſeiner Meinung war Alles beendet. Er flog zu ſeinem Onkel um ihm zu ſagen, daß er den— ſelben funfzig Meilen von hier erwarten würde, bat ihn überall Abſchiedskarten für ihn hinzuſenden, ſeine Geldangelegenheiten zu berichtigen, und als der Onkel Alles verſprochen hatte, eilte er zurück um beim Packen ſelbſt Hand anzulegen und die Abreiſe zu beſchleunigen.

Askanio ging während der Zeit zu Ondinen, fand ſie in fieberhafter Aufregung, doch völlig geklei— det, als ob ſie jemand erwarte, reichte ihr das Blatt, ſagte: „Lies, und faſſe Dich; es iſt unwiderruflich“

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und verließ ſie. Sie entfaltete es mechaniſch, dann erkannte ſie Caſimirs Hand und las, aber zerſtreut; dann wie kam ihr Mann dazu? Sie las es aber einmal, zwei- und dreimal; da hatte ſie es verſtanden. Ihre Hände waren eiskalt, krampfhaft ſchlugen ihre Zähne aneinander, eine kalte Fauſt krallte nach ihrem Herzen; da raffte ſie ſich auf und ſagte: „Es iſt nicht ſein Ernſt, Askan hat ihn gezwungen! ich muß das wiſſen ehe es zu ſpät iſt.“

Sie holte ſich Handſchuh und Hut, zog den Schleier vor's Geſicht und ſchlüpfte behend die Treppe Bine aus dem Hauſe.

In Caſimirs Vorzimmer war Alles in 1 Verwirrung. Da ſtanden halbgefüllte Koffer, da la— gen Kleider, Bücher, Papiere, Waffen, da kramten die Bedienten aus und ein, und trugen Sachen ab und zu. Da trat Ondine ein und ſah, daß es Ernſt war. Die Leute, an ähnliche Beſuche bei ihrem Herrn ge— wöhnt, ſahen ſie kaum an. Einer machte ihr flüchtig die Thür des Zimmers auf, und wies nach einem Ka— binet. Da ſaß Caſimir den Rücken ihr zugewendet, Kaſſetten und Portefeuille ordnend, und ihren leiſen Tritt nicht beachtend. Sie ſchlug mit der einen Hand den Schleier zurück und legte die andre auf ſeine Schulter; er fuhr empor und erkannte ſie mit Ents ſetzen. Sein erſter Gedanke war: „Sollte fie wahn⸗ finnig ſein!“ denn an und Wange brannten in

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krankhafter Glut, und ihre ganze Erſcheinung war vollkommen haltungslos.

„Ondine, Du quälſt mich fürchterlich,“ ſprach er beängſtigt; „was willſt Du hier?“

„Dich ſehen, ſehen, o nur ſehen, Caſimir“ ſagte ſie mit unendlich ſchmerzvollem Ausdruck, ſchlang den Arm um ſeinen Nacken, lehnte den Kopf an ſeine Bruſt, und ſchien ruhig entſchloſſen ſo zu leben oder zu ſterben. Caſimir war auf der Folter.

„Beſinne Dich, Ondine! Welch gräßlicher Zu— ſtand . . . ich gab Deinem Mann mein Ehrenwort Dich nicht zu ſehen ... Du mußt bei ihm bleiben. Nicht wahr, Engel? Sieh, ich gehe fort, weiß Gott wohin, nach Algier, nach Amerika Du mußt bleiben ...“

„Bei Dir,“ ſagte ſie faſt unhörbar. Da blies der Poſtillon.

„Nun ſo komm' mit mir zu Deinem Mann,“ rief Caſimir in Verzweiflung, „er ſoll entſcheiden.“

Er ließ fie auf ein Sopha nieder, während er fein Portefeuille ordnete, dann gab er den Leuten ſeine Be— fehle, und als der Wagen gepackt war, führte er Ondine hinab, ließ ſie einſteigen, und hielt in wenigen Minu— ten vor ihrem Hauſe. Askan ſah Beide mit kalter Verachtung in ſein Zimmer treten, und ſagte zum Fürſten: 2

„Ich hätte mir vorſtellen können, daß Sie Ihr Ehrenwort auf dieſe Weiſe halten würden.“

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„Davon iſt gar keine Rede mehr!“ ſagte der ungeduldig.

„Und Sie wollen ein Edelmann ſein!“ rief As— kan empört; „der geringſte meiner Stallbedienten han— delt nicht ehrloſer!“

„Askanio!“ rief Ondine zu ſeinen Füßen ſinkend, „es iſt nicht ſeine Schuld ich ſuchte ihn auf! ich ich liebe ihn, ich kann nicht von ihm laſſen.“

„Und das wagſt Du mir zu ſagen?“

„Ich muß es Dir ſagen, damit Du mir meine Freiheit giebſt.“

„Und dieſe Freiheit willſt Du benutzen, um aus den Armen eines Mannes in die eines andern zu ſin— ken? nimmermehr! das entwürdigt Dich!“

„Und wenn ich . ..“

„Schweig!“ rief er heftig, und dunkler Zorn flammte injfeinem Auge; „laß mich! nicht vergeſſen, daß Du die Mutter meiner Söhne biſt denn das bleibſt Du, wenn Du auch aufhörſt meine Frau zu ſein.“

„Ich kann Dir nichts, gar nichts mehr ſein, As— kanio; ich war ein Kind, als ich Dich heirathete, wußte von nichts, am wenigſten von der Liebe gieb mir meine Freiheit.“

„Hab' ich Dich je gekränkt, Ondine? war ich Dir nicht immer ein treuer, ſorgſamer Freund? haſt Du je bei mir eine Ahnung von Kummer gehabt? ruht denn etwas anderes als eine lange, liebliche Er—

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innerung auf dieſen ſieben Jahren der Blüthenzeit Deines Lebens, wo Du unſchuldig und glücklich warſt?“

„O das iſt ja vorbei, Askanio!“

„Wohl iſt's vorbei, Unglückliche, aber darum trage das Schickſal, das Du Selbſt verſchuldet haſt, und verſuche nicht mit frecher Hand aus dem zertrüm— merten Göttertempel Deines Glücks Dir eine kläg— liche Hütte zu erbauen. Mit Deinen Erinnerungen fängt man kein neues Leben an fängſt Du keines an, denn Du wirſt bereuen, und dann erſt recht elend ſein.“

„Ob elend ob ſelig, gilt gleich wenn ich nur bei ihm bin.“

„Und wäre er ein andrer Mann, ein ſtarker, fe— ſter, der Dich ſchirmte und ſchützte aber dieſer ver— läßt Dich und Du gehſt unter. Du mußt enden, wie Du begonnen haſt, denn eine zerriſſene Exiſtenz iſt keine mehr, iſt nur eine Schmach, und wenn Du ſie auch ertragen könnteſt, ich könnte es nicht.“

„Graf,“ unterbrach ihn Caſimir, „Ihre Ehe iſt zu löſen. Sie ſehen, wie entſchieden die Gräfin iſt, alſo geben Sie ihr die Freiheit, und von demſelben Augen— blick an bin ich ſtolz, wenn ſie mir ihre Hand rei— chen will.“

„Ondine, Du ſcheideſt von Allem, von Frieden, Ehre, Glück und Ruhe, von Deinen Kindern ...“

„Ich kann nicht Mutter Deiner Kinder ſein, As— kanio! Barmherzigkeit! gieb mir die Freiheit!“

„Wolan, fie fol Dir werden ...“

7 *

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„Großmüthigſter, edelſter der Menſchen!“ rief Ondine in Thränen ausbrechend.

Auch Caſimir wollte etwas von Dank ſtammeln, doch Askan ſprach abwehrend:

„O nichts, nichts davon! Es bleibt dabei, daß Sie, Fürſt, vor der Hand reiſen die kurze Tren— nung wirſt Du ertragen können, Ondine? Die Welt hat dann weniger zu reden, und das iſt immer gut. Du bleibſt hier. Ich gehe, wie es meine Ab— ſicht war, nach Ohlau, und von dort leite ich Alles ein, wie Du es gewünſcht haſt. Jetzt reiſen Sie, Fürſt, von dieſem Augenblick an ſtehe ich Ihrer Liebe nicht mehr entgegen.“

Caſimir ſchloß Ondine ſtürmiſch in ſeine Arme und der Wagen rollte mit ihm fort auf dem Wege nach Paris. „Diable, wie wird das enden!“ rief er.

Einige Tage darauf trat Askanio nach kurzem Abſchied von Ondinen ſeine Reiſe an. Sie ſah ihn nie wieder. Mit einem zertrümmerten Glück, einem gekränkten Ehrgefühl, einem vernichteten Lebenszweck, einem zerriſſenen Herzen, einem in Grund und Boden, von Innen und Außen zerſtörten Daſein mogte Askanio nicht mehr leben. „Ich kann nicht die eine Hälfte meines Lebens durch die andre Lügen ſtra— fen“ das war ſein einziger Gedanke „kann nicht verleugnen, was ich geliebt, kann nicht verachten, was ich geehrt habe.“

Nach vier Wochen erhielt Ondine die Nachricht,

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daß der Graf auf der Jagd verunglüdt ſei. Es fand ſich keine Zeile des Abſchieds für ſie, keine Schrift, in welcher auf ihre projectirte Scheidung hingewieſen wäre, auch in feinem kürzlich abgefaßten Teſtament nichts, was auf eine Spannung zwiſchen ihnen ſchlie— ßen ließ. Denn obgleich er ihr nicht die Vormund— ſchaft und Erziehung der Söhne anvertraute, ſo ſagte er doch nnr, es geſchehe, theils um ihr die Sorgen der Geſchäfte zu erſparen, theils weil ihr weicher nach— gebender Sinn es ihr unmöglich machen würde, eine Knabenerziehung glücklich zu leiten. Ein glänzendes Witthum, das ſie unter allen Umſtänden behielt, war ihr ſchon früher ausgeſetzt. Niemand konnte vermu— then, daß er ſich ſelbſt den Tod gegeben. Als Ilda im Gaſthof zu Landeck ihm ſchrieb, ruhte er längſt in der Gruft ſeiner Ahnen.

Sein Tod traf Ondinens Herz. Sie war zer— ſchmettert. Heftige Krankheit befiel ſie. Kaum gene— ſen übergab ſie ihre Söhne den dazu beſtellten Vor— mündern, und ging nach Italien, wo ſie mit Caſimir zuſammentreffen wollte. Ihr Wagen war es, deſſen Wappen Ilda auf der Som des Wormſer Joches 10 beunruhigte.

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Fünftes Kapitel.

Es giebt eine Trauer, die durch die Zeit ge— ſchärft, eine andre, die durch die Zeit geſtillt wird. Ildas Trauer um Askan und Ondine empfand den wohlthätigen Einfluß der Zeit, denn ihr Herz war durch dies unglückliche Ereigniß tief verwundet zwar, doch nicht zerriſſen; und für Wunden giebt es Balſam und Heilung, aber für Zerſtörung nichts. Ilda hatte durch die Geſandtſchaft Ondinens Aufenthalt in Ita— lien erfahren, und ihr ſogleich nach Florenz geſchrieben, wo ſie in einer kleinen Villa am Ufer des Arno ein— ſam lebte. Ondinens Antwort war voll Dank, Rüh— rung und Liebe für Ilda, und da ſie Caſimir erwar— tete, ſo ſprach ſie hoffende Zuverſicht aus. Ilda wußte nichts von Caſimir, daher hoffte auch ſie, und faßte Vertrauen für die Zukunft ihrer Couſine.

Die Geſellſchaftszimmer im Ruhenthaler Schloß waren glänzend erleuchtet und Ilda empfing die Gäſte, die ſie zum Ball eingeladen und nicht eingeladen hatte, denn ihre näheren Freunde durften heute diejenigen Perſonen einführen, welche ihre Bekanntſchaft wünſch— ten. Sie ſtand in einem Halbkreis von hohen, präch—

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tigen ausländischen Gewächſen, an den Sockel einer großen Marmorvaſe gelehnt, ganz einfach weiß ge— kleidet. Der leichte Muſſelin, die zarten weißen Fe— dern, ihren Kopfputz bildend, und der Fächer von wei— ßen Federn ließen ihre Geſtalt wie aus einem Nebel— wölkchen hervortreten und zeichneten ſie lieblich auf den grünen Hintergrund ab. Figur, Haltung und Bewe— gungen hatten jene unnachahmliche Grazie, die aus dem vollkommenen Ebenmaß der Geſtalt, und aus der vollkommenen Sorgloſigkeit, ſie geltend zu machen, ent— ſpringt. Sie ſah freundlich aus; es war nicht die ba— nale Freundlichkeit des Salons, die nur hergebrachte Maske für die Gleichgültigkeit iſt, ſondern ſie freute ſich wirklich alle dieſe Menſchen, die ihr theils be— kannt, theils befreundet waren, nach Jahren wieder bei ſich verſammelt zu ſehen. Bisweilen lächelte ſie; dann war ſie bezaubernd; aber dies Lächeln war ſel— ten, wie ein Meteor.

Ein Herr von Werffen war ihr vorgeſtellt wor— den, ein Mann, von dem ſie viel hatte reden hören als geiſtreich und talentvoll, tüchtiger Muſiker, hübſch componirend, fchen zeichnend. Er hatte einige ihrer Gedichte in Muſik geſetzt und ſie dankte ihm dafür. Er ſagte:

„Ich ſchmeichle mir in der That, daß mir die Auffaſſung geglückt iſt.“

„Von einem gewiſſen Standpunkt aus gewiß! entgegnete ſie mehr aufrichtig als ſchmeichelhaft; es

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ift eine eigene Sache mit der richtigen Auffaſſung ei— nes Liedes. Zelter, Reichardt und Beethoven haben alle drei „Freudvoll und leidvoll“ componirt, und wer die Worte nicht hört, glaubt nimmermehr daß es ein und daſſelbe Lied ſein könne.“

„Und wer hat es, Ihrer Meinung, nach: am richtigſten aufgefaßt.“ a

„Das entſcheiden Sie Selbſt! gelters Lied, ee backen, proſaiſch und kühl, ſingt eine gute Hausfrau, Mutter von ſechs bis acht Kindern, wenn ſie einmal ſingt. Reichardts Lied ſingt das bebende, ſelige, in Jubel und Weh zerſchmelzende, jungfräuliche Herz. Beethovens Lied aber muß die Seele ſingen, vor der ſich die Liebe in ihrer Unendlichkeit wie ein Himmel oder ein Meeresabgrund ausbreitet; da hinein muß ſie, ob zum Untergang oder zur Verklärung gleich— viel! ſie fragt nicht, ſie zögert nicht, ſie ſtürzt ſich in ihr Element, und das wird ihr Triumph, wenn auch ihr Tod, ſein! Nun?“

„Sie haben ſo eben ein neues Gedicht gemacht, gnädige Gräfin, jedoch find Sie ungerecht, wenn...“

„Ach lieber Baron,“ rief Ilda ihrem alten Freunde zu, „kommen Sie denn heute gar nicht!“

„Brav von Ihnen, daß Sie mich vermißt ha— ben! für graues Haar und ſechszig Jahre haben die Damen ſelten dieſe Aufmerkſamkeit. Nun erlauben Sie mir, Ihnen den Herrn Otto vorzuſtellen, der ſeit

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Monaten ſich nach dem Glück Ihrer Bekanntſchaft ſehnt .. .“

„Um vielleicht enttäuſcht zu werden“ ſagte Ilda zwiſchen Spott und Ernſt, und wandte ſich zu Otto. Der trat lebhaft ihr näher und ſagte:

„Unmöglich, gnädige Gräfin! Sie ſtehen längſt ſchleierlos vor mir.“

„Das freut mich,“ erwiederte ſie unbefangen, „ich glaube, daß ich nur dadurch gewinnen kann.“ Und jenes zauberhafte Lächeln, das einigen Bildern Leo— nardos ſolche wunderbare Magie verleiht, glitt über ihre Züge. Es war etwas in Ottos Erſcheinung, das ſie außerordentlich frappirte. „Der Menſch ſieht aus wie ein Menſch, nicht wie eine Puppe“ dachte ſie heimlich.

Das iſt aber etwas höchſt Seltenes; denn der Profeſſor, der Lieutenant, der Kammerherr, der Prä— ſident, ſehen immer ganz genau aus wie Profeſſor, Lieutenant, Kammerherr und Präſident, aber gar nicht wie ein Ich, wie ein beſtimmtes Individuum. Von Rang, Stand und Beruf laſſen fie ſich einen herge— brachten Stempel aufdrücken, weil ihnen eben Rang, Stand und Beruf mehr gelten als ihre innere Per— ſönlichkeit, und daher ſind die meiſten Menſchen wie im Atelier die Gliederpuppe, welche disgraziös das Gewand trägt, das ihr der Maler umgeworfen hat, um den Faltenwurf zu ſtudieren. Bei Otto war es unmöglich zu erkennen, welchem Stande er angehöre,

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welchen Beruf er gewählt. Sein Benehmen hatte eine durchaus ariſtokratiſche Aiſance, ohne die ſchlaffe, langweilige Nachläſſigkeit der Ariſtokratie; ſein Ton war frei und lebhaft, ohne die brüsken, harten, unga— lanten, bürgerlichen Manieren. In Gang und Hal— tung war dieſelbe Friſche und Ungezwungenheit. Der Kopf war prächtig, von jenem marmorfarbenen, durch— ſichtigen Colorit, das blonde Maͤnner nie, und brünette höchſt ſelten haben, und das, mit dunkeln Augen und Haar contraſtirend, den ſtrahlenden Lichteffect hervor— brachte, der auf Gemälden von Rembrandt ſo häufig und ſo magiſch iſt. Wenn er ſchwieg, war der Aus— druck des Geſichts nachdenkend und ſehr ernſt; wenn er ſprach, heiter, faſt übermüthig, weil die ſehr kurze, ſcharfgeſchnittene Oberlippe und die blendend weißen Zähne dem Munde einen leiſen Anflug von Ironie gaben. Dieſer kleine Zug brachte ihn um das Glück von allen Frauen für einen ſchönen Mann erklärt zu werben. Frauen haſſen nichts fo ſehr, als die Ironie, wahrſcheinlich deshalb weil ſie ihnen nicht zu Gebot ſteht, und ungern laſſen ſie Männer mit dieſem Aus— druck oder dieſer Richtung für ſchön oder liebenswür— dig gelten.

Es wurde lebhaft getanzt und jeder unterhielt ſich wie er konnte und wollte. Otto trat aus einer Männergruppe heraus, und ſah mit untergeſchlagenen Armen dem Tanze zu. Ilda die eben durch den Saal ging, blieb vor ihm ſtehen und fragte:

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„Warum tanzen Sie nicht?“

„Aber welcher Mann iſt ſo glücklich heut zu Tag' bei dreißig Jahren noch tanzen zu können?“ fragte er dagegen; „man hat einſt getanzt, als man jung war.“

„O nur nicht alt ſein! das iſt zu langweilig! Und langweilen Sie Sich nicht hier?“

„Nein! mit meinen Gedanken langweil' ich mich nie.“

„Laſſen Sie hören, ob Ihre Gedanken wirklich unterhaltend ſind; Was dachten Sie vorhin?“

„Wie es möglich iſt, daß alle dieſe Leute ſo mun— ter tanzen, da ſie ja eigentlich in tiefem Schlaf liegen.“

„Nachtwandler ſind im Schlaf am geſchickteſten. Und dann?“

„Ich denke nicht ſo viel auf einmal“ ſagte er lachend.

„Seltſam, was die Menſchen ſich für Mühe ge— ben ihre Gedanken zu verbergen!“

„Gar nicht ſeltſam! denn wem liegt daran, daß ich ihm die meinen offenbare?“

„Wenn Alle ſo dächten, würde niemand ein Buch herausgeben.“

„Das Genie hat Recht das Gegentheil voraus- zuſetzen.“

„Dann iſt es immer im Nachtheil! es giebt ſich hin, es enthüllt ſich und findet keine Wahrheit.“

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„Sagen Sie: im Vortheil denn um ſeiner Wahrheit willen wird es angebetet.“

„Da könnte ja ein Jeder für dieſen Preis die Wonne der Vergötterung genießen.“

„Nein, ſo dumm ſind Gottlob die Menſchen nicht, daß ſie vor der Offenbarung einer gemeinen oder alltäglichen Natur knieeten.“

„Doch umtanzen ſie jedes goldene Kalb!“

Herr von Werffen trat heran und miſchte ſich in das Geſpräch. Otto zog ſich zurück. Im Lauf des Abends hatte die Gräfin nur Gelegenheit ihm flüchtig zu ſagen, daß fie ſich freuen würde ihn öfter bei ſich zu ſehen.

„Wie gefällt Ihnen Otto?“ fragte ſie der Baron.

„Gut. Er ſpricht. Man braucht nicht jedes Wort mühſelig wie Funken aus dem Kieſel heraus— zuſchlagen.“

„Und Werffen?“

„So ſo! Er hat noch nicht ſein Licht leuchten laſſen können. Wir wollen erſt hören, wie er das Piano ſpielt. Es können nicht alle Leute auf dieſelbe Weiſe liebenswürdig ſein, und ich bin ganz froh, wenn ſie es überhaupt auf irgend eine ſind.“

„Er iſt wirklich ein ſehr ſchöner Menſch.“

„Wer, lieber Baron?“

„Nun Werffen! ich meine Sie ſprechen von ihm.“

„Sie wiſſen ja längſt, daß ich keine Blondins liebe.“

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„Und Polydor mit ſeinen ſchönen blonden Locken?“

„Ach meinen Polydor hab' ich lieb ohne ihn ſchön zu finden. Ich hatte heute Briefe von ihm. Es geht ihm fortwährend gut. Meine kleine Büſte, die er in der erſten Kunſthandlung aufgeſtellt, hat glänzenden Beifall gefunden und alle Frauen wollen von ihm gemeißelt ſind. Er kann fordern, welche Be— zahlung er will man giebt ſie ihm.“

„Wenn er nur nicht übermüthig wird.“

„Wol möglich! doch das iſt bei einem ächten Künſtler nur eine Uebergangsepoche er muß hin: durch.“

„Und wenn ihn die Frauen nur nicht verderben, eitel und fade machen; ſie haben ein eigenes Ta— lent dafür die Männer zu verderben!“

„Ach die armen, unſchuldigen Männer!“ rief ſie lachend.

„Nun, wenn Sie Polydor als eitlen Gecken, als homme à bonne fortune wiederfänden, ſo würden Sie doch den Frauen die Schuld beimeſſen.“

„Nie einem Theil allein! Unkraut kann nur in dem Erdreich wuchern, das ihm zuſagt.“

„Und glauben Sie wirklich, daß Polydor rein und unangetaſtet durch die Welt gehen werde?“

„Was nennen Sie rein? ſoll er keinen Cham— pagner trinken, keine Schulden machen, keine Duelle haben, in keine hübſche Frau ſich verlieben?“

„Nun, gute Gräfin, wenn Sie das Alles Ihrem

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Schützling geſtatten, fo ſeh ich nicht ein, was ihm übrig bleibt, um ſich bei Ihnen in Mißcredit zu ſetzen.“

„Gegen ſeine Ueberzeugung handeln.“

„Man braucht nicht gegen feine Ueberzeugung zu handeln, um doch von Leidenſchaft zerriffen und befleckt zu werden.“

„O das weiß ich,“ ſagte ſchmerzlich Ilda, On— dinens eingedenk; „aber was haben Sie gegen Poly— dor?“ ſetzte ſie plötzlich hinzu.

„Nichts, gar nichts ... es iſt nur . .. ich ärgere mich . . .“

„O Himmel, reden Sie! was wiſſen Sie von ihm, über ihn!“

„Gar nichts, auf Ehre! Ich mögte nur wiſſen ob Sie wirklich gefonnen find ihn zu heirathen.“

Ilda trat einen Schritt zurück, ließ die erhobe— nen Hände ſinken und ſagte mit einer wegwerfenden Kopfbewegung: „Ah bah!“ Dann ließ ſie den Baron ſtehen, der ſich vergnügt die Hände rieb.

Am Tage nach dem Ball waren Ilda und der Ball ganz natürlich Gegenſtand des Geſprächs. Die Damen fanden, daß die Gräfin doch ſehr verändert ſei. Da ſie aber hofften alsdann weniger von ihr verdunkelt zu werden, ſo lobten ſie ihre Schönheit.

„Es iſt wahr, ſie iſt mager worden, und das pflegt alt zu machen; aber es giebt ihr eine Leichtig— keit, die ihr ſehr gut ſteht;“ ſagte eine Dame von prächtigem Embonpoint.

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Eine andre, lang und mager zum Erſchrecken, meinte: „Solche Figuren allein find comme il faut.“

„Aber gar nicht ſchön!“ rief ein Herr imperti— nent dazwiſchen.

„O mit den Herren kann man nie über Frauen— ſchönheit disputiren“ ſagte die fette Dame „die haben ihren eigenen Geſchmack. Was uns gefällt, mißfällt ihnen, und umgekehrt.“

„Fleiſch und Knochen iſt Alles“ ſagte einer der Männer „ſchön wird es nur durch die glück— lichen Proportionen der einzelnen Theile zum Ganzen.“

„Es iſt entſetzlich, beſter Doctor, bei einer lieb— lichen Schönheit von ihren Knochen reden zu hören“ entgegnete eine Dame.

„Wie ſo, Gnädigſte? um ihnen einen Begriff von der Zartheit und Anmuth der Knochen beizubrin— gen, werde ich nächſtens die Ehre haben Ihnen eine ſkelettirte Kinderhand vorzulegen.“

Die Dame ſchrie auf; die übrigen machten Cho— rus mit ihr. Der Doctor fuhr gelaſſen fort: „Was die Gräfin Schönholm betrifft, ſo hat ſie eine ſehr ſchöne Knochenbildung ſo weit man es nämlich be— urtheilen kann.“

Die Männer lachten; eine geſcheute Frau unter— brach ihn:

„Aber lieber Doctor, der Geiſt, der die Form beſeelt, macht ſie ſchön.“

„Um Vergebung, gnädigſte Frau! wenn die

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Seele eines Engels in dem Körper eines Bucklichen wohnt, ſo widerſtrebt doch dieſer Buckel den Begriffen von Schönheit.“

„Brav! brav! Richtig, lieber Doctor! Und wie er poſſierlich iſt! Toujours le mot pour rire!“ rief man durch einander, und dann ſagte jemand:

„Aber der Walzer war doch geſtern ſehr poſſir— lich in welchem ein Champagnerkork zu gewiſſen Tak— ten ſprang.“ '

„Göttliche Tanzmuſik dieſer Strauß!“

„Nein, es war ein Lanner; die Gräfin hat ihn aus Wien bekommen, und auch den zweiten Galop.“

„Der junge Bildhauer, den ſie ſtudiren läßt, hat ihn ihr geſchickt.“

„Sie muß doch außerordentlich reich ſein um ſolche Unterſtützung geben zu können.“

„Freilich iſt ſie das! aber ſobald ſie heirathet, hat ſie nichts.“ 8

„Die Männer ſind doch immer von empörender Grauſamkeit.“

„Ganz und gar nicht!“ ſagte ein Mann „der Schönholm hat ſie glänzend geſtellt, ſo lange ſie ſeinen Namen trägt und, ſd zu ſagen, dadurch noch ihm angehört. Giebt ſie ihn auf, ſo geht ſie ihn nichts mehr an, alle Verpflichtungen ſind gelöſt und ein Anderer mag für ſie ſorgen.“

„Aber kann ſie denn nicht einen armen Mann lieben?“

„Um

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„Um Verzeihung, Gnädigſte! keine elegante und vornehme Frau liebt einen armen Mann.“

„Läſterung! von den Männern iſt das zu behaupten.“

„Ah, da kommt Herr Otto. Bon soir! nun ſagen Sie, wie hat Ihnen die Gräfin Schönholm gefallen.“

„Gut.“

„Wie? nur gut! Eine ſo liebliche Erſchei— nung! Eine ſo geiſtreiche Perſon! Von ſolcher Grazie!“ riefen die Frauen, heimlich froh, daß ſie nur gut gefallen hatte.

„Sie hat einen gewiſſen Stolz in ihrem Beneh— men, in ihren Kopfbewegungen, der nicht anmuthig iſt“ ſagte Einer.

„Gerade der hat mir ſehr gefallen,“ erwiderte Otto. „Ich liebe den Stolz an Frauen, er zeugt don Selbſtbewußtſein.“

„Nun daran fehlt es der guten Schönholm nicht.“

„Sollte es je einem Menſchen fehlen? Vollends für eine hoch- und einſamſtehende Frau iſt es ein ſtrahlender, ſchützender Schild.“

„Aber er giebt dem Character leicht einen männ— lichen Anſtrich.“

„Den Eindruck hat die Gräfin nicht auf mich gemacht.“

„Ich glaube, daß es ſehr ſchwer iſt Ihnen zu imponiren,“ ſagte eine hübſche Frau, die keineswegs dies Talent beſaß.

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„Schönheit imponirt mir immer“ ſagte er leicht, und freundlich lächelte ſie ihn für dieſe Fa— daiſe an.

Ilda ging ſeit jenem Ball in die Geſellſchaft, und empfing an gewiſſen Tagen der Woche bei ſich. Der Zirkel war bald größer bald kleiner, wie es ſich eben traf. Otto ging häufig hin; ihm war es am liebſten, wenn wenig Perſonen da waren, dann ſetzte man ſich rund um den Theetiſch und die Unterhaltung war oft ſehr lebhaft und angenehm. Im zahlreichen Zirkel hingegen, beſonders wenn viel Frauen da wa— ren, die Ilda und ihren Theetiſch verſchanzten, war es ihm ſelten möglich bis zu ihr zu gelangen, weil er ſich nie vordrängte. Werffen fehlte an keinem Abend; ſein muſikaliſches Talent machte ihm überall und im— mer einen guten Empfang, und er übte es aus ohne Ziererei und Launen. Einſt rief Ilda Otto zu ſich heran und ſprach:

„Weshalb bleiben Sie an Abenden wie der heu— tige immer im dritten Gliede ſtehen, da Sie doch wiſſen, daß ich gern mit Ihnen ſpreche?“

„Ich habe keine Gelegenheit ed Ihnen zu nähern.“

„Das iſt aber ſehr unbequem für mich, dann muß ich Sie ſtets rufen wie eben jetzt. Nun wol— len wir plaudern während Werffen ſingt. Die Muſik gecompagnirt das Geſpräch fo angenehm.“

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„Wollen Sie die Gnade haben mir eine Frage zu beantworten?“

„Das verſteht ſich ſo gut ich kann!“

„Es wird in ihrem Salon über alles mögliche Intereſſante und Unintereſſante geſprochen warum nie, aber wörtlich nie! eine Sylbe über Politik?“

„Weil ich mich höchſt ungern langweilen laſſe.“

„Wie können die Intereſſen, welche jetzt das Men— ſchengeſchlecht in Bewegung ſetzen, einen Geiſt, ein Herz wie die Ihren, langweilen!“

„Wer behauptet das! aber die geſcheuteſten Leute werden langweilig, ſobald ſie ſich in das Gebiet der Politik begeben; dann ſtürzt ſich jeder in ſeine Partei und kämpft auf Tod und Leben gegen die fremde. In der Hitze des Gefechts ſieht er oft durch die Staub— wolken verdunkelt Windmühlen für Rieſen an. Ein— mal, iſt das lächerlich; es ſich, e Davon hat niemand Genuß . ..“

„Als die ſtreitenden Parteien.“

„Ich will aber keine Parteien! in meiner Nähe ſoll Friede ſein.“

„Sie decretiren ihn ziemlich despotiſch.“

„Ach, es muß ja irgend jemand in der Geſell— ſchaft Despotismus üben, welcher Art er ſei, damit ſie einigermaßen in Gang kommen; warum nicht ich ſo gut wie jeder Andre.“

„Sie eignen Sich gewiß beſſer dazu wie jeder Andre, weil Sie, abgeſehen vom Uebrigen, mit Ihrem

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Widerwillen gegen Parteien, wahrſcheinlich keiner an— gehören, ſondern alle verſchmelzen, wie im Sonnen— licht die Farben untergehen.“

„Im Salon gehöre ich ſicherlich keiner an.“

„Und im Leben ... 2“

„Bin ich Ariſtokratin vom Scheitel zur Sohle, und danke dem Himmel, daß ich es bin, denn jede edle Seele iſt geboren ariſtokratiſch und hält ſich ſeitab vom Pöbel. Uebrigens ſtehe ich jetzt feſter den je in den Reihen meiner Genoſſen, da die Tage ihres Glückes augenſcheinlich zu Ende gehen und eine neue Aera be— ginnt.“

„Aber die ſtarken, freiheitsdurſtigen Seelen ſoll— ten ſich ihr zuwenden wie dem Morgenroth, und dem jungen Tag ihre Kraft weihen.“

„Das mag ſehr verdienſtlich ſein; aber es iſt leichter den alten Göttern treu zu ſterben, als mit den neuen, fremden, zu leben; und Sie werden doch nicht von mir begehren, daß ich mir Mühe geben ſoll?“

„Ich nicht! wenn das Schickſal es nur nicht verlangt.“

„O es hat's gethan, und ich gehorchte, gab mir Mühe und mißlang.“

„Ich glaube doch, daß wir durch Mühe viel er— reichen und gewinnen können, nur nichts gegen unſer Herz.“

„Und alle andre Mühe iſt ja keine! aber An:

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ſtrengung überwindet das Herz, obgleich ſie es zermal— men kann!“

„Es muß ſich wunderlich leben mit einem zer— malmten Herzen.“

„Kläglich! und dieſe Kläglichkeit iſt nicht zu er— tragen. Wer leben will, muß friſch und ganz daſte— hen und bereit ſein das Leben am Fuß feſtzuhalten, wenn die Flügel uns aus der Hand ſchlüpfen.“

„Iſt das entſchloſſene Kraft oder Leichtſinn?“

„O ich bin nicht ſo genau in mir ſelbſt zu Hauſe! Ich weiß nur, daß ich vorwärts muß, daß die Zu— kunft mein Reich iſt und nicht die todte Vergangen— heit, daß mein Auge ſtets offen ſein muß, weil immer neue Erſcheinungen des Lebens an ihm vorüberziehen. Wie dürftig und ungerecht wär' ich für mich und An— dere, wenn ich mein Auge nur einmal hätte öffnen, und dann auf immer ſchließen wollen.“

„Auf die Weiſe ſcheint mir, daß Sie gar keine Ahnung von der Eigenſchaft haben können, die Treue heißt“ ſagte er lachend.

„Doch!“ entgegnete ſie ernſt, „ich ſuche mir ſelbſt treu zu ſein. Ich muß mich durch die Welt hindurch bringen, ſo frei wie möglich; ich muß mein innerſtes Weſen entfalten, ſo reich wie möglich das iſt mein Streben Noch iſt viel Unentwickeltes, viel Unfreies in mir wenn ich das je vergeſſen könnte, ſo wäre ich mir ſelbſt untreu.“

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„Sie haben einen Muth, als ob Sie keine Schmer— zen kannten.“

„Ich kenne ſie! aber wie Homers Götter und Miltons Engel; ohne ſie zu fürchten; denn ſie bringen mir nicht den Tod. Ich ſtelle mich auf den Schmerz und er hebt mich höher. Nachdem ich tüchtig mit ihm gekämpft habe, wird er mein Sklave, und als ſol— cher der Fußſchemel des Ueberwinders.“

Es lag ein wunderbarer Contraſt in ihren Wor— ten und in dem leiſen, bebenden Ton, womit ſie ſprach; in der innern Entſchloſſenheit, und der weichen, äthe— riſchen Geſtalt; Otto heftete verſtummend den glanz— vollen Blick auf ſie, und als Ilda ruhig und ſanft

ihm ins Antlitz ſah, war ihm, als müſſe er freudig

untergehen in das tiefe unergründliche Meer ihres Auges. Plötzlich, wie ſich beſinnend, kehrte ſie haſtig den Kopf ſeitwärts zum Piano, und Otto, um irgend etwas zu ſagen, ſagte raſch:

„Der Werffen hat beſſer als je geſungen!“

Ilda ſprach lachend: „Ich ſchmeichelte mir ſchon Ihr Ohr vollkommen captivirt zu haben; doch der

Triumph ſollte mir nicht werden.“

Er entgegnete in demſelben Ton: „Ein Aus— gangspförtchen muß immer offen bleiben, wenn auch das Portal geſchloſſen iſt.“

„Ja,“ ſagte Ilda, „ſo ſind die Männer! immer halb, oder dreiviertel, höchſtens ſiebenachtel nie ganz.“

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„Diesmal thun Sie mir Unrecht! ich war ganz ...“ 10

„Nun? ſchnell die Wahrheit! was?“

„Ganz Ohr für Werffen.“ 5

„Bravo!“ ſagte ſie mit einer Welt von Hei— terkeit im Blick „das wird ihn freuen, den guten Werffen; gehen Sie ihm es ſagen.“

„Sie ſind boshaft, Gräfin“ entgegnete Otto und zog ſich zurück. Aber mächtig feſſelte ihn dieſe Frau! Er hatte Viele geſehen, die ſie an Schönheit übertrafen, Einige an Geiſt, Einige auch die an An— muth ihr gleich waren und doch ſtand ſie vor ſei— ner Seele in einſiedleriſcher Abgeſchiedenheit, mit Kei— ner zu vergleichen, geſchweige zu verwechſeln. Die ſcharfen Umriſſe, mit denen ihre Weſenheit gezeichnet war, prägten ſich feſt in ſeine Bruſt. Ueber den Spie— gel und den hellpolirten Stahl rollen die äußern Ge— genſtände ſpurlos hinweg, und die Oberfläche wirft nur ihre bunten Farben und Formen zurück; aber der Diamant gräbt ſich hinein. Otto war feſt und hell wie Stahl. Die Erſcheinungen des Lebens beherrſch— ten ihn nicht, weil er ſich nicht wollte beherrſchen laſ— ſen. Sie ſpiegelten ſich lebhaft in ihm ab, denn er war von großer Regſamkeit; aber ſie bogen und lenk— ten ihn- nicht. „Es muß noch etwas Anderes aus dem Leben zu machen ſein“ ſprach er zu ſich ſelbſt, wenn ihm ſchien, daß irgend ein Einfluß zu merklich auf ſeine Richtung wirkte, und dann entzog er ſich

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ihm, ſei es mit Leichtigkeit, ſei es mit Ueberwindung. Er war ohne Namen, ohne Vermögen und Rang, durch nichts ausgezeichnet, als durch ſeine Perſönlich— keit, aber er ſtellte ſich in der Geſellſchaft mit einer Ruhe, mit einer Sicherheit des Uebergewichts, als habe er die höchſten Siegeszeichen nicht zu empfan— gen, ſondern zu vertheilen. Die Welt nimmt den Menſchen ſtets für das, wofür er ſich giebt. Jede Ueberlegenheit imponirt ihr; ſo erkannte ſie auch ſtill— ſchweigend Ottos Autorität an. Seine äußerſt gefäl— ligen Formen machten, daß ſeine Suprematie nie ver— letzend für Andre wurde. Man gab ihm höchſtens etwas jugendlichen Uebermuth Schuld.

Werffen fand ihn unerträglich; d. h. Werffen, ein Mann de la vieille roche, ärgerte ſich über dieſe Erſcheinung der Zeit. „Vor funfzig Jahren wäre ſo etwas unmöglich geweſen,“ ſagte er einſt zu Ilda; „damals blieb ein Herr Otto in der Schrelbſtube oder wo er ſich ſonſt placirt hatte, und figurirte nicht im Salon auf glänzende Weiſe.“

„Warum ſo neidiſch, mein lieber Werffen?“ fragte ſie boshaft.

„Bei Gott nicht!“ rief er lebhaft; „im Gegen— theil! dieſer Menſch iſt mir angenehm, achtungswerth, als Menſch; ich will auch gern glauben, daß er durch Wiſſen und Verſtand ausgezeichnet iſt nur bleibe er in ſeiner Sphäre“

„Wie wollen Sie in unſern Zeiten einen ausge—

2

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zeichneten Menſchen aus irgend einer Sphäre verban— nen, da der Grafenſohn und der Schuſterſohn auf derſelben Schulbank ſitzend für dieſelbe Beſtimmung erzogen werden, und nur dadurch verſchieden ſind, daß der Schuſterſohn gewöhnlich beſſere Fähigkeiten hat?“

„Und iſt das nicht ein ungeheures, gar nicht zu überſehendes Unglück?“

„Ja wol! für die Ariſtokratie, denn ſie hat keine Kraft im Blut mehr und kann ſich nicht regeneriren. Sie vergeht allmälig; gleich den uralten Bäumen des Waldes, und der tiers-Etat hebt ſich in der Büreau— kratie als eine neue Anpflanzung hervor über den mächtigen, kahlen, verdorrten Stämmen. Sie iſt nichts weniger als impoſant, glänzend und vertrauenerweckend, dieſe Bureaufratie, aber fie hält doch einigermaßen der Herrſchaft des gemeinen Geldſacks das Gleichgewicht.“

„Ich halte es auch für dieſe Leute vom tiers— état für ein Unglück, daß die Schranken des Turnier: platzes ſich ihnen öffnen. Die Zahl der Aſpiranten wird dadurch zu Legionen, mithin auch die der Unzu— friedenen, der Unruhigen. Es giebt unter ihnen, wie unter den Ariſtokraten, meiſtens Mittelgut, manche Tröpfe, ſelten ein Genie. Das drängt nun vorwärts, voll Ehrgeiz, voll Vergnügungsſucht, voll Neid. Das erſtickt ſich untereinander, und uns mit, die wir an Zahl ihnen nach- und in ihre Reihen gemiſcht ſtehen. Wenn unter uns ein eminenter Kopf auftaucht, ſo ſtellen ſie uns ſogleich drei bis vier oder noch mehr

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gegenüber, was ganz natürlich aus dem verſchiedenen Zahlenverhältniß entſpringt; ſo iſt's unmöglich ihnen den Rang abzulaufen, denn in der Büreaukratie herrſcht, wie in allen Kaſten, der Nepotismus. Das ſtützt ſich, hebt ſich, reicht ſich die Hand gegenſeitig, drängt und ſchiebt, unwiderſtehlich wie die mazedoniſche Phalanx. Wenn das ſieben Söhne hat, ſo müſſen alle ſieben ſtudieren, und ſechs davon wären eben ſo gut mit der Elle und der Muskete an ihrem Platz. Kinder haben dieſe Leute ohnehin in erſchreckender Menge! im vori— gen Sommer war ich mit einem Präſidenten im Bade, der ſieben Töchter hatte. Zwei davon bereits verhei— rathet, fünf ledig, recht hübſche Mädchen, wolerzogen; und ich bin überzeugt ſie verheirathen ſich alle, viel— leicht zum Theil in altadelige Familien, deren Söhne eine Carriere im Staatsdienſt machen wollen denn der Papa kann pouſſiren, und ohne ſolche Hülfe durch— bricht Keiner die Maſſe. Die undankbaren Fürſten laſſen den Adel fallen, nachdem er ſich an ihren Hö— fen ruinirt hat, oder protegiren ihn nur verſtohlen, was noch übler iſt, weil es ausſieht, als ob er es nicht verdiene. Geld hat er auch nicht mehr, um mit der brutalen Pracht der Finanz wetteifern zu können. Die älteſten, edelſten Geſchlechter ſterben aus. Andere opfern den unadeligen Namen und den Vorzug des par sang der Erhaltung ihrer Beſitzungen auf, und verheirathen ſich mit bürgerlichen Mädchen, die reich ſind kurz, Entartung überall.“

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„Aber die datirt aus alter Zeit herüber, guter Werffen! als der Adel ſo dumm war ſich von den Fürſten aus Eitelkeit uud Vergnügungſucht in die Erbärmlichkeit des Hofdienſtes locken zu laſſen als er die ſtolze Unabhängigkeit ſeines Schloſſes und des Kriegdienſtes mit der Sclaverei am Thron vertauſchte da begann ſeine Entartung. Als die Könige von Frankreich ihre Pairs hatten was etwas Anderes iſt, als wenn Louis Philippe Herrn Thiers und Herrn Couſin zu Pairs creirt als der deutſche Ritter ein Mitglied des heiligen, römiſchen Reichs war: da war der Glanzpunkt der Ariftoeratie, da hatte ſie Be: deutung, Sinn, Gewicht, Würde. Jetzt kann nur noch die Perſönlichkeit eines Ariſtokraten ihm das ge— ben, was früher ihm ſein Stand verlieh, und es iſt freilich kläglich zu ſehen, wie ſelten ihm das gelingt.“

„Nun, Frau Gräfin, Sie ſind wenigſtens keine blinde Verfechterin Ihrer Partei.“

„Da ich kein Mann bin, keine Kinder habe, und überhaupt nichts dabei zu gewinnen oder zu verlieren, ſo bin ich ohne perſönlichen Egoismus, alſo ziemlich ohne Verblendung in dieſem Punkt. Käme mein lie— bes Ich auf irgend eine Weiſe dabei in's Spiel, ſo würde ich ſchwerlich meine Leidenſchaftloſigkeit bewahren. Glauben Sie aber nicht, daß meine Mäßigung mich gleichgültig machte gegen den gewaltigen Umſturz der alten, einſt ſo herrlichen Zeit, und gegen das gräßliche Nivellirungsſyſtem der neuen, das nicht aus einem

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friſchen, allgemeinen Vorwärtsſtreben, ſondern aus ei— ner allgemeinen Erſchlaffung und Ueberreizung her— vorgeht. Daher kann ich kein Heil in ihm ſehen. Aber, guter Werffen, wenn doch einmal der Scepter aus unſerer Hand fallen muß muß, weil ſie zu ſchwach iſt, um ihn unter neuen, fremden Umſtänden und Zuſtänden zu führen ſo freue ich mich, ſobald ich geſchickte, feſte, edle Hände auf der andern Seite finde, die ihn vielleicht mit in Empfang nehmen und würdig halten werden.“

„O Gräfin, wenn Sie Sich entſchließen könnten mit Ihrem Genius unſer Aller Organ zu ſein!“

„Nein, dazu iſt der Genius mir zu heilig, und bin ich ſelbſt zu unwiſſend. Der Rädelsführer einer Partei muß praktiſch-gelehrt ſein, wenn er nicht ſich und die Seinen lächerlich machen will, und ich bin zu ſtolz um mich dieſer Möglichkeit auszuſetzen viel— leicht auch zu ruhmbegierig. Der Dichter gehört allen Zeiten und Völkern an; der Publiziſt, der Journaliſt einem Moment. Ihr Ruhm gleicht dem St. Elms— feuer, das im Sturm auf der Spitze der Maſtbäume flammt und heller iſt als die Sterne; allein, hat das Unwetter ausgetobt, ſo verſchwinden die wunderlichen Flammen, und die alten Sterne treten in ihre Rechte, und lächeln nach wie vor auf die Schiffer herab. Wenn es auch nur ihrer wenige, nur einige erſter Größe ſind, nach denen die Schiffer ihre Bahnen er— kennen und lenken: ſo hat doch noch nie ein Stern

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ihnen Verderben gebracht. Kurz und verſtändlich in Proſa geſprochen: daraus wird nichts.“

„Das iſt zu kurz! geben Sie Gründe an! dieſe waren Poeſie.“

„Ich kann nicht dafür, wenn Sie meine Gründe nicht gelten laſſen. Uebrigens giebt der liebe Gott keine und Falſtaff keine weshalb ſoll ein armer Weiberkopf ſich damit plagen.“

„Es iſt wirklich traurig, gute Gräfin, daß Sie, wie man zu ſagen pflegt: nie bei der Stange bleiben, ſondern immer rechts und links abſchweifen.“

„Behüte!“ ſagte Ilda ſehr ruhig „ich habe keine Abſchweifungen gemacht, ſondern Sie. Ich bin noch mit meinen Gedanken bei dem Punkt, von dem wir ausgingen bei Otto.“

Sie ſagte da keine Neckerei, keine Naivität, ſon— dern die Wahrheit. Dieſe beiden Menſchen begegne— ten und verſtanden ſich in ihrem raſtloſen Streben, und ihre Seelen gingen früher Hand in Hand, als ihre Herzen. Ilda ſagte oft zu Otto:

„Welch ein Glück Sie gefunden zu haben! es iſt bei Ihnen, als ob der Morgenwind durch den Wald ſtreife, und alle Bäume friſch aufblättere und ihnen die Träume der Nacht aus den Zweigen ſchüttele. Ich glaube, ich wäre ohne Sie in einem Quietismus fort gewandelt, der am Ende zur Dumpfheit führt.“

Auf eine ähnliche Aeußerung erwiderte er einſt beinah finſter: „Wer darf ſich ſchmeicheln Ihnen mehr

126 zu ſein, als eine momentane, wohlthuende Erſcheinung! Wie der Morgenwind verweht, wenn die Sonne höher ſteigt, ſo werden Sie mich vergeſſen.“

Sie ſah ihn betroffen an und ſprach beſtimmt: „Nie.“

Sechstes Kapitel.

Polydor ſchrieb der Gräfin häufig, und mit einer jugendlichen Lebensfreudigkeit, die klarer als ſeine Worte darthat, daß er unverſtimmt und ohne Schwan— kungen auf ſeiner Bahn wandelte. Das Geſchick war ihm günſtig; was er begann, gelang. Ueber die Dor— nen ſeines frühern Pfades war längſt weiches Gras gewachſen. Nur ſchrieb er einſt:

„Wenn ich meine Kunſt nicht immer angebetet „hätte, ſo würde ich es jetzt thun, da ſie mir Ge— „legenheit giebt die Züge eines Engels in Marmor „feſtzuhalten. O Madonna, wenn Sie wüßten welche „Erquickung es iſt, zwiſchen ſo vielen gemeinen, plum— „pen, thieriſchſinnlichen, bewußtloſen Geſichtern eins „zu finden, das in ſeiner reinen Vollkommenheit „der Form und des Ausdrucks, ſelbſt dem Künſtler „nichts zu wünſchen übrig läßt: ſo würden Sie

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„mir aus voller Seele, Glück auf! zurufen. Gräfin „Regine heißt die Frau, die vom Himmel die Krone „der Schönheit empfing. O wol! das iſt ein Kö— „nigthum von Gottes Gnaden, das Jeder willig „anerkennt! mit einem ſolchen Vorzug iſt man die „geborne Königin der Seelen, und die Welt ſinkt „vor ihr anbetend in den Staub. Ich zuerſt „und ich bin glückſelig es zu können. Ich arbeite zum zweitenmal ihre Büſte. Die erſte, mit einem „Blumenkranz, gefiel ihr nicht, als ſie vollendet war, „hatte einen zu modernen Character. Ich hatte es „ihr im Voraus geſagt ſie wollte es nicht glau— „ben, meinte, es gehöre antike Schönheit zu der „antiken Einfachheit, und beſtand auf einige Acces— „ſoires. Nun ſieht fie ein, daß ich Recht hätte, „und ich darf ſie ſo modelliren, wie ich es zuerſt „ihr vorgeſchlagen: das Haar leicht nach rückwärts „hin aufgeneſtelt, daß die ganze Form des Kopfes „und die unausſprechlich anmuthige Wendung des „Halſes ſich degagirt. Ach, ich bin glücklich, ſo „glücklich wie noch nie. Ich werde mir hier eine „feſte, unabhängige Stellung gründen können; das „macht mich über meine Zukunft ſo ruhig. Es „giebt hier keinen bedeutenden wenigſtens keinen „anerkannt bedeutenden Künſtler in meinem Fache. „Ich kann vielleicht in Wien werden, was Schwan— „thaler in München, Rauch in Berlin iſt. Außer „meinen verſchiedenen Büſten hab' ich viel Arbeiten

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„im Kopf, einige unter den Händen, z. B. ein Bas: „relief: die Zuſammenkunft Sobieskys mit Kaiſer „Leopold I. nach der Befreiung Wiens von den „Türken. Dann ein junges Mädchen, das einen „Schmetterling auf ihrer linken Hand betrachtet, „und den Vorfinger der rechten auf ihre Lippen „legt, damit ihr Athem ihn nicht verſcheuche; „kann ſehr graziös werden, verſichere ich Sie. Dann „ein Genius, der von einer zerbrochenen Säule eine „Leier emporhebt und die Schwingen zum Aufflug „entfaltet hat; das ſoll mein Monument für Beet— „hoven ſein. Jetzt iſt das Alles nur Thon und „Gyps. Steht es dereinſt in Marmor da, ſo ſol— „len Sie Freude erleben an Ihrem Polydor“

Ilda antwortete auf der Stelle:

„Sein Sie glücklich, lieber Polydor, dann iſt das „Leben leicht; beten Sie an, dann iſt das Herz be— „friedigt; aber denken Sie nicht daran Sich in „Wien zu fixiren, wenn die Gräfin Regine auch „nur einen Gran dafür in die Wagſchaale legt. „Jetzt ſind Sie in der Mode, geehrt und geſchmei— „chelt, geſucht und belohnt; aber Sie können „aus der Mode kommen, wenn Ihre Kunſt ſich nur „auf das Porträt beſchränkt; und finden Ihre übri— „gen Arbeiten Beachtung? Anerkennung? wird et— „was anderes in Ihrem Atelier bewundert, als die „Büſte des Prinzen X. und der Fürſtin Z. Auf „was gründen Sie ihre Hoffnungen für eine ſichere,

„un⸗

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„unabhängige Stellung? Ich kann aus Ihrem Brief „nicht eine Ausſicht entnehmen, und Ihr Gedanke, „Sich in Wien zu fixiren, würde mir ſpaßhaft vor— „kommen, wenn er mich nicht ängſtigte. Wie kann „ein Menſch, ein Künſtler von einundzwanzig Jah— „ren ſich ſchon irgendwo Hütten bauen wollen, ohne „etwas zu wiſſen und zu kennen. Guter Polydor, „kränken Sie Sich nicht über den Ausdruck. Wie „gut ich Ihnen bin, welche Freude ich an Ihrem „ſchönen Talent habe, brauch ich Ihnen nicht zu „widerholen; aber von der Welt wiſſen Sie nichts „und die Menſchen kennen Sie nicht, und über „Sich Selbſt ſind Sie in allen Dingen, die außer— „halb Ihrer Kunſt liegen, ſo wenig ſicher wie „man eben in Ihrem Alter iſt. Darum bewun— „dern Sie die ſchöne Gräfin Regine, machen Sie „ihre Büſte hundertmal verändert, berauſchen Sie „Ihr Künſtlerauge, dem ſelten ſolche Genüſſe zu „Theil werden doch weiter geſtatten Sie ihr „keinen Einfluß, nicht auf Ihr Leben, nicht auf „Ihr Herz. Ich weiß nichts von dieſer Frau; ſie „iſt vielleicht glückliche Gattin, frohe Mutter, viel— „leicht ein junges unbefangenes Mädchen, ich kann „alſo durchaus kein Vorurtheil gegen die Perſon „haben; allein ich will überhaupt keine Gräfin Re— „gine Ihnen gegenüber es ſei denn, daß ſie „Ihnen Sitzung gäbe. Die Liebe zn einem ſol— „chen Weſen kann Sie grenzenlos elend machen, 9

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„weil Sie dadurch aus Ihrer Sphäre geſchleudert „werden, und in Zwieſpalt zwiſchen Sehnſucht und „Beſtimmung kommen können. Das iſt aber der „Tod für eine Künſtlerſeele! Ach, ich mag wol „für eine ſehr leichtſinnige Rathgeberin gelten, aber „dennoch muß ich Ihnen ſagen, daß es mir weit „weniger gefährlich für Sie ſcheint, wenn Sie Sich „zwanzigmal verlieben, als wenn Sie eine heftige, „unglückliche Leidenſchaft faſſen, an deren Ueberwäl— „tigung oder Betäubung Sie ihre Kraft verſchwen— „den müſſen. Werden Sie nur nicht unglücklich, „mein guter Polydor, es iſt ein großes Elend un— „glücklich zu ſein. Denn wenn auch die eine Hälfte „unſers Weſens, vom Unglück emporgetrieben, Adler— „flügel findet, mit denen es über die Wolken hinauf „fliegt, ſo windet ſich doch die andere im Staube, „und das Herz verblutet, während der Genius tri— „umphirt, und durch die Siegeshymnen tönt zuwei— len ein greller Schrei der Verzweiflung. Einheit, „Lieber, tiefe, ſelige Einheit, das iſt des Künſtlers „Element. Von mir und meinem Leben heulte „nur das eine Wort: es geht mir überraſchend gut. „— Gott mit Ihnen.“

Von allen ſchönen Frauen Wiens war Gräfin Regine in der That die ſchönſte, ſeit drei Jahren Wittwe von einem ſehr alten und ſehr reichen Mann, mit dem ſie bei ſechszehn Jahren vermält ward, und deſſen Namen ſie tadellos trug. Nicht ein Hauch ge—

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geſchweige ein Wort, hatte je ihren Ruf getrübt. Kein Mann konnte ſich der geringſten Auszeichnung von ihrer Seite rühmen. Bei zweiundzwanzig Jah— ren, in voller Blüthe der Jugend und in unvergleich— licher Pracht der Schönheit, ſtand ſie einſam, kühl, rein in der verderbten Geſellſchaft. Ueber ihr großes, braunes Auge ſenkten ſich die breiten Augenlieder ſo ruhig herab, als gäbe es nichts für ſie zu ſehen, und ihr mildes, ſtilles Lächeln erfreute jedes Herz, weil es friedlich war, wie das eines Kindes oder eines En— gels. Nur wer ſie ſehr aufmerkſam beobachtete, hätte bemerken können, daß zuweilen, ganz flüchtig, ganz ſelten, ihr Blick oder ihr Lächeln mit verändertem, fascinirenden Ausdruck hierher oder dorthin fiel. Auf wen? das war nicht zu ergründen. Aber Jeder, den dieſer Blick traf, glaubte an die Offenbarung, die Ver— heißung, die in ihm lag.

Keine Eigenſchaft Reginens kam ihrer Schön— heit gleich, als nur ihre Eitelkeit, und Beiden wie— derum die Kälte ihres Herzens. Man hatte ſie ganz für die Anforderungen der Welt erzogen, gebildet, ver— mält. Sie hatte keinen andern Begriff von Glück als in dieſer Welt auf einem Thron ſtehen, der aus allen Requiſiten erbaut iſt, deren eine Frau bedarf, um unerreichbar von andern Frauen zu ſein. Dahin ge— hörte: zu der Schönheit Anmuth, zu dem Ver— ſtand Güte, zu dem Rang Reichthum, zu der Liebenswürdigkeit Tugend. Einen andern Begriff

9 *

132

von Tugend, als den eines makelloſen Rufes hatte Regine nicht. Da ſie aber in der Geſellſchaft ſah, wie ſchwer es für Frauen war dieſe Tadelloſigkeit zu bewahren, ſobald ihr Herz bewegt ward: ſo faßte ſie früh den Entſchluß die Männer nur als Weſen zu betrachten, deren Huldigungen, nein, mehr! deren Vergötterung ihr als Tribut zukam, und ſich feiern, adoriren, lieben zu laſſen, ohne je in ihrem Buſen auch nur den Schatten einer Neigung zu dulden. Ihr Grundſatz ward: eine Frau, die liebt, iſt eine Närrin, denn ſie kommt gänzlich dadurch aus dem Gleichge— wicht, findet immer Unruh und Qual, häufig Entwür— digung, und für tauſend Opfer keinen Erſatz. Da ſie keine Ahnung von der tiefen Seligkeit der Liebe hatte, und nicht das Bedürfniß kannte aus dem Glück eines geliebten Weſens das eigene zu erhöhen und zu ver— klären: ſo wäre jenes Raiſonnement gut und richtig für ſie geweſen, wenn ſie zu gleicher Zeit nicht hätte geliebt ſein wollen. Allein, da ſie für andere Frauen mächtige Leidenſchaften ſich entzünden und tiefe Nei— gungen ſich begründen ſah, ſo wollte ſie ähnliche Ge— fühle erwecken und nur klüger wie jene, die Leiden— ſchaft nicht erhören, und die Neigung nicht erwidern. Sie ſtieß niemand zurück und begünſtigte niemand; aber niemand war hoffnungslos, obgleich er nicht an— geben konnte, weshalb und was er hoffe, denn auch der Kühnſte war nicht kühn genug zu glauben, daß dieſe Lilie ſich vor ihm in den Staub neigen werde.

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So trieb die Gräfin Regine ihr Spiel, düpirte alle Männer, überſtralte alle Frauen, und galt für die vollkommenſte ihres Geſchlechts.

In den Bereich dieſer Circe gerieth Polydor, mit ſeinem friſchen Herzen, ſeinem offenen Auge, ſei— nem erregbaren Sinn. Leicht entzündlich durch Wei— berſchönheit ſank er unbefangen, wie vor einer Göttin, vor Regine nieder. Aber ſie begnügte ſich mit die— ſem Cultus nicht. Polydor war ihr eine fremdartige, erquickende Erſcheinung. Sie wollte dieſe kräftige Al— penpflanze in ihre Region verſetzen, wollte, daß die halbgeſchloſſene Blüthe für ſie ihre Blätter entfalte, für ſie ihren Duft aushauche, unbekümmert, ob die Atmoſphäre der Pflanze gedeihlich ſei oder nicht. An— fangs hatte ſie nur, weil es eben Mode war und weil ihre Freunde ſie darum baten, ihm zu ihrer Büſte geſeſſen; aber als ſie ihn öfter ſah und hörte, ſchien der Jüngling ihr hoch über der Maſſe ſeines Gleichen zu ſtehen, ſie ahnte, daß er zu ungewöhnlichem Stand— punkt ſich emporſchwingen werde, weil er es mit aller Kraft wolle, ſie betrachtete das Außerordentliche als ihr Eigenthum womit ſie nach Belieben ſchalten dürfe und ſo begann ſie um Polydor ihre Feſſeln zu winden. Er hatte nie in einer Verbindung mit Frauen geſtanden, nicht weil es ihm dazu an Gelegenheit, ſondern an Zeit gefehlt hatte. Die letzten Jahre wa— ren ſo voll, ſo reich, ſo anregend geweſen, hatten ihn in eine ſo neue, glanzvolle Welt eingeführt, daß er

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keine Muße hatte, von den lockenden italieniſchen Au— gen ſein Herz entflammen zu laſſen. Wie einſt im günſtigen Moment Apolloniens Kuß, ſo nahm er auch jetzt die ſüße Gabe des Augenblicks, nur mit etwas mehr Kühnheit und das genügte ihm. An Liebe dachte er nicht bei den Geſtalten, die ihm bisher be— gegnet waren. Apollonia war die Einzige, die einſt ſein kindiſches Herz hatte ſchlagen machen; allein ſeit— dem waren ſolche Veränderungen in ihm vorgegangen, daß er deutlich fühlte, eine Apollonie könne ihm nicht mehr genügen. Was er begehrte von ſeiner künftigen Geliebten, wußte er nicht, weil niemand das weiß; aber wenigſtens Alles! aber wenigſtens ein großes, warmes, ganzes Herz! „und dann gebe ich ihr das meine, ohne Rückhalt, wie der Gottheit.“ Das war das résumé und ſo hatte er auch bisweilen in Stun— den des Vertrauens zu Ilda geſprochen, die ſeine Hohe— prieſterin war, die durch ihre Beſtätigung ſeine Ge— danken und Gefühle kräftigte und läuterte. Dann ſah Ilda ihn mit unſäglicher Freudigkeit an und er— widerte: „So iſt's recht! unumſchränkt, wie der Gott— heit!“ Aber ſie hätte ſagen ſollen: „nur der Gott— heit,“ denn die Menſchen haben keinen Sinn für die Unermeßlichkeit eines ſolchen Geſchenks; ihre Hand faßt es nicht, ſie laſſen es in den Staub fallen. Regine hatte ihr Bild im Profil und in ſehr kleinem Maßſtab für eine ferne Freundin von Poly— dor ausführen laſſen. Es war ein Meiſterwerkchen,

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der Alabaſter hingehaucht wie Meerſchaum. Im Rah: men von mattem Gold ſah das Bildchen aus wie eine köſtliche Perle. Polydor brachte es Reginen. Sie war ſehr erfreut und rief: „Ach, bin ich denn wirk— lich ſo ſchön?“

„Einen ſolchen Kopf erdenke ich mir nicht,“ ant— wortete er, „ich habe Mühe ihn nachzubilden.“

„Wie wird meine gute Leonie ſich freuen! Es iſt doch himmliſch, Ihr Talent! Sie können An— dere ſo glücklich machen, denn nichts vermag die Tren— nung und Ferne ſo zu verwiſchen, als wenn unſer Auge auf den geliebten Zügen ruht. Und welche Kunſt iſt ſchöner und befriedigender als die, wodurch wir An— dere beglücken!“

„Zum Glück bedarf es dazu keiner Kunſt! die reicht nicht aus. Ein ſchönes Sein beglückt mehr und in weiteren Kreiſen, als alle Leiſtungen der Kunſt mit— melbar und unmittelbar.“

„O das iſt etwas Anderes!“

„Wol iſt's anders, aber tiefer, aber ſeliger und beſeligender. Wenn Sie in Ihrem Kreiſe Sich um— ſchauen, und der Wonne gedenken, die Sie verbreiten, nur dadurch verbreiten, daß Sie ſind, ſo ſollten Sie wahrlich den armen Künſtler nicht glücklich preiſen, der nur Freude macht durch das, was er thut.“

„Ich glaube das Thun giebt größeren Genuß als das Sein. Wenn ich glücklich mache, wie Sie ſagen, was weiß ich davon?“

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„Wenn Sie nichts davon wiſſen, fo ift das nur weil Sie gleichgültig dagegen ſind.“

„Ich gleichgültig gegen das ſüßeſte, menſchlichſte Gefühl? Wie Sie mir Unrecht thun!“ rief Re— gine lebhaft, und hob betheuernd ihre ſchöne Hand. Sie hatte groß und frei die immer halbgeſenkten Au— genlieder aufgeſchlagen, und die ſtrahlenden Augen haf— teten vorwurfsvoll auf Polydor. Ausdruck und Stel— lung waren ſo edel, wahrhaft, unwillkürlich, daß der geübteſte Menſchenkenner ſich bei dem Gedanken ent— ſetzt hätte, daß dies nur eine beliebige Maske ſei. In Polydors Seele fand ſolche Vorſtellung keinen Ein— gang. Er ſagte aufgeregt:

„Nein! wenn auch ſiegsgewohnt gleichgültig ſind Sie nicht! Jeden Moment des Glückes, den ich Ihnen danke, werd' ich mit glühender Dankbarkeit Ihnen vorzählen; dann werden Sie wiſſen, und Sich freuen.“

„O wol werd' ich mich freuen! Mögten es nur viel ſolcher Augenblicke ſein!“

„Es ſteht jetzt in Ihrer Macht, Gräfin! Laſſen Sie mir dies Bild. Ich hab' es mit unſäglicher Liebe gemacht, wie eine Blüthe iſt es unter meinen Fingern

empor gekeimt. Mir iſt, als würde es aus meiner

Bruſt gebrochen, wie die Perle aus der Muſchel, nun da es in fremde Hände übergehen ſoll. Ich werde es für Ihre Freundin ſo ſchnell wie möglich copiren wenn Sie es mir laſſen.“

Regine hatte ſchnell überlegt. Sie würde unter

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keiner Bedingung einem andern Mann ihr Bild ge— geben haben; aber erſtens war ſie überzeugt, daß Po— lydor dieſen Schatz fremden Blicken entziehen werde, und zweitens: wenn ein Zufall ihn offenbarte, was war zu thun, daß der Künſtler nicht die Porträts für ſich machte, die ihm wolgefielen? Sie ſagte alſo:

„Ich begreife, daß der Künſtler ſich vorzugsweiſe an das eine oder andere ſeiner Werke gefeſſelt fühlt! ich will nicht ſo grauſam ſein ihm eine ſolche Spie— lerei zu mißgönnen. Für Leonie wird die Ueberra— ſchung und Freude auch nach vier Wochen dieſelbe fein, alſo ...“

Sie nahm die elegante Maroquin-Kapſel vom Tiſch und gab ſie an Polydor mit einer ſo unbefan— genen Fröhlichkeit, als ob ein Kind ſeinen Kuchen mit dem lieben Geſpielen theilt. Er küßte heftig die Kapſel, heftiger die gebende Hand, die Regine ihm entzog um mit gehobenem Finger ſcherzend zu drohen, als ſie ſprach:

„Aber nun machen Sie Sich auch ſchleunig und mit Liebe an die Copie, denn ich wäre troſtlos, wenn die gute Leonie ein weniger ähnliches Porträt erhielte.“

Doch Polydor war zu fleißig und zu froh um dies außerordentliche Leid über ſie zu verhängen. Das Bild war in überraſchend kurzer Zeit fertig, eben ſo ähnlich, eben ſo ſchön, und er ging eines Abends zu ihr um ſich ihre Befehle wegen des Rahmens zu erbitten.

Er fand ihren Wagen angeſpannt; indeſſen wurde

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er nicht abgewieſen, ſondern in den Salon geführt, während ein Bediente ging ihn zu melden. „Sie iſt bei der Toilette wird mich nicht annehmen“ dachte Polydor. Aber der Bediente brachte die Bitte der Gräfin, nur zwei Minuten zu verziehen. Es dauerte kaum ſo lange, ſo öffnete ſich raſch die Thür und Regine trat ein in roſenfarbenen Flor gekleidet, einen Roſenſtrauß in der Hand, die ſchwarzen Haare von einer goldenen Kette umſchlungen, welche ein gro— ßer Diamant über der Stirn feſthielt. Sie ſah aus wie die Aurora mit dem Morgenſtern über dem Haupt. Das weite leichte Kleid, und eine ebenfalls roſenfar— bene Echarpe, die loſe um ihre Schultern hing, um— flatterte ſie wie duftiges Gewölk, worin ſie mit ihrem fliegenden Gang zu ſchweben ſchien. Der Duft der Roſen doppelt lieblich, da Eis und Schnee die Erde bedeckten und der Parfümerien, die in Deutſch— land und Frankreich das Zeichen der Elegance, den Römerinnen aber verhaßt ſind, und von den Englän—

derinnen für unanſtändig gehalten werden verbrei⸗

tete eine feine nebelhafte Atmoſphäre um ſie, wie um Götterbilder im Tempel.

Polydor ſtand wie angezaubert, ſprach keine Sylbe, und ſah ſie an.

„Nun, was bringen Sie mir? warum bleiben Sie denn ſo unbehaglich mitten im Salon ſtehen?“ ſagte Regine, ihm freundlich zunickend, und ſetzte ſich auf eine Chaiſe longue am Kamin.

239

Polydor ſagte, was er zu ſagen hatte, Regine gab ihm ihre Aufträge und fuhr dann fort zu plau— dern. Sie war am Morgen mit einer engliſchen Fa— milie im Belvedere geweſen, und ganz ſtolz über die— ſen Schatz ihrer Vaterſtadt.

„Von Murillos kleinem Johannes Battiſta konnte ich mich gar nicht losreißen,“ ſagte ſie. Dieſe Ver— ſchmelzung des Propheten und des Kindes hat etwas Ueberirdiſches. Ich liebe Murillo inſtinktmäßig und vielleicht iſt nur das die rechte Liebe. Rafael lieb' ich um ſeiner himmliſchen Grazie willen, Francia wegen ſeiner heiligen Schönheit da weiß ich Gründe an— zugeben. Bei Murillo nicht! aber er ſagt mir immer heimlich tauſend Dinge in's Ohr, die kein Anderer mir ſagt.“

„Es könnte vielleicht ſeine großartige Naivetät, ſeine tiefſinnige Wahrheit ſein, die Sie feſſelten. Nie— mand iſt weniger als er auf den Effect bedacht, da— her machen Wenige einen mächtigeren Eindruck. Von den Legionen Eece homos, die ich geſehen, hat mir keiner ſo gefallen wie der von Murillo hier in der Gallerie Czernin. Als ich ſie zum erſten Mal be— ſuchte, war das Gemälde zufällig von ſeinem Platz genommen, und einer Reihe geöffneter Thüren gegen— über an die Wand gelehnt. Es hat vielleicht nur halbe Lebensgröße, aber als ich dies Kruzifix in der Ferne gewahrte, ganz einſam, ganz dunkel, Nacht und Abgeſchiedenheit um den bleichen, göttlichen Sterben—

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den da bebte ich zuſammen und beſchleunigte mei— nen Schritt, um ihm noch einmal in's Auge zu ſehen bevor er ſtürbe.“

„Ich will mit Ihnen unſre herrlichen Gallerien beſuchen. Sie werden mich aufmerkſam machen nicht auf die Schönheit, die erkennt auch der Laie aber auf einzelne Schönheiten, die nur der Künſtler zu würdigen weiß. Und ich will nicht bloß mit dem Herzen, auch mit dem Verſtande bewundern! Haben Sie aber auch Zeit für mich? woran arbeiten Ihre Hände jetzt, und woran Ihre Gedanken?“

„Die Hände, das Basrelief von dem ich Ihnen ſchon geſprochen, und mehrere Büſten; die Gedanken immer und immer an Ihrer zweiten Büſte.“

„Bitte, ſchellen Sie“ ſagte Regine nach der Uhr auf dem Kamin ſehend, und als ein Bedienter auf den Ruf der Glocke eingetreten war, ſagte ſie zu dem:

„Ich bleibe jetzt zu Haus. Um eilf Uhr vor— fahren.“

„Warum ſchicken Sie mich nicht fort?“ fragte Polydor; „iſt es nicht zu viel begehrt, daß ich von ſelbſt gehen ſoll?“

„Ich begehre es auch gar nicht. Ich wollte nur in eine Soiree gehen um den Abend bis zum Ball hinzubringen. Sie ſind jetzt hier, da ſuche ich keine andere Unterhaltung. Ueberdas iſt es zehn Uhr, da dürften Sie wol nirgens mehr Thee finden als

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hier. Wir wollen in mein Zimmer gehen; der Salon iſt unbehaglich wuͤſt für zwei Perſonen.“

Sie ging voran. Er folgte, und betrat zum erſten Mal ihr Zimmer. Es war durchaus modiſch und elegant, d. h. dermaßen mit Möbeln aller Art angefüllt, daß es mehr einem Magazin als einem Wohnzimmer glich, und daß man nur in Schlangen— windungen ſeinen Weg von der Thür zum Sopha machen konnte. Eine außerordentliche Profuſion von exotiſchen Gewächſen ſowol, wie von Frühlingsblumen, in Vaſen auf Tiſchen und Etageren machte die Luft heiß und ſchwer.

„Hier wohnen Sie?“ ſagte Polydor, befremdet umherblickend.

„Ja, das iſt mein Schreibtiſch! an jenem Tiſch— chen hinter dem chineſiſchen Schirm male ich; dort am Kamin frühſtücke ich . . .“

„Aber ums Himmels Willen, wo athmen Sie? Eine ſolche Wohnung ohne Luft, ohne Licht, würde mich erſticken.“

„Sie iſt ſo traulich, ich habe Alles ſo hübſch nah beiſammen. Und Sie Sie werden Sich an dieſe Enge gewöhnen. Braucht man's denn ſo gar weit und hoch um ſich zufrieden zu fühlen?“

Sie ſetzte ſich und wies auf einen Fauteuil ihr gegenüber. Polydor nahm den Platz ein; aber die Lampe, der Samovor, das ganze Theegeſchirr ſtand auf dem Tiſch, zwiſchen ihm und ihr. Er konnte ihr

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nicht gerade in's Geſicht ſehen, drum ſprang er auf und ſetzte ſich neben ſie auf ein Tabouret.

„Kein bequemer Platz“ ſagte ſie.

„Ja, gerade ſehr bequem für mich.“

Sie hatte ihre Handſchuh ausgezogen und zu dem Roſenſtrauß gelegt. Er ſpielte damit, wie die Männer gern thun, wenn ſie eben nichts zu reden wiſſen, und der arme Polydor wußte in dieſem Au— genblick gar nichts zu reden.

„Zerpflücken Sie nur nicht die Roſen,“ ſagte Re— gine, „die Handſchuh gebe ich Ihnen ſchon eher Preis.“

„Polydor wickelte ſchweigend einen Handſchuh zuſammen und ſteckte ihn in ſeine Bruſttaſche.

„Sie find unglaublich kindiſch“ ſagte ſie lachend.

„Das iſt möglich! aber glücklich bin ich o glücklich! das iſt gewiß.“ Er legte ſein Geſicht in ſeine gefaltenen Hände auf den Rand des Tiſches. Regine ſah ihn an; aber ſie ſah nichts als ſeine krau— ſen, glänzendbraunen Haare, und ſeine friſche junge Stirn. Sie hatte beinah Mitleid mit ihm; ihr gu— ter Genius verſuchte ſie zu warnen vor dem Unheil, das ſie im Begriff war zu ſtiften. Da ſtreifte ihr Blick über ſeine Hand, an der er einen Ring mit Turquoiſen trug. Dieſen Ring hatte nur eine Frau ihm gegeben, und zwar als Andenken, als Erinnerung, als Liebespfand nicht als Geſchenk; denn er war ſehr einfach. Sie hatte jetzt kein Mitleid mehr.

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„Glauben Sie, daß der Türkis die Farbe ver: liert,“ fragte ſie, „wenn der Geber eines Ringes, wie Sie ihn da tragen, dem Empfänger treulos wird?“

„Ich habe die Sage nie gehört, aber ſie iſt ſchön wie alle Sagen, welche die Natur in Sympathie mit dem Menſchenſchickſal bringen.“

„Um dieſer Eigenſchaft willen tragen Liebende ſo gern den Stein.“

„Ich erhielt ihn an meinem letzten Namenstag von dem Schutzengel meines Lebens. Der Stein bringt Glück, ſprach ſie, deshalb gebe ich ihn Ihnen.“

„Sie? wer iſt das?“ fragte Regine ſchelmiſch.

„Ach, Sie wiſſen nichts von ihr!“ erwiderte er ſtaunend. „Freilich wie ſollten Sie auch wiſſen in wel— chem Verhältniß ich zu der Gräfin Schönholm ſtehe!“ Und er fing an zu erzählen, ſein ganzes Leben, ſeine Kindheit, ſeine Jugend, ſeine Entwickelung, ausführlich, genau und lebendig. Regine hörte mit geſpannter Aufmerkſamkeit zu. Den Kopf in ihre aufgeſtützte Hand gelegt, verlor ſie keinen Blick, kein Wort Poly— dors; ſie mußte wiſſen, ob er, wie er ſie liebe. Als er ſchwieg, fragte ſie theilnehmend:

„Und ſo iſt denn wol dies feenhafte Weſen Ihr Ideal einer Frau?“

„Wenigſtens habe ich keine gefunden, die ich mit ihr vergleichen mögte bis jetzt! und jetzt kann ich nicht vergleichen.“

„Und iſt ſie ſehr ſchön?“

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„Schön wie Eine, und lieblich wie ... wie Keine,“ ſagte er raſch und dann ſtockend; „aber,“ fügte er be— theuernd hinzu, „nicht ſchön wie Sie, nicht mit dieſer Vollkommenheit der Züge, nicht ... o, ich darf Ih— nen das nicht auseinander ſetzen.“

„Es iſt vorgefahren“ meldete der Kammer— diener.

„Gut!“ ſprach Regine, lehnte ſich in ihrem So— pha zurück, ſchlug die Arme übereinander und ſagte zu Polydor: „Fahren Sie fort mir von Ihrer liebens— würdigen, edlen Freundin zu erzählen. Auf ſolche Frauen darf unſer armes Geſchlecht ſtolz ſein.“

„O wenn Sie Ilda kännten, wie würden Sie ſie lieben um ihres königlichen Herzens willen! Dieſer Reichthum, dieſe Fülle, dies unendliche Haben, dies unermeßliche Geben, das, wie es die Herrlichkeit und Freudigkeit eines Königs ausmacht beſitzt ſie. Giebt es Menſchen, die eine angeborne Krone tragen, ſo trägt Ilda ſie.“

„Und nie hat man verſucht dieſe Krone in den Staub zu treten?“

„Wie ſo?“ fragte er befremdet und ſah ſie groß an 4.

„Frauen, die auf einer ſolchen geiſtigen Höhe ſtehen, ſind tauſend neidiſchen und ſpähenden Blicken des eigenen wie des fremden Geſchlechtes, und außer— dem hundertfältiger Verlockung ausgeſetzt, wovon wir Uebrigen nichts wiſſen. Da wird denn die Strahlen—

krone

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krone bisweilen leider! ach leider! von der eigenen Schwäche und der fremden Scheelſucht verdunkelt.“

Polydor ſprach nachdenkend: „Möglich, daß ſie irren, und im Irrthum fehlen kann; aber ich habe nie gedacht, daß man einem ſolchen Weſen aus einem abſichtloſen Irrthum einen Vorwurf machen könne.“

„Polydor“ ſagte Regine, mit unendlich wei— cher, ſüßer Stimme „Sie verſtehen zu lieben.“

„Glauben Sie das?“ rief er, und ſeine Stimme bebte vor dem mächtigen Schlage ſeines Herzens; „o ja, glauben Sie es nur feſt! ... allein Ilda lieb' ich nicht, denn unſere Seelen berühren ſich nur ohne in einander zu ſchmelzen.“

„Und iſt das nicht genug?“

„Genug, wenn noch ein Wunſch übrig bleibt? Nein, nein, tauſendmal nein! das iſt nicht genug, denn die vollkommene Liebe iſt: Eins ſein. Das iſt genug, denn es iſt der Himmel.“

„Ach, wie dürfen Sie hoffen, den zu verdienen?“

„Ich weiß wol, daß ich ihn nicht verdiene.“

„Und wie glauben Sie ihn denn zu erringen?“

„Wenn ich recht liebte.“ 45 r

„Nun fo lieben Sie nur recht,“ ſprach Ne gine und es war als ob eine innere Sonne über ih⸗ rem ſchönen Antlitz aufginge. Sie dachte bei ſich: er liebt mich, ich werde ihn feſſeln, es iſt der Mühe werth.

Polydor ſprang auf. „Der Ball erwartet Sie

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die Tänzer ſehen Ihnen mit Ungeduld entgegen, und ich langweile Sie.“

„O laſſen wir den Ball! ich bin jetzt in einer Stimmung, die weder zur Tanzmuſik noch zum Sa— longeſchwätz taugt. Wenn eine Seele ſich uns offen— bart hat, ſo iſt es doppelt ſchwer mit Larven zu ver⸗ kehren.“

„Und doch thun Sie es Ihr Lebenlang.“

„Ja, weil ich muß, und aus Gewohnheit, und weil alle meine Freunde in dem Tourbillon leben. Ich bin ohnehin ſchon einſam genug, ohne Eltern, ohne Gemal ich würde ganz iſolirt ſein, wenn ich mich aus dem Getümmel zurückzöge, und die Einſamkeit iſt nur dann ſüß, wenn unſer Herz befriedigt iſt und ſie mit einem geliebten Weſen theilt.“

„Ich kann nicht glauben, daß Sie Sich ohne große Ueberwindung aus einem Kreiſe entfernen wuͤr— den, deſſen Herrin Sie ſind.“

„Ich habe keine Veranlaſſung dazu! doch um Ihnen einen winzigen Beweis zu geben, daß es mir nicht allzu ſchwer wird ...“

Sie ſchellte und rief dem eintretenden Kammer⸗ diener zu: „Aalener

„Ums Himmels Willen!“ rief Polydor, „meinet— wegen entſagen Sie dem Ball?“ N

„Sie ſehen wenigſtens, daß ich's nicht mit gro— ßer Anſtrengung thue.“

„Umſonſt hätten Sie dieſe e Toilette ge:

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macht, die Ihnen ſo ſchön ſteht, wie ich Sie nie ge— ſehen zu haben meine?“

„Umſonſt?“ fragte ſie langſam und ſah ihm tief ins Auge. Auf dieſe Frage, mehr noch auf den Blick, wußte Polydor nichts zu antworten. Regine ſagte abbrechend:

„Können Sie nicht einen Tag feſtſetzen an dem wir eine Gemäldeſammlung beſuchen könnten.“

„Beſtimmen Sie, denn ich würde ſagen morgen.“

„Nun, es iſt doch wol ganz natürlich, daß ich mit meinem nichtsthueriſchen Leben mich nach Ihrem thätigen, beſchäftigten richte, und deshalb bleibt es bei Ihrer Beſtimmung. Ueberdas habe ich morgen zum Diner einige intereſſante Fremde bei mir, die ſich über Ihre Bekanntſchaft freuen würden dann ſpeiſen Sie mit uns, nicht wahr?“

„Nein, Gräfin, o nein, nur das nicht! Verur— theilen Sie mich nicht dazu, mit andern Perſonen zu— ſammen bei Ihnen zu ſein.“

„Seltſamer Menſch, was kann es Ihnen ſchaden!“

„O gar nicht ſchaden“ rief er ſtolz „aber langweilen, über alle Maßen langweilen, Andere ſe— hen und hören zu müſſen, wenn Sie da ſind. Nein, ich komme nur zu Ihnen wenn ich weiß, daß Sie allein ſind . . . wenn Sie's erlauben.“

„Wie gern! es plaudert ſich gut mit Ihnen, ſo leicht, ſo bequem, und nicht dies ewige Geſchwätz über

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Tagesbegebenheiten, über Vorfälle in der Geſellſchaft. Aber heute müſſen Sie gehen, es iſt ſpät.“

„Sie ſagen, es plaudere ſich gut mir mit und ſchicken mich fort?“

„Nur für heute! Gute Nacht, lieber Po— lydor.“

Er machte eine Bewegung als wolle er etwas erwidern; da ſie ihn aber anſah mit dem höchſten Be— fremden, daß ihr Befehl noch nicht vollzogen ſei, ſo verbeugte er ſich ſchweigend, und ging. Regine ſah ihm nach, horchte auf ſeinen ſich entfernenden Schritt, und ſprach zu ſich ſelbſt: „man muß ſtreng ſein gegen dieſen kleinen Polydor, er hat keine Luſt zu gehorchen.“

Siebentes Kapitel.

Die matte Mittagſonne eines Wintertages fiel durch hohe Fenſter und leichte weiße Vorhänge hell in Ildas Gemach. Da war keine Spur von beäng— ſtigender, modiſcher Ueberfüllung, von elegantem Wirr— warr! Alles ruhig, bequem, wie eine unabhängige Seele es bedarf! Ein Schreibtiſch, auf dem nichts Anderes ſich befand, als was zum Schreiben erforder—

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lich iſt; ein Bücherſchrank, in welchem ein Paar hun— dert Bücher in verſchiedenen Sprachen Platz fanden; ein breites, niedriges Sopha; im Fenſter ein Tiſch mit Zeichengeräth; ſeitwärts daneben Polydors Büſte, in Marmor ſehr ſchön von ihm ſelbſt gearbeitet, und über derſelben das Porträt eines Mannes; dieſem ge— genüber in Lebensgröße das Gemälde ihres verſtorbe— nen Gemals, wie er mit einem ſeiner Lieblingshunde zur Jagd ging; ein ſehr ſtarker, weicher Fußteppich, der keinen Schritt hörbar werden ließ; das war Ildas Zimmer. Eine Elegante würde es von ganz ſchlechtem Geſchmack gefunden haben. Ilda ſaß in einem großen Fauteuil, deſſen Lehne, mit ſauberem Schnitzwerk gekrönt, ihren Kopf überragte und gleich— ſam einen Rahmen um ſie ſchloß. Die geſenkten Au— gen, das geſcheitelte Haar, das violette enganſchließende Kleid, aus dem die ſchmalen Hände ohne Schmuck von Ringen und Armbändern hervorſahen, gaben ihr etwas von einem altdeutſchen Bilde. Aber das be— wegliche Minenſpiel, wechſelnd nach den Worten des Briefes, den ſie in Händeu hielt, gab der ſtillen Ge— ſtalt einen erhöhten Reiz. Sie hatte längſt zu leſen aufgehört und war in Nachſinuen verfallen, als ſie ſich plötzlich erhob und halblaut ſprach:

„Es iſt nichts zu machen! er muß hindurch, der arme Polydor.“ Dann nahm fie ein großes Shawl und ging in den Garten hinab. Es war nicht kalt. Dünner Schnee lag leicht auf die hartgefrorne Erde

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geſtreut. Die Sonnenſtrahlen fielen ſchräg durch die kahlen Aeſte. Die Natur hat in dieſem Zuſtand et— was unſäglich Karges, Dürftiges. Ildas Bruſt war gepreßt. „O Gott, eine kleine Erquickung!“ feufzte ſie „die Welt iſt ſo öde!“ Sie bog in eine andere Alle ein, und Otto kam ihr entgegen; er pflegte zuweilen hier ſpazieren zu gehen.

„Willkommen tauſendmal,“ rief ſie, „das iſt mir eine angenehme Ueberraſchung! Erzählen Sie mir et— was, ich bin verſtimmt.“

„Ich bin es auch! einer meiner Freunde ruinirt ſich durch eine wahnſinnige Leidenſchaft und niemand kann ihn retten! er geht in ſeiner Raſerei unter.“

„Sie ſprechen ſehr hart von Ihrem Freunde und von der Liebe.“

„Weil der Mann nicht ausſchließlich für die Liebe geſchaffen iſt.“

„Weil die Männer ſo denken, ſind auch die Frauen es nicht.“

„Eine Frau darf an der Liebe ſterben, der Mann nur für ſie, wie für all ſeine Ideen darin beſteht ſeine Tugend“

„Otto!“ ſagte ſie mit leiſem Jubel im Ton.

„Nicht?“ fragte er überraſcht.

„O wol! wol! ich freue mich aber ſo ſehr über Sie.“ V ie

„Unſere Ideen find unſere Hausgötter, fuhr er fort; „die müſſen wir mitnehmen bei jedem Auszug

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aus Egypten, bei jeder Einwanderung in eine neue Welt, bei jedem Sprung über den Rubikon, ja, auch bei jedem vierzig Jahre langen Zug durch die Wüſte. Die müſſen wir tragen als unſere koſtbarſten Schätze. Sie ſind ſchwer zu tragen! ſie drücken wund, gar todt; die Arme ſinken oftmals herab, die Füße ver— ſagen den Dienſt, der Kopf ſchwindelt, das Herzblut ſtockt menſchliche Kraft reicht nicht aus. Nun, fo ſterbe man für ſie, doch nimmermehr ohne ſie.“

„Sie ſind ſtark, und ich liebe die ſtarken Seelen. Aber dürfen Sie von Andern das verlangen, was Sie fähig ſind zu thun?“

„Wer wenig von Andern verlangt, gewöhnt ſich an einen ſo kleinen und dürftigen Maßſtab, daß er keinen großen an ſich ſelbſt legen kann.“

„Aber die Gaben und Kräfte ſind ſo verſchieden! So wenig man bei phyſiſchen Meſſungen dem Zwerg und dem Rieſen gleiches Gewicht auflegt, eben ſo we— nig darf es auch bei moraliſchen geſchehen. Würden Sie von allen Frauen begehren eine Charlotte Cor: day, von allen Männern ein Brutus oder Timoleon zu ſein?“

„Nein, denn ich glaube, daß es in der ſittlichen wie in der geiſtigen Welt Genies giebt, deren Sphäre nicht zu berechnen, noch zu beſchränken und zu regeln iſt, und daß deren höheren Inſpirationen unſere Ein— ſichten höchſtens folgen können, ohne daß wir im ent— ſcheidenden Moment ſo Herr unſers innerſten Weſens

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wären, um zu ſagen: ich werde ein Gleiches thun. Aber fern von mir ſolche Brutusthaten von irgend jemand zu begehren!“

„Doch, doch! Sie wollen von Ihrem Freunde das Opfer eines theuern Weſens und glauben Sie denn, daß Brutus gleichgültig den geliebten Cäſar mordete, und Timoleon kalt den Bruder ſterben ſah?“

„Ich fordere von meinem Freunde nur das Opfer ſeiner Wünſche, ſeiner Hoffnungen, ſeiner Freuden, kurz ſeines Herzens, nicht eines anderen.“

„In der Liebe haben aber zwei Menſchen nur ein Herz, und das Elend des einen bedingt nothwen— dig Elend des andern.“

„Dann ſehe ich wahrhaftig kein Rettungsmittel,“ ſagte Otto lachend, „als ſo verſtändig und glücklich zu lieben, daß ſolche Unfälle unmöglich gemacht werden.“

„Noch ſicherer iſt's: gar nicht zu lieben; denn die neckenden Schickſalsgötter wiſſen die Sachen ſo wunderlich ſchlau zu drehen, daß das Unheil aufſchießt wie Pilze in einer Nacht.“

„Ich habe jetzt erzählt; die Reihe iſt nun an Ihnen.“

„Seltſam, daß unſere Verſtimmung den nämli— chen Grund hat! und ach, daß wir ſo viel um Andere leiden müſſen, ohne ihnen helfen, ohne ſie tröſten zu können denn ihnen bleibt ihr Weh. O, ich würde mich ja gern beſcheiden, und keine Anſprüche an ein beſonderes Glück machen, wenn ich nur die Welt glück—

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lich ſehen koͤnute! Haben Sie wol je daran gedacht, wie ſelig Gott ſein muß?“

„Niemals.“

„Ich ſehr oft! Sehen Sie, dieſe Zeit, dieſen Raum zu haben, in der und für den er ſchaffen könne allen Kreaturen einen Balſamtropfen zu ſpenden, wenn auch nur Einen, aber doch Allen jedem Ge— bilde des Lebens ſeinen Moment lieblichſter Blüthe und Vollendung zu bereiten unzähliche Hände fle— hend zu ihm emporgehoben, unzählige Herzen dankbar für ihn ſchlagend, unzählige Weſen, mit und ohne Be— wußtſein, erfüllt von ſeinem Geiſt, verſenkt in ſeine Anbetung das iſt Seligkeit.“

„Und genießen Sie ſie nicht mit Ihrem Herzen, daß das Weltall umfaßt?“

„Nein; mir fehlt dieſe Welt, für die ich ſchaffen, der ich etwas ſein könnte, und darum bin ich in dem Grund meiner Seele melancholiſch, wie alle Weſen die ihre Zeit und ihren Platz verfehlten. Ich ſpreche nicht von meinem gegenwärtigen Standpunkt in der Geſellſchaft, noch von meiner Laufbahn“ ſagte ſie raſch, als ſie ſah, daß Otto etwas einwenden wollte „denn in der Gegenwart gab es keine andere Exi— ſtenz für mich; das iſt meine feſte Ueberzeugung. Aber ich hätte in andern Zeiten leben ſollen! Zwiſchen dem auserwählten Volke Jehovas im Zionstempel hätte ich Mirjam oder Debora, die Prophetin, die Pſalmen— ſängerin, ſein können; zwiſchen dem Volk der Kunſt

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und Schönheit eine Diotima, von deren Lippen ſelbſt Socrates liebliche Worte der Weisheit vernahm; und als chriſtliche Glaubensglut die Herzen entzündete, als das Fatholifche Dogma in alter, unangetaſteter Herrlichkeit und Herrſchaft waltete da war noch ein Moment für mich, da hätte ich eine heilige The— reſe ſein können. In ſolchen Epochen hat eine Per— ſönlichkeit Einfluß. Jetzt“ fügte ſie hinzu und ließ mit ſanftem traurigen Lächeln die Hände ſinken „jetzt bin ich Staub und nichts.“

Sie ſtand ſtill und ſah ſchweigend zu Boden. Otto ſtand auch und ſchwieg auch. Er wußte nichts zu antworten. Er kam ſich ſelbſt dumm, einfältig, ſtupid vor, er hätte ſein Blut für ein paſſendes Wort, für eine richtige Bezeichnung gegeben umſonſt! Aber Ilda vermißte ſie nicht. Sie hatte geſprochen, wie es bisweilen geſchah, wenn das Herz ihr zu mächtig im Buſen ſchlug, und doch der Genius nicht über ihr ſchwebte, der ihre Sprache in Geſang verwandelte. Dann wollte ſie nichts, keine Erwiderung, keine Be— ſchwichtigung, keine Huldigung, nichts als eine Seele, vor welcher die ihre frei und unbekümmert um Lob oder Tadel die Kleinodien des Lebens ausbreiten durfte. Sie blickte auf und in ſein Auge, das mit tiefem Ernſt ihrem Blick begegnete.

„Otto,“ ſprach ſie, „ich will Ihnen etwas ſagen, nur Ihnen! die Menſchen würden Zeter über mich ſchreien, der eine Blasphemie! und der andere: Narr—

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heit! aber es iſt doch wahr. Man ſagt von Chriſtus und ſeinem Tode ſehen Sie, wenn ein Menſch dadurch glauben oder lieben lernte, ſo laſſe ich mich gleich an's Kreuz ſchlagen.“

„Ich muß geſtehen, daß Sie mir andere Dinge zu erzählen wiſſen, als ich Ihnen. Nur müſſen Sie keine Bemerkungen von mir begehren, als höchſtens die Frage: was hat Sie ſo aufgeregt? was iſt Ih— nen widerfahren?“

Sie ſtrich haſtig mit der Hand über die Stirn und ſchüttelte den Kopf. „Widerfahren? Nichts! Ich habe nur den Fehler, daß ſo wie manche Menſchen ſich ſelbſt nicht genug ſind, ſo bin ich mir ſelbſt wenigſtens momentan zu viel. Wenn der Som— merhimmel zu ſehr von elektriſchen Dünſten erfüllt iſt, ſo hilft er ſich durch Wetterleuchten. Dann iſt er wieder blau und klar, bis neues Gewölk, weiß Gott aus welchen verborgenen Höhlen, an ihm aufzieht. Dies Mirſelbſtzuvielſein hat mich zur Dichterin gemacht, denn wenn ich dichte, mit Feder oder Bleiſtift, fo bin ich mir ſelbſt gerade genug, und das iſt ein angeneh— mer Zuſtand von dem man, wie vom Opiumeſſen, nicht laſſen kann. Was für Welten gehen da auf und un— ter was für Geſtalten ſchweben da vorüber was für Ahnungen und Hoffnungen werden da zur Wirklichkeit mit welcher königlichen Freiheit (ich meine königlich, wie es in alten Zeiten Mode war) ſchaltet man über Leben und Tod . . .“

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„Wie wird die Eitelkeit befriedigt! mit welcher Leichtigkeit ſchreibt man Goldminen aus!“

„Nicht in Deutſchland vielleicht in London und Paris. Wenn ich nicht eine unabhängige Exi— ſtenz hätte, die Herren Brockhaus und Mittler hätten ſie mir nicht verſchafft. Und die Eitelkeit? ich gebe Ihnen mein heiliges Wort, daß mein kleiner Fuß mir unvergleichlich mehr ſüße Lobſprüche errungen hat, als meine großen Bücher, und daß la femme au beau pied la femme auteur in den Schatten ſtellt.“

„Und mit dieſer Ueberzeugung ſchreiben Sie? laſſen Sie Ihre Bücher drucken?“

„Warum denn nicht? für mich begehre ich ja nichts. Ich bin ſo glücklich mit dem Genius verkeh— ren zu dürfen, daß ich keinen Lohn dafür verlange, ſo wie man ſich nicht für Liebe belohnen läßt. Aber der feſte Glaube, daß es durch die Welt zerſtreut Seelen giebt, denen ich Erhebung, Freudigkeit, Richt— ſchnur, Troſt bieten denen ich ein Prieſter an hei— ligen Altären, ein Organ für ihre Liebe, ihre Wonne und ihren Schmerz ſein könne: dieſer Glaube, ohne den der Beruf zum Handwerk ohne Würde wie ohne Kraft herabſinkt, und an deſſen Seite ich ſicher, wie an der eines Gottes dahingehe, voll Zuverſicht auf mein Recht, voll Muth für meine Zukunft, der, mein lieber Otto, macht, daß ich nicht bloß Bücher ſchreibe, ſondern ſie auch herausgebe. Ich wollte, ich hätte es hiemit allen Leuten geſagt, denn ſchon einige haben

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mich nach dem Warum? gefragt, und es iſt langwei— lig immer daſſelbe zu erwidern.“

„Laſſen Sie es drucken, dann iſt's ein für alle Mal abgethan.“

Sie ſtanden am Ende des Parks vor einem Thurm, der als gothiſcher Wartthurm die Gegend be— herrſchte, und von ſeiner Zinne einen ſchönen Blick auf den breiten Fluß und das ferne Meer geſtattete.

„Ich kam von hier,“ ſagte Otto, „als ich das Glück hatte Ihnen zu begegnen. Ich liebe dieſe freie, weite, unendliche Ausſicht.“

„Ja, ich auch, aber nur auf drei Minuten. Die Einförmigkeit erdrückt mich. Da ich ſehr träge bin, ſo wird meine Seele zu träumeriſch dieſem Bilde der Unendlichkeit gegenüber. Sie, mit Ihrer Thätigkeit hingegen, ruhen Sich nur dabei aus. Und dann an den Anblick des Meers knüpfen ſich ſehr ſchmerz— liche Erinnerungen auf ein anderes Mal davon ...“

„O warum nicht jetzt, nicht gleich?“ bat er dringend.

„Es wird kalt, ſpät aber gewiß recht bald, wenn es Sie intereſſirt, und doch iſt es kaum des Intereſſes werth.“

Sie beſchleunigte heimwärts ihre Schritte.

Otto fühlte ſich nicht glücklich. Ilda feſſelte ihn auf eine ihm ſelbſt unbegreifliche Weiſe. Seine ganze frühere Exiſtenz hatte plötzlich jeden Reiz verloren, ſchien ihm dürftig und ſchaal. Nur wenn er ſie ſah,

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mit ihr fprach, ja, bloß an fie dachte, fo ſtand er da in der alten Energie, und mit dieſer vollen Energie hätte er ſich ihr zu Füßen werfen und ſie anbeten mögen. Allein der Gedanke: „ſie liebt mich nicht, ich bin ihr nichts, als eine freundliche Erſcheinung, an der ſie gern vorübergeht“ trieb ihm alles Blut nach dem Herzen zurück und ſtreifte wie ein eiſiger Nord— wind über ſein Geſicht, daß es zuweilen einen Aus— druck von ſtrenger Entſchloſſenheit annahm, gerade dann, wenn Ilda ihm am Holdſeligſten in voller Un— befangenheit erſchien. Die ariſtokratiſchen Frauen (man muß dies Beiwort unerträglich oft brauchen, ſeitdem vornehm nicht mehr für die höhern Stände gelten ſoll) haben eine nur ihnen eigenthümliche Eigenſchaft: es iſt ihr Aplomb im Sichgehenlaſſen. Er fehlt bürgerlichen Frauen; ſie ſind unendlich viel ſteifer und förmlicher, oder gehen auf der andern Seite leicht in ungeſchickte Luſtigkeit über. Die Gewohn— heit der guten Geſellſchaft, mit den runden, abgeglät— teten Formen, giebt jenen dieſen Aplomb; wohingegen dieſe oft in Berührungen mit Perſonen kommen, de— ren Herkunft, Erziehung oder Stand ſie nicht fähig macht, in einen leichten Ton einzugehen; ſie würden plump oder zudringlich werden. Jene ſetzen immer voraus, daß die Perſonen, welche ſich ihnen nähern, von den beſten Manieren ſind, denn es kommen keine andere in ihre Geſellſchaft. Dieſe müſſen es erſt ab— warten. Es liegt eine außerordentliche Grazie in

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dieſer ſichern Unbefangenheit, in dieſem Bewußtſein, daß ſie ungefährdet an den Grenzen hinſtreifen dürfe, ohne einem brutalen Feinde zu begegnen. Daß ſie mitunter oder häufig, in Dreiſtigkeit, gar in Im— pertinenz ausarte, darf nicht verwundern, denn nicht alle ariſtokratiſchen Frauen ſind edle Naturen.

Ildas Anmuth beſtand größtentheils in ihrem Sichgehenlaſſen. (Ich würde lieber laisser aller ſagen, aber ich fürchte man wirft mir zu viel Ein— miſchung franzöſiſcher Worte vor). Es ward du: durch ihrem Weſen der Stempel der Natürlichkeit und Wahrheit aufgedrückt; und ein ſolches Weſen, wenn es auch Einzelnen mißfällt, vermag nur allein hinzureißen, zu entzücken und einen unauslöſchlichen Eindruck zu machen. Weil ſie ihre beſondere Eigen— thümlichkeit bewahrt haben, ſind natürliche Menſchen unvergleichlich, und nur die unvergleichlichen ſind unver— geßlich. Ilda dachte nicht daran ihr Intereſſe für Otto zu verbergen. Sie meinte: was ſchön, liebens— würdig, herrlich, großartig ſei, gehöre jedem an, deſſen Sinn fähig ſei dies wahrzunehmen und ſich daran zu erfreuen, und ſie habe nie eingeſehen, weshalb ein ausgezeichneter Menſch das Unglück haben ſolle, daß man für ihn eine Ausnahme mache. ö

„Die Damen haben, wenn auch nicht immer ein großes, doch ein ſo weites Herz, daß dieſer Grundſatz recht für ſie erfunden zu ſein ſcheint“ ſagte der alte Baron einſt mit feiner bekannten pfiffigen Mine.

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„Verſteht ſich, lieber Baron!“ erwiderte Ilda; ich folge dem Beiſpiel der Männer, die ſeit ſechstau— ſend Jahren lauter Prinzipien zum Vortheil ihres Geſchlechts erfunden haben. Warum ſoll ich nicht für mein Geſchlecht ſorgen! wenn man ſich emanzipiren will, muß man vor allen Dingen esprit de corps haben, feſt an einander halten, und da die Männer ihre Hand wider uns aufheben, die unſere drohend wider ſie ausſtrecken. Weſſen Waffen die ſtärkeren ſind, muß die Zeit lehren, nicht der Augenſchein denn der iſt mit Ihnen im Bunde.“

Sie nahm des Barons fette, breite, ſtarkgliederige Hand, legte ſie auf den Tiſch, und ihre ſchmale, mit ſchlanken Fingern und roſenrothen Nägeln daneben. Der Baron küßte ihre Hand und ſprach:

„Ach, theure Gräfin, die Frauen ſind ſolche En— gel, warum wollen ſie durchaus Männer ſein?“

„Warum will der Schulknabe Throne umſtürzen? warum will der Stiefelputzer dem Könige Geſetze vor— ſchreiben? warum will die Jugend nicht jung mehr und das Alter nicht weiſe ſein? warum iſt unſere ganze verſchrobene Zeit außer Rand und Band? Wie wär' es möglich, daß ein ſolches Zerfallen und Verachten des Beſtehenden nicht einen heftigen Ein— druck auf die Weiberköpfe machte! Wie ſollten ſie un— angetaſtet von der Verkehrtheit der Zeit bleiben! wie ſollten ſie nicht unter dem verderblichen Einfluß des Tagesgötzen, der erbärmlichſten Eitelkeit, leiden! In

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den Zeiten, wo die Männer klein ſind, ſind die Wei— ber verdorben, und wer verdorben, iſt ſich ſelbſt in der tiefſten Seele ein Greuel und mögte gern ein neues Daſein anfangen.“

„Still! wenn das die Frauen hörten! Welche Felonie! Sie ſtellen Sich nur in ihre Reihen um ſie zu verrathen, und vergeſſen ganz, daß Sie Selbſt zu ihnen gehören, daß Sie wider ſich ſelbſt reden?“

„Da ich gegen mein eigenes Intereſſe rede, ſo wird man einſehen, daß es Wahrheit iſt.“

„Und was wird es nützen?“

„Nichts als daß ich meine Meinung geſagt habe, um welche Sie mich befragten.“

„Wir ſcherzten aber, hielten ein kleines unſchäd— liches Turnier mit ſtumpfen Lanzen und Schwertern und plötzlich machen Sie einen Ausfall mit ſcharfen Waffen! das hat mich erſchreckt. Gönnen Sie doch den Frauen ihre kleine charmante Eitelkeit, die ſie ſo liebenswürdig macht.“

Ilda lachte. „Bravo, lieber Baron,“ rief ſie, Sie ſind ein aufrichtiger Mann! Sie geſtehen ehrlich ein, welche Freude es Ihnen macht, daß all die klei— nen Künſte der Eitelkeit für Sie in Bewegung geſetzt werden.“

„Run ich mögte den Mann kennen, der ſich nicht dadurch geſchmeichelt fühlt.“

Otto war eben in den Salon getreten; Ilda

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nickte ihm ihren freundlichen Gruß zu. Er antwortete dem Baron.

„Es wird wol jeder Mann ſich geſchmeichelt fühlen, ſo lange ſein Herz nicht von einer großen Lei— denſchaft erfüllt iſt.“

Der Baron ſagte hartnäckig: „Selbſt dann.“

Ilda klatſchte vergnügt in die Hände, und rief: „Immer beſſer! jetzt kann ich Ihnen den Vorwurf der Felonie zurückgeben.“

„Ich dulde ihn gern! ich leide ja, wie ein ächter Ritter, für die holden Frauen, und bleibe dabei, daß ſie Recht haben das zu thun, was uns erfreut und ſie beglückt.“

„Beglückt?“ fragte Ilda langſam und ernſt „glauben Sie wirklich, daß die kleinen Triumphe der Eitelkeit beglücken können? es ſind ja nur einzelne vorüberfließende Waſſertropfen, und die Eitelkeit leidet tantaliſche Durſtesqualen.

„Nein, liebſte Gräfin,“ ſagte der Baron beru— higend „ſo arg iſt es nicht! Sie haben immer ei— nen wunderlich koloſſalen Maßſtab in Ihren lieben, feinen Händchen. Einzelne ſeltene Weſen, von gewal— tigen Leidenſchaften, wiſſen überhaupt nur etwas von tantaliſchen Qualen; aber die Maſſe n'est pas de l’etoffe dont on fait les grandes passions. Sie begnügt ſich damit, um äußerer vergänglicher Vorzüge und Eigenſchaften willen gefeiert und bewundert zu werden, und weil ſie ſich begnügt, iſt ſie beglückt.“

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„Ich glaube aber nicht, daß etwas an ſich Hoh— les und Leeres beglücken könne,“ erwiderte Ilda. „Wenn Sie mir ſagen: das indianiſche Weib iſt glücklich im Wigwam ihres barbariſchen Gatten ſo begreif' ich das, denn ſie ſteht innerhalb der Grenzen ihrer Be— ſtimmung, und das genügt ihr. Aber mit der ganzen Welt ſchön thun und kokettiren, und ſich in Liebens— würdigkeit abmühen, damit ein Dutzend Fats ſage: Deliziöſe Frau! Charmante Perſon! das befriedigt nicht und darum eben ſind die Frauen unſerer Zeit ſo unglücklich daran, wie vielleicht noch nie, weil das allgemeine Streben nach Glänzen in der Geſell— ſchaft hingerichtet iſt und das iſt nicht ihre Be— ſtimmung.“

„Wollen Sie ſie denn einſperren in das Gynä— ceum der Alten, oder in den Harem der Orientalen, oder in die Burg des deutſchen Ritters?“

„Eben ſo gern, als ſie in unſere Salons hin— ausſtoßen!“

„Sollen ſie Sclavinnen ſein oder Mägde?“

„Glauben Sie wirklich, daß Porcia, Arria, Cor— nelia, Selavinnen ihrer Gatten waren? und nennen Sie die deutſche Rittersfrau Magd, weil ſie dem Willen ihres Herrn und Gemals gehorchte? Lieber Ba— ron, gläuben Sie mir, es iſt für keine Frau ein Un— glück, wie Porcia Sclavin des Brutus, oder die Haus: frau eines Götz von Berlichingen zu ſein.“

„Barmherzigkeit, theuerſte Gräfin! führen Sie

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doch nicht dieſe barbariſchen Geſtalten in unſere civi— liſirte Welt ...“

„Wo die Männer vor dem Bilde eines Mannes erſchrecken!“

„Ja, ich bekenne mich der tiefſten Averſion gegen Fauſtrecht und Raubritter ſchuldig“ ſagte der Ba— ron, ſchüttelte ſich mit komiſchem Graus, und verließ ſeinen Platz.

Otto hatte ſchweigend zugehört, ja, im Grunde nicht auf das Geſpräch, ſondern auf Ilda's Ton und Stimme gehört. Nun fragte er:

„Was wollten Sie denn eigentlich dem Baron beweiſen?“

„Daß es wenig glückliche Frauen gebe.“

„Frauen? ſagen Sie Menſchen. Ich kenne z. B. eine ſehr glückliche Frau.“

„Eine! was will das ſagen! und iſt ſie nicht viel— leicht auch in der Manier des guten Barons glücklich?“

„Ganz und gar nicht; denn Sie ſind dieſe Frau.“

„Ich?“ rief Ilda überraſcht und legte die Hand auf die Bruſt.

„Ja; denn Sie ſind ſicher und klar, wie ein Stern in ſeiner Sphäre.“

„So lange nichts Verwirrendes und Dunkles kommt allerdings.“

„Und was könnte Sie verwirren und verdüſtern.“

„Schmerzen, Schwäche, Leidenſchaft Alles

- ——— —— ET TE

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was Andre elend macht. Bin ich nicht Menſch wie Sie? Halten Sie den Genius für ein Antidot gegen alle Uebel?

„Ach!“ rief er, wenn ich Sie ſehe, ſo mein' ich

Sie müßten unſäglich glücklich fein. Ich begreife nicht,

daß ein ſolches Weſen die Qualen und Sorgen der Erde tragen könnte. Sagen Sie mir, daß Sie glück— lich find!“

„Ich bin ſehr glücklich jetzt“ ſprach Ilda mit einem Lächeln, das in ſeinem Herzen verborgene Quel— len der Seligkeit aufgehen ließ.

„Und wenn waren Sie es nicht?“ fragte er wei— ter. Er hatte den Arm auf den Tiſch geſtützt, und hielt die Hand vor die Stirn über die Augen, theils um ungeblendet von den Lampen Ilda anzuſehen, theils um ſein Geſicht vor fremden neugierigen Blik— ken zu ſchützen. Seine überſchatteten Augen ſtrahl— ten wie überhüllte Sterne Ilda an. Sie ſagte lebhaft:

„Ich wollte, ich könnte Sie ſo malen, aber ich verſtehe mich zu wenig auf das Porträtiren!“ Dann fuhr ſie langſam fort: „ich war nicht glücklich, als mein Weſen in eine ihm nicht homogene Richtung gerathen, als ich ohne Liebe verheirathet war, als ich mich nicht in meine Pflicht zu finden wußte, als ich einem Mann begegnete, den ich nicht lieben durfte und doch liebte, als ich dieſen Mann fortſchickte, in den Tod ſchickte ...“

„Sie? Lord Henry?“

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„Er ging, weil ich es wollte. Er irrte umher und ſtarb zufällig, ganz zufällig, nicht am Gram, nicht an verzehrender Krankheit, nicht durch die eigene Hand, er ſtarb mit hundert Andern im Schiffbruch dennoch iſt der Gedanke furchtbar, daß ihn die Liebe

zu mir in den Tod gejagt. Aber ich konnte nicht

anders; ich mußte mich retten aus dem innern Zwie— ſpalt. In dem Moment, als ein Geſtändniß ſeiner Lippe entfloh, mußte er mich verlaſſen, wenn ich nicht untergehen ſollte. Er ſah das ein und ging. Nach Jahresfriſt ward mir die Nachricht ſeines Todes durch ſeine Mutter, der er bei ſeiner Abreiſe von Irland ei— nen verſiegelten Brief gegeben, welchen ſie nur im Fall ſeines Todes eröffnen durfte. Dieſer Brief enthielt nichts als die Bitte, mir mitzutheilen, daß er nicht mehr unter den Lebenden ſei. Da ging ich nach Ir— land, ſeiner geliebten Heimath. Da beſchloß ich die— ſem edlen Menſchen vor der Welt ein Monument zu errichten, wie ich es in meinem Herzen gethan. Da gab er meinem Genius die Richtung, und da hörte ich auf unglücklich zu ſein.“

„Und ſeitdem?“

„Geht es mir gut auf der Welt, denn es iſt kein neuer Zwieſpalt über mich gekommen, und das iſt viel, wol gar Alles, für Menſchen wie ich, die im— mer Unendliches begehren, immer nach der Ewigkeit die Hand ausſtrecken, ſtets heiß verlangend und viel— leicht nie zu befriedigen ſind . . .“

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„Denn der Menſch hat nur die Wahl zwiſchen beſchränkter Zufriedenheit und raſtloſer Hoheit.“

„Nein, Otto, die Wahl hat er nicht! das Be— dürfniß ſein innerſtes Weſen zu entfalten iſt weit mäch— tiger für Manchen, als das Bedürfniß ſtiller Zufrie— denheit, worin ſeine Kräfte ſtagniren. Ich glaube nicht, daß Napoleon ſeinem gegenwärtigen Schickſal ein anderes vorgezogen hätte, in welchem er es etwa zum Kavallerie-Oberſt gebracht, zum glücklichen Gatten und Hausvater, zum hohen Alter, und zum ſanften Tode allgemein geachtet und geliebt.“

„Ich glaub' es auch nicht; allein er würde viel— leicht ſehr unrecht gewählt haben.“

„Nein, wer in ſich fühlt, daß er die Meere durch— ſchiffen müſſe, der ſpringt in den kleinen, lecken Kahn, und erreicht mit ihm eine neue Welt oder geht unter. Aber er wäre eben ſo wol untergegangen, nur troſt— loſer, in der dumpfen Fiſcherhütte am Ufer.“

„Und wer macht denn für uns die Wahl, und leitet uns ſo unwiderſtehlich auf ihr dahin? meiſtens die Leidenſchaft, häufig der Egoismus.“

„Das iſt nicht Ihr Ernſt! Es geſchieht in ein⸗ zelnen Momenten, aber den Gang unſers Lebens, wie er in gewiſſen, ſeligen Augenblicken innerer Klarheit und Beſtimmtheit vor uns liegt, ſo deutlich, daß wir ihn erkennen müſſen, ihn nicht verfehlen können der ward von einem andern Geiſt, als der unſers Egoismus iſt, uns vorgezeichnet. Nennen Sie ihn

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die Hand aus den Wolken, die Vorſehung, die Schik— kung, das Verhängniß ich nenne ihn Gott.“

Plötzlich trat Herr von Werffen an den Tiſch und bat die Gräfin um ein halbes Dutzend Shawls und Schleier; mehre junge Perſonen wollten Tableaur darſtellen.

„Charmant!“ ſagte ſie, „ich helfe arrangiren, und bringe hier einen unbezahlbaren Rembrandt mit. Kommen Sie, Otto.“

Werffen ärgerte ſich, daß er mit ſeinen Talenten, ſeinem Namen und Vermögen, ſeiner ſchönen Geſtalt, gar keinen Eindruck auf Ilda machte. Sie bewun— derte ſeine Zeichnungen, ſie ſagte ihm viel Schönes über ſeinen Geſang aber es belebte ſich weder ihre Unterhaltung, noch ihr Geſicht ihm gegenüber, er blieb ihr vollkommen gleichgültig und durfte gehen oder kommen, ohne daß ſie hinſah. Sie hingegen inter— eſſirte ihn außerordentlich, und ſelbſt ihre freundliche Kälte, obgleich ſie ſeine Eitelkeit verletzte, ſpornte ihn zum Verſuch an, ob ſie auf keine Weiſe zu beſiegen ſei. Einſt fragte er den Baron, ob Ilda wol je ſich wieder verheirathen werde. Achſelzuckend antwortete der:

„Verſuchen Sie Ihr Glück, mein Beſter.“

„Nur wenn ich hoffen kann es zu erreichen“ ſagte Werffen piquirt.

„Nun, nun! ich kann Ihnen ja keine Hoffnun— gen geben.“ ö

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„Warum en Sie kennen die Gräfin ſo lange, ſo genau.“

„Lange? ja. Aber genau deſſen ſchmeichle ich mir nicht. Welche Frau kann man denn gründlich kennen! die klügſten machen dumme Streiche, die tu— gendhafteſten erlauben ſich kleine éearts gerade in den Augenblicken, wo man für ihren Verſtand und ihre

Tugend die Feuer- und Waſſerprobe machen wurde.

Darum ſage ich nie, daß ich den Character einer Frau approfondirt habe.“

„Sie ſind diplomatiſch, mein lieber Baron, und weil Sie es ſind, könnten Sie wol einmal bei ſchick— licher Gelegenheit zu ergründen ſuchen, wie die Gräfin Schönholm darüber geſinnt iſt.“

„Das kann ich Ihnen fagen: ſie glaubt nicht an Glück in der Ehe.“

„Im Allgemeinen wol! aber für einen ſpe— ziellen Fall ...“

„Kann man allerdings Ausnahmen machen! das wollte ich ja vorhin andeuten.“

„Sie iſt nicht mehr in dem Alter, wo man ein chimäriſches Glück vom Leben verlangt, ſie kennt die Anſprüche der Welt, ſie wird allmälig das Bedürfniß fühlen, einen Kreis um ſich zu bilden, den der Hauch des Zufalls nicht zerſtören kann den Familien— kreis ...“

„Hat ſie je etwas der Art gegen Sie geäußert?“

„Behüte! niemals! aber ſie muß über kurz

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oder lang zu dieſer Anſicht kommen, denn fie liegt in dem Gang unſerer Entwickelung.“

„Nun das wollen wir bald erfahren“ und der Baron rieb ſich vergnügt die Hände, wie er zu thun pflegte, wenn er etwas vor hatte, was ihn amü— ſirte, und er unterhielt ſich immer, ſobald er mit Ilda in irgend eine Berührung kam. Er ging zu ihr und fand ſie vergraben in Papieren, gelangweilt, ermattet und ziemlich verdrießlich. Sie rief ihm entgegen:

„Dieſe Geſchäfte bringen mich um! Den ganzen Morgen hab' ich damit hingebracht Papiere durchzu— ſehen, die ich unterſchreiben ſoll. Der Kopf iſt mir ganz wüſt! dieſe Geſchäftsmänner haben einen Styl...“

„Der freilich nicht ſehr poetiſch iſt!“

„Ach, wer begehrt das! aber klar, verſtändlich, bündig ſollte er ſein, damit man wiſſen könne, woran man ſei. Aber das verklauſulirt ſich, wie hinter Bar— ricaden! aber das macht Perioden von einer unabſeh— baren Länge, daß man beim Ende den Anfang ver— geſſen hat! Wenn ich bei einem Punkt anlange, iſt meine Beſinnung außer Athem und ich ſchnappe nach Luft, wie der Fiſch auf dem Trocknen.“

„Solche Geſchäfte ſind nicht für Damen, am we— nigſten für Sie.“

„Das weiß der Himmel!“

„Sie ſollten auf ein Mittel denken, Sich davon zu befreien.“

„Das habe ich wirklich ſchon gethan.“

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„Wirklich? ei ſieh!“ rief der Baron überraſcht, der nur ein Mittel im Kopf hatte.

„Ja, es iſt rund heraus! auf Sie dabei ab— geſehen!“

„Auf mich? guter Gott!“ rieſ er voll Schreck.

„Indem ich Sie zu meinem bevollmächtigten Miniſter ernenne und Ihnen carte blanche für alle Unterſchriften gebe.“

„Ah ſo! aber ich weiß noch ein beſſeres Mittel. Ich bin zwar Ihr treuergebener Freund aber nicht ſo naheſtehend wie ein Gemahl. Heirathen Sie?“

„Wen denn? Sie haben gewiß jemand im Sinn.“

„Da Sie fragen, geſteh ich's ein. Aber rathen Sie doch wen!“ a

„Es iſt zu ſchwer Ihre Gedanken zu rathen; alſo?“

„Eine in jeder Hinſicht excellente Partie: Werffen.“

Ilda fuhr zuſammen: „Werffen? welch ein Ein— fall! er denkt ſo wenig wie ich daran hoffe ich; oder haben Sie einen Auftrag?“ Sie firirte den Baron.

„Keineswegs!“ erwiderte er gelaſſen; ich würde nur dieſe Partie für beide Theile höchſt vortheilhaft finden.“

„Ich verheirathe mich nicht um des Vortheils willen, ſondern gar nicht. Und vollends Werffen!“

„Nun, Werffen? ſehr reich, ſehr talentvoll, ſehr hübſch ...“

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„Freilich! eine Maſſe guter Eigenfchaften! aber was will das ſagen! Nicht dieſe oder jene Eigenſchaft feſſelt uns, ſondern die ganze Perſönlichkeit.“

„Aber er gefällt aller Welt.“

„Eben darum nicht mir.“

„Das nennen ich Caprice, Eigenſinn, Ungerech— tigkeit.“

„Wie Sie wollen! aber ich liebe ihn nicht; und da ich einmal ohne Liebe verheirathet und ſehr elend geweſen bin, ſo werde ich nicht zum zweitenmal dieſe Thorheit begehen.“

„Es würde jetzt vielleicht keine Thorheit ſein, denn Sie ſind älter geworden, ernſter, feſter.“

„Wol bin ich älter geworden,“ ſagte Ilda, und Thränen traten in ihr Auge „wol weiß ich, daß ich, ohne Jugend und Schönheit, keine Anſprüche habe, um geliebt zu werden; alſo wird es mir doppelt ſchwer einzuſehen, weshalb ich mich verheirathen ſoll.“

Der Baron dachte im Stillen: es iſt doch ſelt— ſam, wie die Frauen empfindlich im Punkt des Alters ſind. Laut ſprach er:

„Man heirathet um einen feſten Stand in der Geſellſchaft zu haben.“

„Wie könnte der der reichen Gräfin Schönholm fehlen.“

„Um einen großen Namen glänzend zu tragen.“ „Der Name: Ilda Schönholm, hat einen guten Klang.“ ,

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„Um im Schutz und Schirm eines treuen Freun— des zu ſein.“

„Nach außen hin bedarf ich keines Schutzes, und vor mir ſelbſt kann mich niemand ſchützen, als ich ſelbſt.“

„Um die Freuden der Häuslichkeit zu genießen.“

„Sie ſprechen ja wie die Leute in Ifflandſchen Schauſpielen“ ſagte Ilda allmälig beluſtigt durch den Ernſt des Barons „die langweilen mich außer— ordentlich.“

„Um allerliebſte Kinder zu haben“ fuhr er unermüdlich fort, entſchloſſen ihr alle Vortheile aus— einander zu ſetzen.

Ildas Lächeln verſchwand, um ihren Mund zuckte etwas wie Schmerz oder Verachtung; dann ſah ſie den Baron feſt an und fragte: „Verſtehen Sie das, Baron, wenn ich ſage: man kann es ertragen ohne Liebe Gattin zu ſein; aber Mutter nimmer— mehr!“

Der Baron ſagte verblüfft: „Weßhalb ſollte ich das nicht verſtehn?“

„Weil die Männer, überhaupt die Menſchen, in dieſem Punkt etwas ſchwer von Begriffen ſind, und meinen, Kinder zu haben, ſei das Höchſte, was eine Frau erswünſchen könne. Wenn Sie mich aber ver— ſtanden haben, ſo iſt unſer Geſpräch zu Ende.“

Der Baron ließ ſeine ernſthafte Miene fallen, lehnte ſich auf dem Sopha zurück, und ſagte erſchöpft:

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„Gottlob! ich war mit meinen Gründen zu Ende ſo trifft ſich das ja recht gut. Ihren Trotzkopf beugt doch niemand.“

„Ich bin nicht trotzig, nur feſt.“

„So ſagen alle eigenſinnige Leute.“

„Die Liebe würde meinen Trotzkopf, wie Sie ihn nennen, doch, und ſogar in's Ehejoch beugen können.“

„Was will das ſagen, da Sie Sich ſorgfältig vor der Liebe in Acht nehmen, und die angenehmſten Men— ſchen langweilig finden.“

„Aber man liebt ja nur wen man kann.“

„Gräfin! Grafin! nun haben Sie Sich verra— then! nun weiß ich ...“

„Nichts! Sie müßten denn mehr wiſſen wie ich.“

„Das wäre wol möglich.“

„Wenn ich Ihnen aber ſage, daß Sie nichts wiſſen.“

„So werde ich verſuchen Ihren Worten zu glauben.“

„Das iſt mein Freund!“ ſprach Ilda und klopfte den Baron auf die Schulter.. Er aber dachte im Stillen: ich werde wahrhaftig ſchweigen und gegen jedermann, denn dabei kann ja doch nur Unheil her— auskommen, und das erfahren Alle früh genng. Zu Herr von Werffen ſagte er ſpäter lakoniſch:

„Die Gräfin Schönholm iſt bis jetzt noch nicht

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zu der Anficht gekommen, die in dem Gang unſerer Entwickelung liegt.“

„Nun, ſo wird ſie dahin kommen“ ſprach Werffen ruhig; „mit ſolchen Weſen muß man Geduld haben.“

Aber Ilda hatte nach zehn Minuten ihn und den Baron vergeſſen und ihre Gedanken zu Otto ge— kehrt. Er war das Licht ihrer Augen, er machte ihr das Leben leicht und die Welt hell. Ob er ſie liebe daran dachte ſie nicht, denn wenn ſie es that, ſo zweifelte ſie, weil er immer auf der Hut, nie ſo offen, ſo hingebend, ſo vertrauungsvoll war, wie ſie. Aber ſie war glücklich bloß durch ſein Daſein, und lebte wie ein Kind in der Gegenwart. Sie hegte nicht mehr ihre frühere ängſtliche Sorge um Polydor und Ondine. Was kann ihnen Böſes widerfahren? dachte ſie; ſie lieben ja! dafür kann man wol etwas lei— den. Wenn ſie ihres eigenen Schickſals gedachte, ſo fragte ſie ſich nie: Wie ſoll es werden? ſon— dern ſprach ruhig: es iſt gut ſo. Einmal ſagte ſie zu Otto:

„Sie denken doch wol nicht daran im Frühling von hier zu gehen?“

„Ich hänge nicht von mir ſelbſt ab und muß fremden Beſtimmungen folgen; indeſſen iſt meine Ar— beit hier noch unvollendet, und ſo lange bleibe ich wahrſcheinlich. Jedoch Sie, Gräfin, werden ge— hen, reſſen

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„Und wiederkehren! das iſt der Unterſchied zwi— ſchen uns. Denn wenn Sie einmal fort ſind, kehren Sie nicht wieder. Ich möchte einen Zauberſpruch wiſſen, um Sie hier zu binden.“

„Sehr gnädig aber ganz unmöglich!“

„Unmöglich? weßhalb?“ fragte Ilda erblaſſend.

„Weil meine Stellung und Verhältniſſe anderer Art ſind.“

„O die verhaßten ſtörenden Verhältniſſe!“ rief ſie in heftiger Ungeduld.

„Und was liegt Ihnen daran, ob ein Menſch mehr oder weniger Ihren Salon beſucht?“ fragte er kalt; aber ein Ausdruck von tiefer Trauer glitt über ſein ſchönes edles Geſicht.

„Alles o Alles!“ rief Ilda und legte zuber⸗ ſichtlich die Hand aufs Herz. Dann verließ fie ihn ſchnell. Wenn ſie mich liebte! jubelte heimlich ſeine ganze Seele. Und wenn? ſetzte eine warnende Stimme beſonnen hinzu.

Achtes

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Achtes Kapitel.

Polydor lebte in der Bezauberung fort, die die Gräfin Regine über ihn verhängte, froh, ſelig, hoff: nungsreich. Es iſt doch etwas Wunderliches um die Liebe! Otto, der beobachtende Mann, voll Menſchen— kenntniß, voll Selbſtvertrauen, immer der offenen, ed— len Ilda gegenüber, die nie daran dachte ihr reines ſtolzes Herz zu verhüllen, aus deren ganzem Weſen unwillkürlich die Liebe wie der Duft aus der Roſe brach, Otto wagte nicht Zuverſicht zu Ildas Liebe zu haben, weil ihm dies Glück unermeßlich ſchien. Und Polydor, eben ſo durchdrungen von dem Himmel ſei— nes Glückes, den ſchöne falſche Augen ihm mit trüge— riſchen Farben vorſpiegelten, zweifelte nicht einen Au— genblick daran, daß Regine ſeine Gefühle theile. Sie widerſteht dem nicht, was ich im Herzen habe, rief er ſich oftmals in leidenſchaftlicher Aufregung zu ſie liebt mich, und darum wird ſie mir angehören, wie ich ihr. Aber an dieſe Reziprozität dachte Regine nicht. Die ſich ſelbſt aufopfernde Zärtlichkeit einer Frau macht aus dem Liebenden einen Gleichgültigen; an dieſer Maxime hielt ſie feſt; denn daß Polydor

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je gleichgültig für fie fein könne, der anbetende Poly— dor, der ihren Schritten wie den Spuren einer Gott— heit folgte das junge, neue, heiße Herz, das ſich mit jedem Gefühl, jedem Wunſch, jeder Hoffnung an ſie wandte die Vorſtellung war ihr unerträglich. Daß ſeine Exiſtenz, ſchwebend zwiſchen der ewig un— befriedigten und ewig neu erregten Sehnſucht, darüber in Trümmer gehen könne, glaubte ſie nicht, weil ſie es nicht glauben wollte. Mit dem ſüßeſten Lächeln ſchnitt ſie ihm Wunden in ſein hochklopfendes Herz, und nähte ſie dann ſauber mit roſenfarbener Seide zu. Das konnte ihm doch unmöglich weh thun! Er ließ ſich Alles gefallen, ertrug jede Tyrannei, jede Laune, jede Härte, wodurch ſie vorgab ſeine Liebe prü— fen zu wollen, kehrte mit immer gleicher Demuth und gleicher Wonne auf ihren erſten Wink zurück, breitete immer auf ihr Begehren die Schätze ſeiner Liebe, gleichſam in baarem Golde, ſo feſt, ſo lauter vor ihr aus, und ſie nahm es hin wie ſchuldigen Tribut, ohne Dank, ungerührt. War es denn nicht Glücks genug für ihn, daß ſie ſich lieben ließ? Zuweilen war er muthlos, dann ſchrieb er an Ilda:

„Ich will zu Ihnen kommen; hier gehe ich unter „wie die Verdammten, in Höllenqualen von Glut „und Eis. Die Frauen lieben anders als wir, ſie

haben auch vielleicht ganz Recht, ich ſehe es we— „nigſtens zuweilen ſehr deutlich ein aber daß „ſie Recht haben, macht mich elend. Regine liebt

279 „mich, gewiß! nie hat ſie's mir geſagt, aber dazu „braucht's keiner Worte, ich weiß es doch. Allein „wie kühl liebt ſie mich, wie matt, ohne Vertrauen, „Feuer und Hingebung. Iſt denn das Liebe? Ach, „wenn ich in ihr himmliſches Antlitz ſehe jo „ruft meine ganze Seele: es iſt Liebe! doch „entfernt von ihr klagt mein Herz: ſie wird dich „nie und nie ganz verſtehen. Dann bin ich ſehr „unglücklich. O ſagen Sie mir, ob Sie auch den „Menſchen unglücklich machen, den Sie lieben? „Tauſendmal hab' ich es ſchon beklagt Sie verlaſſen „zu haben mit kindiſchem Vorwitz. Aber aus der „Hütte unſerer Kindheit, aus dem Tempel unſerer „Jugend müſſen wir ja Alle heraus und wenn „wir nur in Kämpfe und Schlachten geſchleudert „würden, ſo wär' es ſchon zu ertragen aber in „die Hölle! . . . Ja in die Hölle! denn da die „Sehnſucht ewig der Seligkeit gewärtig iſt, ſo iſt „ihre Nichtbefriedigung Hölle. Verſtehen Sie „das, Himmliſche? Ach, wenn nicht Sie wer „ſonſt auf der Welt! Ich habe früher wol gemeint, „daß die Liebe in ihrer Kühnheit, mit ihrer Un— „endlichkeit, allein das Verſtändniß der Dinge in „und außer uns erſchließe, aber ſeit ich ſelbſt liebe, „meine ich es nicht mehr. Den Mann verwirrt „ſie und die Frau verdirbt ſie, macht ſie ſchlau, ver— „ſteckt, berechnend, liſtig, eitel bei Gott, fo iſt's!

„Haben will eine Jede Namen, Rang, Tri— 12 *

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„umphe, Herzen, kurz die ganze olla potrida von „niedriger Eigenſucht. Geben will Keine! denn „was iſt das: ein Paar Gedanken oder ein Paar „Stunden, ein ſüßes Lächeln oder ein ſüßes Wort „dem Geliebten geben? das tiefſte Weſen, das „eigenſte Leben geben ſie ihm nicht, und ich glaube „gar ſie nennen das: Tugend. Dadurch könnte „man dahin kommen das Laſter anzubeten! O, „warum habe ich Sie verlaſſen! Wären wir doch „geblieben am Comer-See, nirgends konnte es ja „ſchöner ſein. Wenn wir in den ſtillen Mondnäch— „ten auf den kühlen Wellen fuhren, was war da „für ein Friede in mir und um mich. Die Wellen „rauſchten ſo träumeriſch, als ob ſie ſich Liebesworte „zulispelten; die Ruder plätſcherten drein, wie Nek— „kereien, die der Liebenden Geflüſter ſtören; der „Nachtwind hatte immer mit den Bäumen am Ufer „zu koſen, und oft ſchüttelten die haſtig ihr Laub, „wie weiche Locken, wenn er ihnen gar zudringlich „ward und wollüſtiges Grauen ſie überrieſelte. Der „Mond zerſchmolz zu goldenen, zitternden Gluten „in der bewegten, dunklen Flut, wie die Liebe in „der Sehnſucht zerſchmilzt und das ganze Herz ver— „klärend überſtrömt. Aber die hohen, ſtillen Sterne „glänzten wie unantaſtbare Götter, und kümmerten „ſich nicht um das Rauſchen, Flüſtern, Beben und „Zerſchmelzen in der Tiefe. Nur zuweilen fiel ei— „ner aus ſeinem Himmel. Wiſſen Sie noch? ich

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„hatte immer großes Mitleid für die armen, heili— „gen, aus ihrem Himmel gefallenen Sterne. Aber „Sie ſagten, der Stern verlaſſe ſeine Sphäre viel— „leicht nur, um zu einem fernen geliebten Stern „hin zu fliegen, um in ihm und für ihn unterzu— „gehen und wenn Sie ſo ſprachen, wie waren „Sie ſchön! wie oft drückte ich dann inbrünſtig den „Saum ihres Shawls an meine Lippen, und wie „vor einem Gnadenbilde tauchte ich mich in ſeliges „Vergeſſen alles Irdiſchen. Aber weil Sie ſo „ſprachen und dabei lächelten wie die Heiligen, die „in Qualen ſterben: ſo weiß ich, daß Sie mich ver— „ſtehen und meine Liebe. Darum werf ich mich „jetzt wieder vor Ihnen nieder, Madonna, gnaden— „reiche, mit meinem wilden, zerriſſenen, gefolterten „Herzen, und jammere wie ein Kind oder wie ein „Narr, daß ich den Saum Ihres Schleiers ver— „laſſen habe, unter dem ich ſo ruhig gebettet lag. „Ach in den letzten Zeiten war ich glücklich, darum „ſchrieb ich Ihnen nicht. Es war ſolch ein heißes, „berauſchendes Glück, ſolch ein Tropenklima mit „Palmen und brennenden Blumen und leuchtenden „Vögeln, ſo fremd Alles, ſo zauberhaft, daß ich „mich auf nichts beſinnen konnte, und auf und über „der Erde nichts wußte, als mein Glück. Aber ich „bin nur durch eine Oaſe gewandelt um in eine „Wüſte zu gerathen, wo die Sonne mich verbrennt, „die mir früher durch grüne Palmenzweige gelächelt

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„hat. Könnten Sie doch Ihre Hand, ſchmal und „zart wie ein Lilienblatt, auf meine Stirn legen „es würde mein Fieber kühlen. Darum ſchreibe „ich Ihnen ja. Sie werden und müſſen einen Bal— „ſam für Ihren Polydor erſinnen.“

Ilda antwortete ihm ſogleich; aber das Grauen— hafte der Entfernung iſt, daß ein Brief faſt nie in dem Moment eintrifft, wo er von guter Wirkung ſein könnte, ſondern erſt dann, wenn die Stimmung längſt vergangen iſt, für die er berechnet war. Daher macht er den Eindruck, den ein Beſchwörer macht, welcher am hellen, luſtigen Tag Geſpenſter zitirt, nämlich gar keinen. Polydor konnte ſich kaum beſinnen, weß— halb Ilda ihm ſchrieb:

„Zu mir, mein armer Polydor, immer zu mir, „wenn's Ihnen übel auf der Welt geht. Es rührt „mich ſo, daß Sie Ihr wundes Herz an das meine „ſchmiegen, wie an Schwanenfedern, und daß ich „doch gar nichts für Sie thun kann! Ach, „Menſchen, die viel gelitten haben wiſſen, daß kein „anderer Menſch ihre Schmerzen von ihnen neh— „men kann, und das macht ſie verſchloſſen; ſie bie— „gen ihre Seele um den Schmerz zuſammen, feſt „und ſtill; aber die Anſtrengung macht, daß ſie die „Zähne übereinander drücken müſſen, und dann kann „man nicht ſprechen. Sie ſind ſo jung, daß Sie „noch Alles hoffen, auch Troſt von der Freundin „hoffen, und ſie kann Ihnen doch keinen geben!

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„Ich kann nicht einmal ſagen: Sie haben Recht „ſo zu klagen; weil ich nicht weiß, wie Regine „mit Ihnen verfährt, denn es iſt eben ſowol mög— „lich, daß ſie Ihnen lügt, als daß ſie bang und „zitternd, von Ihrer Leidenſchaftlichkeit erſchreckt, „Sie liebt. Es wäre unnütz in Ihrem gegenwär— „tigen, aufgeregten Zuſtand mit Ihnen diskutiren „zu wollen, ob die Liebe des Mannes oder die des „Weibes edlerer Art ſei, nur fragen will ich Sie: „wo iſt der Mann, der fähig iſt ein Opfer wie „Sie es begehren, wie es Ihnen natürlich ſcheint, „in ſeinem ganzen Umfang zu begreifen, und „zu ehren? Wo iſt der Mann, der nicht unwill— „kürlich bebt vor der rückſichtloſen Hingebung einer „fremden Exiſtenz an ihn? Wenn Sie ihn mir zei— „gen, ſo werd' ich wahrlich nicht läugnen wollen, „daß jegliches Opfer ihm gebührt. Jetzt werden „Sie kühn, die Hand auf die Bruſt gelegt, ver— „ſichern: ich bin der Mann! Armes Kind! erſt neh— „men Sie das Opfer und dann antworten Sie „mir. Wo die höchſte Zurückhaltung, iſt in den „Augen der Männer die höchſte ſittliche Grazie, „und wol wiſſen die Frauen dieſe Meinung ſchlau „zu ihrem Vortheil zu benutzen, und thun ganz „Recht daran; denn ein geiſtreicher Schriftſteller “) „ſagt zwar: La femme qui vient à vous est une

) Capefigue: Iacques II. a St. Germain.

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„courtisane, ou quelque chose qui west pas „vulgaire allein unter Millionen Männern iſt „nicht Einer edel genug das Letztere vorauszuſetzen. „Glauben Sie mir, Sie haben kein Recht zu kla— „gen, aber ich hatte es, als ich Sie beſchwor: keine „Gräfin Regine! Möge ſie Ihre Liebe erwi— „dern oder nicht ſie wirkt verderblich auf Sie, „denn ſie bringt Sie aus Ihrem äußern und in— „nern Gleichgewicht. Sie verzehren Sich in Zwei— „fel, Unruh, Sehnſucht, Furcht, und Ihr Genius „flieht erſchrocken den Tummelplatz ſo unbehaglicher, „zerſplitternder Empfindungen. Können Sie Sich „nicht losreißen? ach, die erſte Leidenſchaft eines „Jünglings wie Sie täuſcht ihn ſo oft, iſt ſo oft „mehr Drang und Durſt der Seele nach Liebe, als „wirklich die Liebe ſelbſt. Verſuchen Sie eine Tren— „nung, ob die Sie nicht heilt. Laſſen Sie lieber „eine Saite in Ihrem Herzen ſpringen, als das „ganze Herz für immer in ſchneidenden Diſſonanzen „ertönen. Und darum ruf' ich: zu mir, armer Po— „lydor! zu mir.“ Wie ich den treuen Schutzengel erſchreckt habe dachte Polydor, nachdem er dieſen Brief geleſen und wie nutzlos, Regine liebt mich ja, worüber hab' ich denn geklagt? Und er lehnte ſeine Stirn an die Marmorwange ihrer Büſte, und verharrte ein Paar Minuten ſinnend oder ruhend in dieſer Stellung. Dann warf er den Kopf mit einem Lächeln voll Melancho—

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lie und Bitterkeit zurück, und murmelte: ich weiß es wol, Marmor und immer Marmor dort! und hier! ... und hier? Er ſchüttelte ſo heftig den Kopf, daß ſein dunkelrothes Sammetmützchen mit Goldfaden geſtickt, ein Geſchenk Reginens, von ſeinen Locken zur Erde fiel. Er hob es raſch auf, küßte es und ſagte: lieb: lich wie ſie, und verſengt mir das Hirn wie ſie! Er legte es auf den Stuhl, warf den Rock und die Halsbinde ab, zog ein Arbeitsjäckchen von grauem Nan— king an, und begann an einem Basrelief zu arbeiten, das er in den letzten Tagen entworfen: Ganymed vom Adler entführt. Dies Werk erfreute ihn. Er dachte: große Gedanken find Boten der Götter; fie tragen uns auf Fittigen des Adlers über den Nebel der Erde empor, und legen uns zitternd aber kühn, demüthig aber jubelnd zu den Füßen der geliebten Gottheit nie— der. Darum ſollen wir uns ſorglos ihnen überlaſſen! mächtige Gefühle, erhabene Ideen und große Gedan— ken heben in den Olymp; tiefe Ruhe, ſelige Unbefan— genheit ſoll auf den Zügen meines Ganymedes herr— ſchen. Er ahnt in ſich den Liebling des Zeus, und was ſchadet es denn, daß die Krallen des Adlers ihm den Buſen blutig reißen! Liebling des Zeus zu ſein, iſt der Triumph des Sterblichen und macht ihn un— ſterblich das iſt Alles. Wer am Nektar des Ewi— gen ſich berauſcht hat, kann der den ſchaalen Wein des Vergänglichen verlangen? Auf, Polydor! Und die Begeiſterung trug ihn, wie den Adler des Gany—

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med, zu Regionen in denen das Waffengeklirr der Lei— denſchaft verhallte. Er war ein Paar Augenblicke ganz glücklich. Als ob Regine geahnt hätte, daß er etwas Höheres als ſie gefunden war ſie in ſeiner Nähe. 5

Man klopfte an ſein Atelier. Auf ſein Herein erſchien der Jäger der Gräfin, meldend, daß ſie ihm auf dem Fuß folge. Wirklich trat ſie ein mit einer andern Dame, und Polydor ſank aus ſeinem Olymp vor ihr nieder. Sie war ſo königlich ſchön, die Wan— gen lebhaft geröthet von der friſchen Luft, die Geſtalt herrlich gezeichnet in dem Sammetkleid, das die Büſte eng umſchloß, und vom Gürtel an in breiten, vollen Falten bis zur Erde herabſank, ſo daß kaum beim Gehen der ſchmale Fuß ſichtbar ward. Sie ſagte zu Polydor:

„Wie lange war ich nicht in Ihrem Atelier! nun wünſchte dieſe Dame es zu ſehen, da benutze ich denn froh die Gelegenheit. Nicht wahr, Sie zeigen uns Ihre Arbeiten?“

Er gehorchte dem Wunſch, ward gelobt und ge— prieſen; aber es lag ein ſchwerer Druck vor ſeiner Stirn, auf ſeiner Bruſt; er war blaß wie ſeine Bil— der und wenigſtens eben ſo ſchön. Daß ſie ſo plötz— lich vor ihm erſchien, und immer mit derſelben liebli— chen Unbefangenheit, verſtörte ihn. Sie fragte:

„Sie ſind doch nicht krank? Ihr Auge iſt trübe und die Stirnader geſchwollen.“

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„Ich denke nur ſehr ſcharf darüber nach, ob alle mächtige Gefühle uns zum Olymp erheben.“

„Aber Sie deliriren!“ rief Regine erſchrocken, und ihre Gefährtin ſtarrte ängſtlich ihn an.

„O gar nicht,“ ſagte er, „ich habe jetzt meine volle Beſinnung.“

„Sie arbeiten zu angeſtrengt,“ ſagten beide Da— men um die Wette, „Sie gönnen Sich keine Erho— lung, Sie müſſen Sich Bewegung machen, gehen, rei— ten wollen Sie mit uns fahren?“ ſchloß Regine.

„Gern!“ rief er; „der Frühling kommt, da bin ich immer in krampfhafter Aufregung, wie der Vogel im Käfig.“ Er wollte herausſtürmen.

„Halt! halt!“ rief Regine lachend; „Sie ſind zwar ein Genie, aber die Hände müſſen Sie Sich doch waſchen und auch das Jäckchen ausziehen. Die Sonne des April iſt warm, die Luft kalt. Wir war— ten hier.“

Er flog in ſein Zimmer. „Ein wunderbarer Menſch“ ſagte die andere Dame.

„Nicht wahr? Künſtler vom Scheitel zur Sohle, aber durch und durch brav.“

„Und ein höchſt intereſſanter Kopf von ſeltener Schönheit.“

Als Polydor aus ſeinem Zimmer ins Atelier zu— rückkam, rechtfertigte er vollkommen den Ausſpruch der Dame. Seine hohe, ſchlanke Geſtalt, die er trotz ſei— ner Jugend feſt und kräftig aufgerichtet trug, zeigte

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ſich aufs Vortheilhafteſte in dem kurzen, ſchwarzen, bis oben hinauf zugeknöpften Ueberrock, und ſein Ge— ſicht mit den großen, etwas tiefliegenden Augen, der geraden ſcharfen Naſe mit breiter Wurzel, über der ſich eine frei entwickelte Stirn erhob, und den präch— tigen braunen Locken, war ſo edel, daß ſelbſt die kalte Regine ihn nicht ohne Bewunderung, und mit heim— licher Freude anſah. Aber dieſe Empfindungen ſtimm— ten ſie nicht weicher. Die Bewunderung galt ſeiner Schönheit; die Freude dem Triumph, daß ein Menſch von dieſer Schönheit, dem unwillkürlich jedes Frauen— auge nachfolgte, und der vielleicht nur ſich zu zeigen brauchte um unwiderſtehlich zu ſein keinen Blick, keinen Sinn, keine Aufmerkſamkeit für das ganze weib— liche Geſchlecht hatte, als einzig für ſie.

Aber in Polydors Seele reifte allmälig ein Ent— ſchluß. Er wollte Gewißheit haben, das Geſtändniß ihrer Liebe. Die Unſicherheit war ihm Folter. Ich muß wiſſen woran ich mit ihr bin, ob ſie nie, nie, mir angehören will! ſprach er für ſich, und ging auf und ab in ſeinem Zimmer. Seit ſechs Monaten faſt bin ich nichts, als weiches Wachs in ihrer Hand, und ich weiß nicht einmal, welche Geſtalt ſie mir geben will. Dies Weib kann einen Teufel aus mir machen. Sagt mir denn Ilda nicht, ob das die Art zu lieben aller Frauen iſt? Sie ſollte doch ihr Geſchlecht kennen und mir Wahrheit geben o nur Wahrheit! Er nahm ihren letzten Brief; da bemerkte er im Umſchlag ein

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keines Papier, das er noch nicht geleſen hatte. Haſtig es entfaltend las er: \ Vorſchlag.

Du willſt ſein mein eigen? So böre mich an, Treu will ich Dir zeigen, Wie's Schickſal ſein kann, Treu will ich Dir ſagen Vom Dunkel, vom Licht, Und kannſt Du's nicht tragen, So liebſt Du mich nicht. Wild ſind meine Pfade Voll Felſen und Dorn; Iſt's göttliche Gnade? Iſt's göttlicher Zorn? Vom Blitze zerſtöret Hab' oft mich geglaubt, Dann hat er verkläret Mir wieder das Haupt.

Wie fern in den Lüften Die Lerche hinſchwebt, Wie einſam aus Klüften Der Aar ſich erhebt: So iſt auch mein Leben Und Daſein, denn ſieh! Muß ſingen, muß ſchweben So einſam wie fie.

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Doch ſteig' ich zur Sonne Oft kräftig empor, Genieße der Wonne, Wenn Glück ich verlor. Doch bad' ich in Lüften Beſeligt die Bruſt, Hoch über den Grüften Voll irdiſchen Wuſt. In Leben und Sterben, Durch Ruhm und durch Schmach, Durch Sieg und Verderben Mußt folgen mir nach, Begegnen dem Hohne Wie bitter er ſei, Und tragen die Krone, Als wär's einerlei. Und haſt Du die Seele Voll ruhigen Muth, Daß ſtill ſie ſich ſtähle In jeglicher Glut: Nimm hin denn mein Leben, Sei mein, ich bin Dein! Doch fühlſt Du ein Beben So laß mich allein. Ja, ſagte Polydor, das iſt Ilda! ihr Brief iſt nicht fie, denn er iſt geſchrieben mit Rückſicht auf mich und weiß Gott was! Sobald ſie aber einen Ak—

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ford auf ihrer Harfe anfchlägt, fo wird fie wie durch Zauberwort befreit vom Wuſt der Welt, und ſteht da in ihrer eigentlichen wahren Geſtalt. O warum lieb' ich nicht ſie?

Wird denn nie ein Menſch kommen, ein Den— ker, ein Dichter, ein Prophet, ein Forſcher der die Frage: warum liebt man wenn man liebt? genügend beantworten wird. Iſt denn der tiefe dunkle Schat— ten, der über dieſem Gefühl ſchwebt, wie die Urnacht über der Entſtehung der Welt, durch keine Forſchung und Berechnung zu lichten? Nero ließ ſeine geliebte Caſonia foltern, um von ihr das Geheimniß zu er— preſſen, weßhalb er ſie liebe. Das war neroniſch. Aber es giebt Augenblicke wo man fühlt, daß das Joch zu eiſern wird, daß man es abſchütteln muß; und wie würde dieſe Anſtrengung erleichtert werden, wenn man wüßte, weßhalb man es getragen, weßhalb man ſich von einem und demſelben Gefühl in den Staub hat beugen, und in ein Paradies erheben laſſen. Sobald der Arzt den Grund der Krankheit kennt, weiß er auch richtige Mittel anzuwenden um ſie zu heben; wo nicht tappt er im Finſtern und richtet oft gro— ßes Unheil an durch verkehrte Arzneien. Ob aber die Liebe etwas Anderes iſt, als eine mächtige Krankheit mit Fieber, Ermattung, wilden Paroxismen, goldenen Phantaſieen, Erſchlaffung, Tod —?

Gräfin Regine lag auf der Chaiſe longue und las ziemlich gelangweilt einen engliſchen Roman, der

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kühl war, wie ihr Herz. Vielleicht langweilte er fie eben darum. Sie war durch Polydor in eine ſo warme Atmoſphäre verſetzt, daß ihr Alles außerhalb derſelben matt und dürftig vorkam. Wie man im Winter um ſich zu wärmen die Sonne aufſucht, ſo dachte ſie an Polydor. Da flog die Thür auf und er trat ein. Die Stunde war ungewöhnlich früh. Obgleich ſie ſich freute ihn zu ſehen und eine ange— nehmere Unterhaltung zu haben, als die der engliſchen See⸗Cadets, ſo war es ihr doch ärgerlich, daß er ohne ausdrückliche Erlaubniß dieſe Freiheit nahm, und ſie ſagte verdrießlich:

„Wie hat man Sie denn im Vorzimmer nicht abgewieſen!“

„Ich gab vor Ihren Befehl zu haben“ ent— gegnete Polydor.

„Aber Sie wiſſen, daß ich um dieſe Stunde nie— mand zu ſehen pflege, und daß es mehr wie auffal— lend iſt, wenn ich für Sie eine Ausnahme mache.“

„Laſſen Sie nur heute ſie gelten, bat er demü— thig, es ſoll nicht wieder ohne Ihre Zuſtimmung ge— ſchehen.“

„Und was giebt es denn?“ fragte ſie milder, verſöhnt durch ſeine bittende Stimme, die faſt zitternd klang. Er wechſelte die Farbe, kniete vor der Chaiſe longue nieder, legte die Stirn auf deren Rand und antwortete nicht. Regine kannte das. Sein Herz war zu voll, zu ſchwer. Sie mußte reden.

„Nun

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„Nun Polydor,“ ſagte ſie ſehr lieblich, „ſoll ich wieder einen Sturm beſchwören, notre dame de la garde? Wenn Sie wüßten, wie Sie mich erſchrecken mit Ihrer brauſenden Heftigkeit. Man iſt in der Welt ſo wenig daran gewöhnt die Form mäßigt Alles, und das iſt gut. Glichen alle Menſchen Ih— nen, ſo könnte gar keine Geſellſchaft beſtehen. Und doch wer freut ſich nicht einer Ausnahme wie Ih— nen zu begegnen? Aber ſtehen Sie auf, ſetzen Sie Sich auf den Seſſel und ſagen Sie mir, was Ihnen widerfahren iſt. Stehen Sie doch auf, lieber Polydor.“ Sie ſtreifte leicht mit der Hand über ſeine Locken.

Aber er verharrte in ſeiner Stellung und ſie ſagte ungeduldig:

„Sie werden mich ganz böſe machen mit dieſem ennuyanten Schweigen.“

„Und verſprechen Sie mir, nicht böſe zu werden wenn ich rede?“ fragte er leiſe und hob den Kopf empor.

„Ich bin daran gewöhnt Geduld mit Ihnen zu haben“ entgegnete ſie freundlich.

Er blieb auf den Knieen liegen, aber er richtete den Oberleib auf, ſchöpfte tief Athem, ſah ihr feſt ins Auge und ſprach beſtimmt:

„Geben Sie mir Ihre Hand.“

„Recht gern“ antwortete ſie gleichgültig, und ſtreckte aus dem weiten Ermel ihres weißen Morgen:

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kleides gelaſſen ihre Hand. Er nahm ſie mit einem eiſernen Griff, ſo daß ein Ausdruck von Unbehagen über ihre Züge glitt. Dann ſagte er wieder:

„Jetzt geben Sie mir einen Kuß und ſagen Sie: ich liebe dich Polydor!“

„Sie ſind aber in der That zu kindiſch“ er— widerte die Gräfin, gleichgültig wie vorhin.

„Es iſt mein Ernſt, Regine! ich will es, ich ver— lang' es. Ich werde Sie nicht eher verlaſſen.“

„Ah!“ ſagte Regine mit ungeheucheltem Erſtau— nen. Sie hatte bis jetzt ihre nachläſſige Stellung auf der Chaiſe longue beibehalten; nun richtete ſie ſich auf, ſtützte ſich auf den Elbogen und wartete, was kommen werde. Aber er wiederholte nur:

„Es iſt mein Ernſt.“

„Sie ſollten wiſſen, daß ich dergleichen Demon— ſtrationen nicht liebe“ ſprach ſie kalt.

„Dergleichen Demonſtrationen!“ rief er heftig; aber ſich bezwingend fuhr er ruhiger fort: „Sie, wiſ— ſen, daß und wie ich Sie liebe! So lange ich Sie kenne habe ich es Ihnen durch Wort und That be— wieſen. Ja, durch die That“ wiederholte er, weil ſie ihn fragend anſah „denn ich hab' Ihnen ver— traut, habe mein ganzes Herz zu Ihren Füßen nieder— gelegt und meine ganze Seele vor Ihnen ausgebrei— tet, und Sie haben in Beiden nichts gefunden, als Ihr Bild, und ich habe nie gefragt: welch Bild wohnt in Deiner Seele. Ich glaube an Dich, glaube, daß

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keine Frau ungerührt von einer fo tiefen Liebe blei— ben kann, oder glaube, daß, wenn ſie ungerührt bleibt, ſie doch edel genug ſein wird, um es offen zu ſagen. Du aber biſt freundlich meiner Liebe begegnet, haſt lieblich auf ihre Geſtändniſſe gelauſcht; aber geſprochen haſt Du nie. Nun laß mich zum erſten Mal das einzige Wort hören, das mir zu meiner Seligkeit fehlt: ich liebe dich.“

„Die Frauen ſprechen ſich nicht gern ſo unum— wunden aus“ ſagte ſie ausweichend „warum zweifeln Sie denn an mir?“

„Weil ich ein Menſch bin!“ rief er mit aus— brechender Heftigkeit, weil ich ohne tiefe, feſte, heilige Gewißheit dieſe Exiſtenz nicht tragen mag.“

„Sehen Sie, dieſe Heftigkeit allein reicht hin mich auf ewig einzuſchüchtern. Was hab' ich von ſol— cher Raſerei nicht zu fürchten!“

„Fürchten? ach, Sie beherrſchen mich mit einem halben Gedanken! was fürchtet die Königin von ih— rem armen Sclaven! und wenn ich raſend bin wer trägt die Schuld? Sie können mich ſanft machen, ſanft und fromm wie ein Kind nur ein Wort!“

„Die ausgeſprochene Liebe nimmt immer einen andern Character an, ſtürmiſcher, leidenſchaftlicher, drum zögert die Frau.“

„Ich will es glauben, will Alles, Alles glauben! aber wenn der Geliebte fleht, wie in Todesqual um

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Barmherzigkeit fleht, fo ift die Frau, die dann noch zoͤgert ein Ungeheuer.“ ö

„Polydor!“ ſagte Regine ſanft und traurig.

„O vergieb,“ rief er, ihre Hand an ſeine Stirn legend „vergieb und ſchweig, wenn Du nicht reden magſt! Aber ... kannſt Du mir Deine Seele nicht in einem Wort geben, ſo gieb ſie mir ſüßer und ſeli— ger noch in einem Kuß.“

„Davon iſt vollends gar nicht die Rede“ ſagte ſie die Hand zurückziehend mit Ungeduld. Po— lydor ſtand auf und ſprach erſchöpft:

„Du weißt, ich war einmal ein armer Bettel— knabe, und lag ſterbend vor Hunger und Mattigkeit im Koliſeum; da ſchickte Gott mir einen ſeiner Engel: eine Frau rettete mich. Jetzt bin ich wieder dem Un— tergang nah und wieder hat Gott mir einen Boten zugedacht. Regine, entziehe Dich nicht dem himmli— ſchen Beruf, das Geſchöpf zu ſein, hinter welchem der Schöpfer ſich verbirgt rette mich, gieb mir ein Liebeszeichen.“

„Genug!“ rief Regine, heftig aufſtehend; „nichts auf der Welt iſt meiner Natur verhaßter als dieſe Sinnlichkeit.“

„Brauch nicht das Wort, Regine, jetzt nicht! wenn das ganze Weſen in einem Punkt zuſammen— brennt und in einer wehenden Glut ſteht: ſo hat es einen dürftigen Klang! Oder brauch' es,“ fuhr er fort, vor ihr niederſinkend und ihre Knie umfaſſend, „nenn

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es wie Du willft, aber ſei gnädig, gieb mir ein Lie— beszeichen.“

„Verlaſſen Sie mich auf der Stelle“ ſprach ſie unwillig.

„Regine!“ rief er außer ſich „Du erhörſt meine Bitte nicht? nun denn ich will ein Liebes— zeichen.“

„Ich verachte Sie“ ſprach die Gräfin eis— kalt. Wie von einem elektriſchen Schlag getroffen, ſanken ſeine Arme herab, ſo daß Regine zurücktreten konnte. Sie ſetzte ſich wieder gleichgültig auf die Chaiſe longue. Polydor hatte feine knieende Stellung verlaſſen und richtete ſich in ſeiner ganzen Höhe vor ihr auf; aber er zitterte ſo, daß der Tiſch bebte, auf den er ſeine Hand legte um Haltung zu gewinnen. Seine Züge waren tief und ſcharf, als habe ihn der Augenblick um zehn Jahr älter gemacht, und es lag auf ihnen ein unbeſchreiblicher Ausdruck von Schmerz und Zorn. Aber mit ruhiger Stimme, und ernſt ſie anblickend, ſagte er: |

„Das ändert freilich Alles gnädige Gräfin.“ Dann verbeugte er ſich, und verließ das Gemach. Re— gine ſchöpfte Athem, als ob ihr eine ſchwere Laſt von der Bruſt falle. Himmel, welch' ein furioſer Menſch, dachte ſie; ich glaube, er könnte mich umbringen! welch” Glück, daß mir das letzte Wort einſiel.

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Neuntes Kapitel.

Ondine lebte in tiefſter Zurückgezogenheit am Ufer des Arno in einer kleinen, freundlichen Villa. Aber Caſimir kam nicht, wie er es ihr geſchrieben und wie ſie ſelbſt gehofft hatte. So lange ſie die erſte Trauer trug, wünſchte ſie nicht einmal ſeine Gegenwart und bat ihn in Paris zu bleiben; allein nach ſechs Mo— naten, mit dem Beginn des neuen Jahres hätte er kommen dürfen, wollte er kommen, jeder Brief verhieß es und ein Tag reihete ſich an den andern, ohne ihn zu bringen. Dann traf wieder ein Brief ein, voll Euſchuldugungen, Vorwänden, neuen Verſprechungen, und ſie glaubte und hoffte bis zu dem feſtgeſetzten Zeitpunkt, wo abermals eine Täuſchung ihrer wartete, und wo die Ahnung eines entſetzlichen unabwendbaren Unglücks allmälig ſie beſchlich.

Die Einſamkeit laſtete fürchterlich auf ihr. Es gehört nicht immer ein ſtarker Geiſt oder eine ernſte Beſchäftigung dazu, um lange Zeit hindurch Einſam— keit zu ertragen; auch Menſchen von gewöhnlichen Fähigkeiten haben ſie oftmals gern, entweder weil ſie

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blaſirt und abgeſtumpft für die Freuden der Geſell— ſchaft ſind, oder weil ſie auf eine oder die andere Weiſe die Mittel verloren haben, in ihr zu glänzen, oder weil viel Unglück ſie umgetrieben und bedürftig der Stille gemacht hat; ihnen iſt die Einſamkeit be— quem, beſchattend, beruhigend. Für Menſchen von großen Gaben und ungewöhnlichen Talenten iſt ſie, von Moſes an bis auf Byron, zu Zeiten ein ſchmach— tendes Bedürfniß, ein Durſt, der geſtillt werden muß, weil ſie wiſſen, daß auf Pathmos Offenbarungen ge— ſchrieben werden, und weil das Leben ſie mehr in An— ſpruch nimmt und ihre Kräfte mehr anregt und raſcher verbraucht, als es bei der Menge der Fall iſt. Für die Maſſe der Menſchen aber, nicht gewöhnt ſich mit großen Ideen zu beſchäftigen, ſondern am Täglichen hangend, das Nächſte verlangend, mit mannigfachen Wünſchen und Erwartungen, welche nur im beſtändi— gen Verkehr mit der Außenwelt befriedigt werden kön— nen, in ihrem Innern zuweilen unſicher, gar zerfallen für ſie iſt Einſamkeit nicht erquickend.

Und nun gar für die arme, ſchwache, ſchutzbe— dürftige, liebende Ondine! Ach, ſie war nicht bloß ein— ſam ſie war verlaſſen. Sie hatte niemand, als ihre Dienſtboten, treue Seelen zwar aber Diener! Ihr Kaſnmermädchen, das einige Jahr älter wie fie mit ihr erzogen, und nie von ihrer Seite gewichen war, ward ihre einzige Geſellſchaft. Mit ihr ſprach Ondine von Deutſchland, von ihren Soͤhnen, von

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Schloß Ohlau, und oftmals netzten heiße Thränen das Auge der Herrin und Dienerin bei ſolchen Geſprächen. Je mehr ihre Hoffnung, den Mann wiederzuſehen, dem ſie ihre ſtrahlende Exiſtenz geopfert, gleich einem bleichen Geſtirn unterging, deſto feuriger erhob ſich am Horizont die drohende Kometenruthe der Reue. Ondine hatte geglaubt, ihr Daſein ſei durch die un— überwindlichſte Liebe ſo innig mit Caſimir verwebt, daß ſie nur in ſeiner Nähe, wie er in der ihren, den— ken und empfinden, ja athmen und leben könne. Nun war fie von ihm getrennt ach, wie lange ſchon! und ſie lebte, und er lebte: alſo war Trennung nicht Tod! alſo war die Liebe nicht mächtig genug, daß ſie ſagen durfte: ich wollte nicht ſterben, darum warf ich mich in ihre rettenden Arme. Bisweilen wollte ſie auf einen Zug den Giftbecher leeren, und freiwillig von Caſimir zurücktreten; dann aber trat er in ſeiner ganzen Anmuth vor ihre Seele, und es ſchien ihr un— möglich, daß dieſer Menſch, der mit ſolcher Innigkeit und ſolcher Glut an ihr hing, durch etwas Anderes als durch Zufälligkeiten, von ihr entfernt gehalten wer— den könne. Dann entſchloß ſie ſich wieder zu hoffen. Ach nein! nicht zu hoffen aber zu warten. Wer hat nicht gewartet? wem hat dieſe Folter nicht das Blut mit Fieberangſt, bis zum Wahnſinn, bis zur Ohnmacht, durch die Adern gejagt? Giebt es ein vom Himmel ſo begnadigtes Weſen, ſo wird es freilich nicht begreifen können, daß dieſer Zuſtand, gleich einer um—

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ſchlingenden Boa, Ondine aller Kraft, jeder Fähigkeit beraubte, ihr Herz zermalmte, an ihrem Leben zehrte. Ihr Auge wurde trübe, ihre Haltung gebeugt, ihr Gang ſchleppend; das Federwerk ihres Daſeins war zerſtört und das Räderwerk ging noch eine Zeitlang ſeinen Gang fort, bis es langſam und immer langſa— mer wurde. Ihre Schönheit verblühte. Der duftige, friſche Taint ging über in ein krankhaftes Gelb; Auge und Schläfen ſanken ein, um den Mund legten ſich die unauslöſchlichen Züge des Grams; ſie glich ei— ner verwelkten, blaßrothen Hyazinthe.

Die treue Hedwig grämte ſich unſaͤglich über Ondine.

„Sie wird hier ſterben,“ ſagte ſie oft mit bittern Thränen zu dem Kammerdiener, „hier in der Fremde, in der Verlaſſenheit, ohne Verwandte und Freunde! ach Ludwig eine ſolche Dame! bedenken Sie nur, wie das ihr wehe thun muß.“

„Ja,“ ſagte Ludwig, „ſeit dem Tode des ſeligen Grafen haben wir kein Glück mehr. Und wären wir nur in Deutſchland geblieben, oder zur Gräfin Ilda gegangen!“

„Ach, Gräfin, Ilda! wenn die unſer Elend kennte, ſie käme.“

„So ſchreiben Sie es ihr doch, Hedwig.“

„Ich habe wol ſchon daran gedacht, aber ich weiß nicht, es macht mich verlegen, und dann kann

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ein Brief auf ſo viel hundert Meilen leicht verloren gehen.“

„Ich will ihn hinbringen, Tag und Nacht rei— fen! in vierzehn Tagen ſollte man doch wol nach Ru— henthal kommen!“

„Ganz gewiß; aber wenn Sie fortgehen, wird ſie ſich nicht betrüben?“ fragte Hedwig mit einem Zartgefühl, das weit über ihren Stand war.

„Wenn Gräfin Ilda kommt freut ſie ſich aber gewiß; und die kommt, wenn ich ihr Alles erzähle. Die iſt ſo! ſteigt in den Wagen und fährt nach Flo— renz, als ob ſie zum Ball führe. Wiſſen Sie noch, wie ſie 'mal in Schloß Ohlau ankam, als der kleine Graf Ulrich auf den Tod danieder lag? Niemand wußte was davon da war ſie!“

„Ja,“ ſeufzte Hedwig, „wäre unſere Gräfin wie Gräfin Ilda, ſo würde es uns nicht ſo übel gehen. Die entſchließt ſich wie ein Mann, und ſieht doch aus wie ein Engel ſo zart. Das kommt daher, Lndwig, daß der liebe Gott manche Menſchen ſtark gemacht, und manche nicht wie er ſie gerade braucht, und das können Sie mir glauben, mit der Gräfin Ilda hat er beſondere Abſichten. Sie ſieht anders aus wie die übrigen Menſchen.“

„Das wüßt ich doch nicht.“

„Wahrhaftig! Hätten Sie ſie geſehen, wenn ſie in das Toilettenzimmer unſerer Gräfin kam ſie zieht ſich immer ſehr raſch an, ohne ein Wort mit

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ihrer Kammerjungfer zu ſprechen und wie fie ihr dies und das erzählte, ich weiß nicht was, denn ſie ſprachen immer engliſch zuſammen ſo würden Sie

es auch finden. Sie hat ſo etwas Klares, Hohes! ich glaube, ſie gab unſerer Gräfin gute Rathſchläge, denn die hörte meiſtens freundlich zu.“

Ueber den Anzug und die Kleider?“

„Nein, Ludwig, das iſt nicht ihr Fach! ich meine über Kinder oder dergleichen Wichtiges, weil es immer im Toilettenzimmer war, wohin niemand kom— men durfte, ſelbſt nicht der ſelige Graf. Ach, wenn ich an die Zeit gedenke, mögte mir das Herz brechen.“

„Kann ich nicht ſchon morgen abreiſen?“

„Ich will gleich mit ihr ſprechen.“

Hedwig ging auf die Terraſſe, wo Ondine ihre Tage in dumpfer Apathie hinbrütete. Sie ſaß zu— ſammengeſunken in einem tiefen Lehnſtuhl, und hielt auf ihrem Schooß eine Platte von ſchwarzem, zierlich geſchnitztem Ebenholz, in welche vier Miniatur-Por— träts eingelegt waren: ihre Söhne, Askanio und Ilda. Auf einem Tiſchchen neben ihr lag in grünem Maro— quin-Etui das Porträt Caſimirs. Nachdem ſie die vier Bilder lange betrachtet, nahm ſie die Platte in die rechte, das Etui in die linke Hand, bewegte ſie langſam gegen einander, als ob ſie ſie wäge, und ließ endlich die Rechte auf der Seitenlehne des Seſſels ruhen, indeſſen die Linke, wie in Ermattung, tief her— abſank. Es lag etwas vollkommen Gedankenloſes und

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unſäglich Troſtloſes in Ondinens Ausdruck uud Bewe— gung. Sie hatte nichts dabei gedacht und gewollt; es war die unwillkürliche Richtung ihrer Seele, die ſich offenbarte. Als die linke Hand herabſank, ward ſie ſich ihrer bewußt, und ein Lächeln von zerreißender Bitterkeit zuckte um ihre Lippen. Da erblickte ſie Hedwig und ſagte:

„Bringe mir recht kaltes Waſſer; die Hitze ver— zehrt mich.“

„Es iſt ein böſes Klima, gnädige Gräfin“ ver— ſetzte Hedwig, „der Ludwig iſt auch ganz krank und ſchwach.“

„Was fehlt ihm? er ſoll gleich in die Stadt und zum Arzt gehen.“

„Er will nicht. Er ſagt kein Doctor könne ihm helfen, uud er würde erſt in Deutſchland, eigentlich aber in Schloß Ohlau, von ſelbſt wieder geſund werden.“

„Das iſt das Heimweh, Hedwig, daran kann man ſterben, eben ſo gut wie an jeder übermächtigen Sehnſucht der Ludwig muß fort gleich! ich brauche ihn nicht. Der alte Gärtner iſt ja hier mit ſeinem Sohn. Geh, und ſchicke mir den Ludwig.“

Hedwig entfernte ſich und murmelte mit gefalte— nen Händen:

„Guter Gott, vergieb mir die Lüge.“ Und nach fünf Minuten trat Ludwig vor die Gräfin. Sie ſagte ſehr freundlich:

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„Ich danke Ihnen, daß Sie ſo lange brav und treu in meinem Dienſt gelebt haben, darin ſterben ſol— len Sie nicht. Gehen Sie nach Schloß Ohlau zu— rück, unter den ſchönen grünen Eichen und Buchen werden Sie wieder geſund werden. Ach, ich würde es vielleicht auch.“

„Befehlen gnädige Gräfin abzureiſen, ſo iſt Alles..“

„Nein, mein guter Ludwig, das geht nicht. Rei— ſen Sie gleich ab, und wenn Sie nach Schloß Oh— lau kommen, ſo grüßen Sie alle Leute von mir die mich noch nicht vergeſſen haben ... Alle! und ſa— gen Sie ihnen ...“

Ihre Stimme brach in Thränen. Sie drückte das Taſchentuch vor das Geſicht, und winkte ihm zu gehen. Er küßte demüthig ihre Hand und ging mit raſchen Schritten zu Hedwig.

„Hedwig,“ ſagte er zornig, und fuhr mit dem Finger über ſeine naſſen Augen, „Donnerwetter! ich muß heulen wie ein Schulbube. Sie weinte, Hed— wig! Nun, ich will nichts ſagen aber Gott ver— gebe es dem hündiſchen Schurken.“

Einige Stunden ſpäter ſaß Ludwig mit einem Reiſegeld von Ondinen verſehen im Eilwagen, der ihn nach Norden führte.

Aber ehe er in Ruhenthal anlangte, entſchied ſich Ondinens Schickſal. Nachdem ſie während ſechs Wo— chen ohne Nachricht von Caſimir geweſen war, erhielt

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fie einen Brief von unbefannter Hand. Der Stem: pel: Paris, erfüllte fie mit tödtlicher Beſorgniß. Noch ehe ſie ihn geleſen, ſtand faſt ihr Herz ſtill vor läh— mender Angſt. Sie rief:

„Hedwig! bleibe bei mir! mir iſt als ob ich ſter— ben könnte.“

Dann nahm ſie ſich zuſammen und erbrach den Brief. Er war von Caſimirs Oheim, der ihr in den ehrfurchtvollſten Worten ſagte, daß ſein Neffe von ei— ner verzehrenden Leidenſchaft für eine junge, ſchöne Engländerin, Erbin einer Million, durchglüht ſei, und der glücklichſte Gatte werden könne, wenn ſie On— dine dieſem Glück kein Hinderniß entgegenſtellen wolle. Sein Neffe, voll unwandelbarer Verehrung ihrer himmliſchen Güte, habe nicht den Muth, ſelbſt dieſe Worte an ſie zu richten, wol wiſſend, daß er die Gefühle der Huld, welche ſie für ihn hege, durch die— ſen Schritt verletze. Daher halte er es für ſeine Pflicht, ohne des Neffen Vorwiſſen, ſie von der Lage der Dinge zu benachrichtigen, in der feſten Voraus— ſetzung, daß ihr großmüthiges Herz nicht ſchwanken werde in der Wahl zwiſchen fremdem und eigenem Glück.

Dieſe Geſchichte war richtig, inſofern ſie die Hei— rath, wenngleich nicht die Leidenſchaft, betraf. Uebri— gens hatte der Oheim auf Caſimirs Bitte den Brief geſchrieben.

„Diable!“ ſagte er „ich muß endlich kurz

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und gut mit ihr brechen! Lieber Onkel, Sie wiſſen Briefe ſüperb zu tourniren reißen Sie mich aus dieſer Verlegenheit, denn foi de gentilhomme um die Betheuerung des großen Frauenverehrers Franz J. zu brauchen verlegen bin ich, wenn ich an dieſe Frau denke.“

So wie Ondine den Brief geleſen, ſtand ſie auf, ging zu ihrem Schreibtiſch, ſchrieb mit feſter Hand auf ein Blatt Papier: „Fürſt Caſimir P. iſt, was mich betrifft, durchaus frei; möge er glücklich ſein“ couvertirte und adreſſirte mit höchſter Faſſung, ſandte den Brief zur Stelle ab und ſank in tiefe wol— thätige Ohnmacht. /

Es iſt gewiß, daß ein Nervenſchlag oder eine in der Bruſt ſpringende Ader, zu Zeiten ſehr à propos wären um eine qualvolle Exiſtenz zu enden; und die Romanciers, obſchon ſie kein Mitleid mit ihren Leſern haben, empfinden es dennoch mit den Gebilden ihrer Phantaſie, und gönnen ihnen gern den Nervenſchlag oder ähnlichen plötzlichen Tod beſonders wenn ſie nicht wiſſen, was weiter mit ihnen anfangen. Aber in der Wirklichkeit iſt's anders! da ſterben meiſtens nur die Leute, die nicht gern ſterben wollen, und die— jenigen, für welche der Tod eine Wohlthat wäre, le— ben und leben. Das Schickſal iſt gleichgültiger gegen ſeine Menſchen, als die Romanciers. Ondine erwachte aus ihrer Ohnmacht. Hedwig kniete an ihrem Bette

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und bedeckte die Hand der geliebten Herrin mit Küſ— ſen und Thränen.

„Weine nicht,“ ſagte Onbing „nun iſt Alles ent: ſchieden und gut.“

„Gut?“ rief Hedwig überwältigt von Schmerz „gut? und Sie vergehen in Kummer? ach, gnä— dige Gräfin, ſchlecht iſt es vom Fürſten Caſimir!“

„Still, Hedwig, das darfſt Du von niemand ſa— gen! Jeder folgt ſeinem Herzen, und da es ſchwache, thörichte, ſündhafte Herzen giebt, warum nicht auch harte. Das meine war einſt mehr wie hart es war verſtockt, und weil es ſich nicht freiwillig opfern wollte, ſo wurde es zermalmt. Siehſt Du, wie das Alles ganz natürlich iſt!“

„Sprechen Sie nicht ſo,“ gnädige Gräfin, rief Hedwig ſchluchzend, „ich kanns nicht aushalten! ich weiß nicht was ich Ihnen darauf antworten ſoll! O, wäre doch erſt Frau Gräfin Ilda hier!“

„Ilda? was fällt Dir ein?“ fragte Ondine be— fremdet.

„Ach Gott ja, der Ludwig iſt hingereiſt um ihr zu ſagen ... wir fürchteten, daß gnädige Gräfin ihr nicht ſchreiben würden wie krank und niedergeſchlagen Sie Sich hier befinden ... darum ...“

„Hedwig, Gott ſegne Dich!“ rief Ondine, und beide Arme um den Hals des Mädchens ſchlingend, zog ſie ſie an ihre Bruſt und weinte ohne Bitterkeit ſieit langer Zeit die erſten ſanften Thränen.

„Nicht

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„Nicht wahr, das haben wir recht gemacht?“ fragte N froh.

„O freilich habt Ihr, Ihr t treuen Seelen! Ich konnte nicht an Ilda ſchreiben. Hüte Dich vor der Schuld, Hedwig! ſie entfremdet uns von den gelieb— teſten Weſen, wir haben kein Vertrauen mehr zu ih— nen; wir glauben nicht mehr an uns, wie ſollten wir an Andere glauben! ach kaum an Gott.“

„Das iſt fündlich, gnädige Gräfin“ ſagte Oedwig ernſt.

„Ich weiß es, Kind! aber wo das Leben ſündhaft, da ſind es die Gedanken auch.“

„Die Frau Gräfin Ilda wird kommen und Troſt bringen.“

„Kommen wird ſie das weiß ich! aber wie lange kann das nicht währen! ich will zu ihr will ihr entgegen.“

„Ach, in dieſem Zuſtand von Schwäche? ... und es giebt verſchiedene Wege nach Deutſchland . ..“

„Kühlere Luft wird mich ſtärken; und der nächſte Weg geht über Inſpruck den nimmt ſie.“

Was auch Hedwig ſagen mogte, Ondine wider: legte Alles mit nervöſer Heftigkeit, und trieb ſelbſt, in krankhafter Aufregung momentane Kräfte findend, al— lerlei Vörkehrungen zur baldigen Abreife.

Lieblich wehte die Frühlingsluft durch den grü— nenden Park von Ruhenthal und trug den Duft der Hyazinthen, Tazetten und Tulpen aus dem Blumen—

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garten in den Salon, deſſen Thüren nach der Terraſſe hin geöffnet waren. Es waren außer Ilda und ihrer Mutter nur der Baron, Werffen und Otto anweſend; aber Alle waren in heiterſter Laune und man ſcherzte und lachte viel. Da trat Ildas alter Kammerdiener, Albrecht, ein, mit einem Geſicht, das Dienſtboten an— nehmen, wenn ſie etwas Bedenkliches zu verkünden haben, und welches allein ſchon hinreicht das Blut in den Adern gefrieren zu machen, wenn ſie auch nicht hinzuſetzen, wie ſie zu thun pflegen, und wie auch Al— brecht that:

„Erſchrecken gnädige Gräfin nur nicht! der Lud— wig iſt da.“

„Wer iſt der Ludwig? was will er?“ fragte Ilda; aber ihre Häude zitterten.

„Es iſt der Kammerdiener der Frau Gräfin Oh— lau aus Florenz.“

„Sie iſt todt!“ ſchrie Ilda, bleich vor Angſt.

„Nein, Gott behüte, fie lebt ...“

„In mein Zimmer gleich!“ rief Ilda und ver— ließ den Saal.

Der Baron ſagte phlegmatiſch: „Ich begreife, daß üble Nachrichten kommen müſſen, indem allerlei Unglück auf der Welt geſchieht. Weshalb ſie aber ſtets gerade dann kommen, wenn man vergnügt und guter Dinge iſt und nicht im Entfernteſten an ſie denkt das werde ich nie begreifen.“

„Iſt auch nicht nöthig,“ meinte Otto, „wenn

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man nur begreift, wie man ſich dabei zu benehmen hat; und dazu gehört wirklich unerhört viel Genie, weil man immer überraſcht wird, ſich nie vorbereiten kann und auf dem Fleck ſeinen Entſchluß faſſen muß.“

„Man kann ſich einigermaßen vorbereiten, „ſagte Werffen, wenn man ſich in alle mögliche traurige Si— tuationen hineindenkt.“

„Ja,“ erwiderte Otto, „aber man kann ſicher ſein, daß man in die Situation nicht geräth, in die man ſich gedacht hat. Der liebe Gott iſt der geſchickteſte Romancier, den ich kenne! ſeine Stellungen, Wendun— gen und Auflöſungen zeugen von einem höchſt erfin— dungsreichen Kopf.“

„Ich bin überzeugt, daß meine Tochter zu ihrer Couſine geht,“ ſagte Ildas Mutter, „und ich geſtehe, es iſt mir ziemlich unangenehm. Die Frau iſt krank und verloren, Ilda kann ihr nicht helfen und vielleicht ſich ſelbſt ſchaden.“

Ilda trat ein, todtenblaß und ſagte mit zittern— der Stimme:

„Ondine iſt vollkommen unglücklich nach der Aus— ſage ihres treuen Dieners; in drei Tagen, liebe Mut— ter, werde ich reiſen.

„Wir dachten es!“ rief der Baron.

„Das hoffe ich“ entgegnete ſie freundlich; aber ihr Blick fiel mit unausſprechlicher Trauer auf Otto.

„Liebes Kind,“ ſagte die Mutter, „da Askanio

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Dein Freund war, ſo begreife ich nicht, wie Du Dich noch ſo lebhaft für Ondine intereſſiren kannſt.“

„Weil er mein Freund war, liebe Mutter, muß ich in ſeinem Sinn für ſie handeln. Und dann habe ich Ondine geliebt, als ſie glücklich, glänzend, geehrt und tadellos war, und ſehe nicht ein, weßhalb ich ſie nicht mehr lieben ſoll, da ſie das Alles nicht mehr iſt. Ach, wer ſoll denn Nachſicht mit uns haben, wenn nicht die Freunde?“

„Nachſicht wol auch Entſchuldigung, Erbar— men und Hülfe; aber Er darf ſich kaum in Deutſch— land ſehen laffen .

„Drum gehe en ja zu ihr nach Italien, gute Mutter“ ſagte Ilda melancholiſch. „Wenn ein ge— geliebtes Weſen auf dem Schaffot nein, unter dem Galgen ſtände, ich müßte hin und es umarmen.“

„Wie grauenhaft!“ riefen die Mutter und Werf— fen aus einem Munde.

„Das können Sie nicht im Voraus behaupten,“ rief Otto, „es giebt Verbrechen, die ſolch Erbarmen faſt ſündlich machen würden, andere, die das Erbar— men tödten . ..“

„Wer ſpricht von Erbarmen? ich thät' es aus Liebe; die kennt keine Sünde und keinen Tod.“

„Meine tapfre Gräfin,“ ſagte der Baron ſpöt— 4 weil er gerührt war, „Amazonen wie Sie brau—

chen freilich keinen Beſchützer; aber ein Reiſemarſchall iſt für jedermann eine bequeme Kreatur, und als ſol—

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cher werde ich nach Florenz Sie begleiten, wenn es Ihnen recht iſt. Ich ſähe gern einmal das fchone Italien wieder.“ b

Mutter und Tochter reichten ihm dankbar die Hand. Werffen ſagte:

„Der Baron iſt beneidenswerth.“ Otto ſagte nichts; ſein Blick hing an Ilda. „Gehen wir in den Park!“ rief ſie, „ich bin ganz nervenſchwach gewor— den.“ Und raſch eilte ſie über die Terraſſe in den Garten. Ohne ſich einen Augenblick zu beſinnen folgte Otto ihr eben ſo raſch, und ſie gingen durch die lan— gen Alleen mit fliegender Geſchwindigkeit. Nach lan— gem Schweigen ſagte Otto gepreßt:

„Warum eilen Sie ſo, Gräfin? früh genug wer— den Sie fern ſein.“

„Um mich zu betäuben“ ſagte ſie; es waren Thränen in ihrer Stimme.

„O,“ rief er, „Sie werden Sich leicht betäuben! aber ich ich! wenn Sie wiederkehren bin ich fern und dann . .. vergeſſen!“

Sie ſtand plötzlich ſtill und ſah ihn faſt zür— nend an.

„Ja, ja! vergeſſen!“ wiederholte er mit melan— choliſchem Lächeln.

„O nur nicht lügen!“ rief ſie, und noch raſcher ging ſie vorwärts bis zum Wartthurm am Ende des Parks.

„Da oben iſt's luftig und frei,“ ſagte ſie. Otto

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drückte die ſchwere Thür von Eichenholz mit gothiſchem Schnitzwerk verſehen auf, und ſie ſtiegen die Wendel— treppe empor zur Platteform. Es war wunderſchön. Die grünende, duftige Erde mit wehenden Wäldern und wogenden Saaten lag vor ihnen ausgebreitet; der blaue Strom, aus Weſten kommend, ſchien ein Bote der eben untergegangenen Sonne an das Meer zu ſein, das wie ein Gott mit ſtarken Armen die ge— liebte Erdgöttin umfing; und der Mond ging leiſe wie ein Traum im Oſten auf. Und dann war es Frühling. Im Frühling iſt die ganze Welt ſchön, wie alle Menſchen es in der Jugend ſind.

Ilda lehnte ſich an die Bruſtwehr; ihr Herz ſchlug hörbar; die Meerluft wehte ihr Haar zurück, das hellblaue Kleid, das rothe Shawl; es lag die tiefe geiſtige Glut auf ihren Wangen, die aus der lebhaf— teſten innern Bewegung entſpringt, und die nur bei Menſchen von äußerſt zarter Conſtitution und äußerſt lebendiger, ja leidenſchaftlicher Empfindungsweiſe ge— funden wird. Dieſe Glut gleicht den gemeinhin ſoge— nannten ſchönen Farben gerade ſo, wie die Roſe von Damaskus der Centifolie. Otto ſtand mit unterge— ſchlagenen Armen neben ihr, und würde ſich nicht ſehr gewundert haben, wenn ſie auf ihrem rothen Shawl, wie auf Flammen, gen Himmel gefahren wäre. Aber er ſagte kein Wort. Da faßte ſie ihren ganzen Muth zuſammen, trat zwei Schritte zurück, ſah ihm in's Auge

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und ſagte, die Hand gegen ihn ausgeſtreckt, ſehr ent: ſchloſſen, doch leiſe:

„Sie dürfen nicht von hier n Otto, denn . (ihre Stimme bebte und ihre Hand zitterte, aber das Auge ſchlug ſie nicht nieder) „denn ... wir lieben uns.“ Und es flog ein Lächeln über ihr Antlitz, das ſie himmliſch ſchön machte.

Otto ſtieß ein leiſes heftiges Ah! aus und ſank überwältigt zu ihren Füßen nieder.

„O,“ rief er mit jener gepreßten Stimme, die ebenſoviel von unterdrückter Klage wie von unterdrück— tem Jauchzen hat „o ſage mir, daß Du mich liebſt, damit ich mein Glück faſſe und daran glaube. Siehſt Du, Ilda, davon kann man ſterben.“

„Nicht ſterben,“ rief ſie, „leben und immer le— ben, lange Ewigkeiten durch die Liebe leben! und vor Allem: keine Trennung.“

Er ſprang auf, faßte ihre beiden Hände in ſeiner Rechten, drückte ſie mit dem linken Arm feſt an ſein Herz, und ſagte: „Doch!“

„Wenn ich aber nicht will“ ſagte Ilda ſorglos.

Er umfaßte mit beiden Händen leicht ihren Kopf und rief: „O dieſer Kopf könnte mich wahnſin— nig machen.“

„Sie find es, wenn Sie noch jetzt von Trens nung reden.“

„Ich rede nichts, denke nichts, will 1 15 als

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hören, daß Du mich liebſt. Sage mir das! dann iſt mir, als hätte ich auf die höchſte Zinne des Lebens mein Panier gepflanzt.“

„Ich kann es wol ſagen, hör' zu aber ſieh mich an.“ Er ſah ſie an doch Ilda fand keine Worte. Sie ſank an ſein Herz. O, ſie war glück— lich! Es war ein Moment, aber ein Moment ganz reinen, ſeligen Glücks! Vorher und nachher ein Leben voll Schmerz und Entbehrung! Auf dem Tod— bette gedachte Ilda dieſes Moments und er war vielleicht die einzige Erinnerung, die ſie mit in die Ewigkeit hinübernahm.

„O mein Engel, ſo laß mich von Dir ſcheiden“ bat Otto.

„Aber Du biſt ein Thor! Liebende ſcheiden nicht

. oder, Herr des Himmels! nein, Otto, das iſt un: möglich Du biſt nicht verheirathet?“ Er ſchüt— telte traurig lächelnd den Kopf.

„Oder verlobt?“ Er verneinte abermals ſchweigend.

„Nun dann biſt Du gewiß ein großer Thor!“ ſagte ſie, wieder mit jenem zauberhaften Lächeln. Er hielt ſie feſt, ganz feſt in feinen: Armen. Ihr Kopf ruhte auf ſeiner Bruſt. Sie ſagte:

„Dein Herz iſt meiner Meinung: es will zu mir, ich fühl' es.“

„Ilda,“ fragte er plötzlich, willſt Du mein Weib ſein?“

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„Wenn Du es wünſcheſt“ erwiderte ſie langſam.

Er ſah auf ſie nieder, und eine leichte Ba be: deckte ihre Wangen.

„Weshalb ſiehſt Du plötzlich ſo bleich aus, Ilda?“

„Vor Schreck, glaub' ich“ entgegnete ſie un— befangen.

„Ah, Du erſchrickſt vor dem bloßen Gedanken! Dann kannſt Du es ja nicht ſein.“

„Ich will es verſuchen.“

„Verſuchen? und wenn der Verſuch mißlingt? und wenn Du unglücklich Dich fühlteſt vor meinen Augen? ...“

„Ich will nicht unglücklich werden!“ rief ſie leb— haft und trat zurück „es iſt entſetzlich, unglücklich zu ſein!“

„Und glaubſt Du nicht an Dein Glück in einer Verbindung mit mir?“

„Die Ehe iſt nun einmal deſenchantirt für mich! der Gedanke an die Vergangenheit wird immer wie eine geſpenſtiſche Hand über die Gegenwart ſtreifen und mir mit jenen Schreckniſſen drohen.“

„Du liebſt mich nicht, Ilda.“

„Kann ich mehr thun als es verſuchen wollen?“

„Nein, armer Engel, Du kannſt nicht mehr thun, aber ich darf es nicht auf den Verſuch ankommen laſſen.“

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„Deſto beſſer!“ ſagte ſie ruhig. Nach einer Pauſe fragte er:

„Ilda, willſt Du meine Geliebte ſein?“

„Wenn Du es wünſcheſt.“

„Aber,“ rief er ungeduldig, „wünſcheſt Du denn nichts?“

„Nichts als Dich zu lieben und bei Dir zu ſein.“ N

„Und wenn das unmöglich if? unmöglich ... auf jede Weiſe?“

Sie hob mit einer ſtolzen Bewegung den Kopf und ſprach zwiſchen Scherz und Ernſt: „Ich liebte ei— nen Mann und befahl ihm unglücklich zu ſein: er ge— horchte. Ich liebe einen Mann und befehle ihm glück— lich zu ſein: er wird gehorchen. Der, den ich liebe, widerſteht mir nicht.“

„Welche kühne Zuverſicht!“ ſagte Otto überraſcht.

„Ja,“ ſagte ſie, „der, dem man einen goldenen Kelch reicht mit perlendem, funkelndem Purpurwein gefüllt, und nichts von ihm begehrt, weder Dank noch Lohn, nichts, als ihn zu nehmen der nimmt ihn; aber mein Herz iſt der goldene Kelch. Uebrigens bin ich freilich nur die arme Ilda“ ſetzte ſie demüthig hinzu „ohne Jugend, ohne Schönheit, und zu kei— nen Anſprüchen berechtigt, das weiß ich ſehr wol.“

„O nur nicht lügen!“ rief er ſie parodirend, mit jener Heiterkeit, die das Bewußtſein des Glücks ſogar in ſehr ernſten Momenten giebt.

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„Wir wollen gehen,“ ſagte ſie ihr Shawl zuſam— menziehend, „es wird Nacht und kalt.“

„Einen Augenblick noch, Ilda! o nur einen ein— zigen kleinen Augenblick! er kommt nicht wieder, nie, Ilda! weißt Du, daß das ee nie! eine gräßliche Bedeutung hat?“

„Wol weiß ich's! aber es paßt niche auf uns! Wir haben eine andere Deviſe, die heißt: immer und weil wir ſie haben, ſo wollen wir jetzt gehen.“

„Nicht gehen!“ rief Otto „ſondern bleiben, hier, auf dieſer Stelle! ſieh mich an, Ilda! o wenn Du gehſt ſehe ich Dich ja nie wieder.“

„So wollen wir bleiben, ſeltſamer Menſch“ ſprach ſie ſanft.

Er legte den Arm um ihre Schulter und ſeine brennende Wange auf ihr lockiges Haupt. So ſtan— den ſie ſchweigend, unbeweglich, in und an einander ruhend. Endlich fragte Otto:

„Iſt Dir nicht zu kalt, Ilda?“

„Nein, Herz!“ Er küßte leiſe ihre Locken und Stirn, und rief erſchrocken:

„Aber Dein Haar iſt feucht und Deine Stirn kühl wie Marmor.“

„Es thut nichts Du wollteſt ja bleiben.“

„Du biſt ein Engel, und ich ich werde Dich tödten! ſag' mir Ilda, wirſt Du mir vergeben, wenn ich Dich tödte?“

„O Alles, Alles, Herz!“ ſagte ſie ſanft und trau—

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rig und ſah ihn mit unfäglicher Liebe an; aber warum fragſt Du ſo ſeltſam?“

„Komm jetzt,“ entgegnete Otto gewaltſam ſich faſſend „es wird Nacht, das könnte Dir ſchaden.“

Sie ſtiegen vom Thurm herab. Unten rief er mit einem Ton als ob ſein Herz bräche: „Nun wird es wirklich Nacht!“ Dann gab er ihr den Arm, be— hielt ihre Hand in der ſeinen, drückte ſie zuweilen an Mund und Herz, und führte ſie nach dem Schloß zurück. Sie wechſelten kein Wort. Wenn man ſich verſteht ſind Worte eben ſo überflüſſig, als plump. Dann ging Otto durch den Park in die Stadt zu— rück; Ilda in ihr Zimmer. Sie ließ ſich im Salon entſchuldigen.

Werffen dachte, daß dieſer Zeitpunkt ihm günſtig ſein könne. Wer durfte ihn hindern auch nach Ita— lien zu reiſen? dieſe Ergebenheit mußte Ilda freuen. Die Anerbietung des Barons hatte ſie ſo gerührt! Selbſt die unabhängigſten Frauen fühlen bisweilen das Beduürfniß, die Wohlthat des männlichen Schutzes. Er traf in der Stille ſeine Vorkehrungen.

Der Schlaf mag wol ſelten ein leichteres, ſeli— geres Herz in ſein Reich entführt haben, als Ildas in dieſer Nacht. Und golden wie ihr Schlummer war auch ihr Erwachen. Aber es bedeutet Regen, wenn die Frühſtunden des Tages von ſtrahlendem Mor— genlicht erhellt find! Sie war kaum angekleidet, als

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ſie einen Brief erhielt, auf dem ſie mit Ueberraſchung Ottos Hand erkannte. Sie las:

„Lebe wol, Engel! hab' ich Dir nicht geſagt, „daß ich Dich tödten würde? ich halte Wort, Ilda „— aber Du haſt mir Alles, Alles vergeben. Wir „werden uns nie wiederſehen. Ich bin nicht wahn— „ſinnig, ich habe Alles wohl bedacht, geprüft, er— „wogen, die ganze lange Nacht hindurch. Was „geſtern Abend eigentlich ſchon unwiderruflich vor „meiner Seele ſtand, das ſpreche ich Dir jetzt deut— „lich aus: wir ſehen uns nie wieder. Ich will Dir „Alles aus einanderſetzen, damit Du nicht fürchten „mögeſt, daß ich dennoch wahnſinnig geworden. „Meine Frau kannſt Du nicht werden, ſelbſt wenn „Du wollteſt. Du biſt an Beſchränkung keiner „Art gewöhnt, biſt frei, reich, gebietend, kurz, das „Alles, was ich Deiner Exiſtenz nicht ſchaffen kann, „und was Du mir opfern müßteſt. Du biſt ganz „unbekannt mit einer Lage, die Dir durch Stand, „Verhältniſſe und Erziehung fremd bleiben mußte, „und in die Du Dich nie finden würdeſt, nie! „trotz Deiner Liebe für mich, trotz Deines guten „Willens. Das bürgerliche Leben iſt wie ein Hüh— „nerhof, geſchäftig, emſig, thätig! armer, weißer „Schwan, Du biſt an die kühle, friſche Einſamkeit „auf Deinem blauen See gewöhnt, wo Du in träu— „meriſcher Ruhe von den Wellen Dich ſchaukeln „läßt. Und ich ſollte Dich einfangen? nimmermehr!

„ich will lieber Schmerzen über Dich bringen, als „Unglück, und Unglück für Dich iſt: in eine Dei— „nem Weſen widerſtrebende Richtung gerathen. So „ſprachſt Du einſt.“

„Du könnteſt mir angehören eben ſo feſt, „eben ſo tief, eben ſo heilig, und nicht mein Weib „ſein! das weiß ich; aber ich will es nicht. Weil „Du ein weißer Schwan biſt, ſo ſoll kein fremder, „unreiner Hauch über Dein lichtes Gefieder ſtreifen. „Daß es meinetwegen geſchähe, würde mein Leben „vergiften. Vergieb mir, ich kann nicht anders! „— Ich kann auch nicht von der Liebe erzählen, „die ich für Dich im Buſen trage. Mir iſt als „wäre dieſe Liebe Eins mit meinem Herzen, als „müſſe es ſtilleſtehn ohne ſie. Schweigend habe „ich Dich geliebt und ſchweigend werde ich ER „lieben.“

„Die Stunden des geſtrigen Abends werden wie „eine unvergängliche Aurora an meinem Horizont „ſtehen. Du biſt die Sonne, die ſie dahin gezau— „bert hat. Ich mögte den Staub unter Deinen „Füßen küſſen, daß Du mich liebſt, ſo liebſt „feſt, demüthig, opferfreudig, nichts verlangend. Die „großen, heißen Herzen lieben ſo. Aber ich bin „Deiner Liebe werth, und darum, Engel, ſehe ich „Dich nie wieder, obgleich ich aus der Ferne „immer Dich im Auge behalten werde.“

„Eines halte feſt, Ilda: es iſt unmöglich, daß

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„zwei Menfchen wie wir umſonſt ſich könnten be „gegnet ſein. Der Keim iſt geſtreut, die Blüthe „muß ſich entfalten. Wo? in der Ewigkeit ge— „wiß. Darum laß mir den Troſt, die Hoffnung, „daß ſich an dieſer Zuverſicht Dein ſchönes Weſen „emporranken werde. Nimm aus meiner Seele „den Dorn, daß ich Deine helle Bahn verfinſtert „habe. Laß keinen Haß zwiſchen uns ſein, noch „Unmuth, Groll oder Bitterkeit. Nur Liebe, meine „Ilda. Deine Liebe wird, wie ein Segen des Him— „mels, für's ganze Leben ſich auf mein Haupt nie— „derlaſſen, und meine Liebe jeden Deiner Schritte „ſegnend geleiten. Und nun fahre wol, mein „Engel.“

Ein konvulſiviſches Lächeln glitt über Ildas Lip— pen, krampfhaftes Zittern durch ihre Glieder; dann blieb fie unbeweglich.

Einige Stunden mogten vergangen ſein, und der alte Baron trat bei ihr ein, um zu fragen, ob über: morgen der Reiſetag ſei. Er prallte entſetzt zurück vor ihrer geiſterhaften Bläſſe, ihren entſtellten Zügen. Er wollte Hülfe rufen. Sie legte den Finger auf die Lippen. Er nahm ihre Hand, ſie war eiskalt. Er ſchrie:

„Um Gottes Willen, ſterben Sie nicht!“

Ilda lachte kurz und hell auf; dann ſagte ſie mit heiſerer Stimme:

„Behüte der Himmel, ich ſterbe nicht! mein Herz

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iſt nur geſtorben, und das thut weh, weh! oh!...“

Sie legte einen Finger auf's Herz. Der Brief fiel zu Boden. Der Baron raffte ihn auf:

„Was iſt das für ein Unglücksbrief? darf ich leſen?“

„Warum nicht.“

Er las, faltete ihn zuſammen, legte ihn vorſichtig in ein Portefeuille auf dem Schreibtiſch, drückte dann heftig Ildas Hand und ſagte:

„Er iſt ein edler Menſch.“

„Kann ſein!“ entgegnete ſie mit eiſiger Bitter— keit „allein er hat einen fürchterlichen Fehler, der ſeinen ganzen Edelmuth zu Schanden macht: er kann kein Opfer annehmen, und wer keins annimmt, iſt un— fähig eins zu bringen.“

„O Gräfin, er opfert ſein Herz für das, was er als Ihr Glück erkennt.“

„Mein Glück?“ rief ſie heftig, „guter Baron! nur keinen Spott. Wer von meinem Glück ſpricht, macht ſich luſtig über mich.“

Der Baron ſetzte ſich betrübt, ſchweigſam, aufs Sopha; er wollte ſie jetzt nicht verlaſſen. Sie ſchien ihn gar nicht mehr zu bemerken, ſtand auf und ging im Zimmer hin und her, den Kopf mit beiden Hän— den haltend, raſchen unſichern Schrittes, leiſe weinend oder ſingend, es war nicht genau zu unterſcheiden. Plötzlich blieb ſie ſtehen:

„Aber

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„Aber hat mir dieſer Menſch nicht eine uner— hörte Schmach angethan?“ fragte ſie den Baron; „hätten Sie je gedacht, daß man zu mir ſagen könne: ich will dich nicht! zu mir! Ich habe doch ſchon viel gedacht, doch das niemals! zu mir!“ Sie richtete ſich hoch und ſtolz auf, ihr Auge flammte vor Zorn. Der Baron glaubte ſie auf ir— gend einen beſtimmten Weg hinleiten zu können, und ſagte: |

„Recht fo! nehmen Sie Ihre Kraft zufammen, und verachten Sie den augenblicklichen Schmerz.“

„Den augenblicklichen Schmerz? ja, wenn er au— genblicklich wäre! aber kann ich's je verſchmerzen, daß ich dieſen Menſchen verloren habe? Sehen Sie, Ba— ron, wenn ich mich gedemüthigt fühlte oder gekränkt, ſo würde ich mich in den Stolz hüllen wie in ein Panzerhemd, das man auf der Bruſt trägt. Aber, bin ich von Eiſen und nicht in den Staub zu beugen oder bin ich von Staub und fliege ſo hoch empor, daß keine Kränkung mich erreicht gewiß iſt's, daß ich mich gar nicht gedemüthigt fühle.“

„Weil Sie auch gar keine Urſach dazu haben.“

„O, Urſach genug! warum weiſt er mein Herz in demſelben Augenblick zurück, wo ich es vor ihm enthülle? Nein, das iffs! enthüllt war es ihm längſt, er iſt ſo klug und kennt ſeine Menſchen! aber, wo ich es vor ihm niederlege?“

„Weil ihm erſt da die Unmöglichkeit klar worden iſt.“

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„Sagen Sie nicht: Unmöglichkeit! Wenn ſeine Liebe ſo ſtark geweſen wäre, wie ſeine Seele, ſo gab es keine Unmöglichkeit. Ach, bei mir hat die Liebe die Seele abſorbirt, bei ihm umgekehrt. Das iſt der einzige Unterſchied zwiſchen uns.“

Auf einmal ſchwieg ſie, horchte, wechſelte die Farbe ſie hörte einen raſchen Männerſchritt und Albrechts Stimme, der fröhlich jemand begrüßte.

„O mein Gott, was iſt das?“ fragte ſie ängſtlich.

Der Baron ging zur Thür, öffnete vorſichtig Polydor ſtürzte zu Ildas Füßen, und wie Bruder und Schweſter hielten ſie ſich umfaßt, und Beide weinten, als ob ſie ihre Seelen in den Thränen ausgießen wollten; Beide weinten zum erſtenmal nach einem ver— nichtenden Schmerz.

„Gott iſt gnädig,“ ſagte der Baron und ging zu Otto. Der ſaß unthätig, den Kopf in die aufge— ſtützte Hand gelegt, auf dem Sopha. Die durchwachte Nacht, Anſtrengung, Kampf und Schmerz, hatten ſeine Züge ſchärfer, ſeine Farbe bleicher noch gemacht. Er ſah körperlich erſchöpft aus; allein auf den fati— guirten Zügen lag eine noch ernſtere Entſchloſſenheit, als gewöhnlich. Eintretend ſagte der Baron:

„Ich komme fo eben von ...“

„Barmherzigkeit!“ rief Otto, wie durch eine Fe— der vom Sopha aufgeſchnellt, und ſeine Hand ſo feſt auf des Barons Mund legend, daß der verdrießlich zurücktrat; „ich ſehe an Ihrer Miene, welchen Na—

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men Sie nennen wollten und daß Sie Alles wiſſen. Aber aus Barmherzigkeit, ſchweigen Sie, denn Vor— wurf, Billigung Alles würde mir weh thun.“

„Meiner Meinung nach haben Sie Recht gethan.“

„Bleibt es bei der Abreiſe?“ fragte Otto, ſeine frühere Stellung nehmend.

„Ich denke, ja. Und eben iſt Polydor überra— ſchend gekommen.“

„Das iſt gut.“

„Als er kam, weinte ſie. Bis dahin aber keine Thräne! fie ſah aus wie eine Niobide.“

Otto drückte heftig ſein Geſicht in die Polſter des Sophas, und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

„Nicht einmal von ihr ſprechen ſoll ich?“ fragte der Baron.

„Mit wem Sie wollen! nur nicht mit mir ... nicht jetzt.“

„Die Menſchen ſind ſo verſchieden! den einen verletzt, was den andern erquickt. Dieſer findet Troſt, wo jener Bitterkeit. Ich meine es gut mit Ihnen, lieber Otto.“

„Das weiß ich“ erwiderte er gleichgültig.

„Und wenn Sie vielleicht Nachrichten haben wol— len wenden Sie Sich nur immer an mich; ich bleibe in ihrer Nähe ...“

„Nichts will ich“ ſagte Otto dumpf we— der jetzt, noch einſt. Die Nektarſchaale habe ich zu—

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rückweiſen müſſen; ein Tropfen daraus würde meinen Durſt immer von neuem aufreizen. Mein Herz muß ſchlafen lernen, immer und ewig ſchlafen, und das Ge— wirr des Lebens iſt ein guter Opiat, den man zur Betäubung nehmen muß; denn wenn es je erwachte ich würde umkehren und eine Luſt darin finden, zu ihren Füßen nicht zu leben, ſondern zu ſterben.“ Er fuhr mit der Hand über die Stirn um die Gedan— ken zurückzudrängen.

Der Baron ſagte ängſtlich: „Mein lieber Otto, Sie ſind fürchterlich erſchüttert und im Innerſten auf— geregt was werden Sie beginnen, wenn wir ab— gereiſt ſind?“

„Arbeiten.“

„O Gott ja, arbeiten das iſt ſehr gut, aber... etwas ſteril.“

„O,“ rief Otto ungeduldig, todt arbeiten, todt lieben, todt leben, todt ſchießen das kommt ja Al— les auf Eins heraus!“

Der Baron dachte: Solche heftige Menſchen müſſen auf ihre eigne Weiſe mit ſich ſelbſt fertig wer— den. Laut ſagte er Ottos Hand herzlich ſchüttelnd: „Morgen nehme ich erſt Abſchied von Ihnen.“

Ilda vergaß ihre Schmerzen, ſo lange Polydor von ſeiner Leidenſchaft für Regine erzählte, und von dem ſeltſamen Ende, das dieſe Leidenſchaft genommen. „Denn ſie iſt vorbei und todt,“ ſagte Polydor; „das letzte Wort dieſer fürchterlichen Frau war ein Dolch—

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ſtich, der mich von Wahnſinn befreite. Ich fand meine Kraft wieder in der tödtlichen Kränkung. Das hab' ich nicht verdient.“

„Ihr Gefühl hat es nicht verdient,“ antwortete Ilda, „aber vielleicht Ihr Betragen. Denn da Sie Selbſt von Ihrem Wahnſinn reden, ſo iſt es natür— lich, daß ſich Regine entſetzt hat.“

„O, was konnte ſie fürchten?“ rief Polydor ſchmerzlich; „fürchtete ſie ihre Füße von meinen Thrä— nen benetzt zu fühlen? fürchtete ſie in meinen Augen unausſprechliche Dankbarkeit zu leſen? fürchtete ſie den Anblick eines glücklichen Menſchen, glücklich durch ſie, wie er einſt durch ſie elend war? O, ein We— ſen, das ſich davor fürchtet, ſollte nur nicht Geſtalt und Namen eines Weibes haben, und Sie ſollten ſie nicht vertheidigen.“

„Ich vertheidige nie eine kokette Frau, am we— nigſten, wenn ſie Ihnen weh gethan. Ich wünſchte nur, daß Sie ohne Haß an ſie denken mögten, denn Haß erzeugt Bitterkeit, und unſere Schmerzen ſollen die Seele läutern, aber nicht vergiften.“

„O Madonna,“ rief Polydor mit tiefer, freudiger Zuverſicht nun bin ich geborgen! nun ruhe ich wie— der unter den Falten Deines Schleiers, und Jammer und Klage weichen vor Deinem Lächeln.“

„Nicht ſo, Polydor, ſprechen Sie nicht ſo zu mir!“ rief Ilda, und zwei große Thränen fielen wie ſchwere Perlen von den langen Wimpern „es klingt wie

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Hohn! ach, ich habe von mir ſelbſt das Weh nicht fern halten können! was kann ich, in jeder Em— pfindung mein Lebenlang verletzt oder zurückgeſtoßen, noch für Andere ſein?“

„Gnadenreiche“ ſagte Polydor wehmüthig „der Spruch, der geſchrieben ſteht, lautet: und es wird ein Schwert durch Deine Seele gehen! Die Glorreiche unter den Weibern war auch die Schmer— zenreiche, aber dennoch liegt eine halbe Welt zu ihren Füßen voll Anbetung, Vertrauen und Liebe.“

„O nur keine Liebe mehr!“ rief Ilda mit hei— ßem Schmerz und verhüllte ihr Angeſicht.

Zehntes Kapitel.

Drei Tage waren vergangen, ohne daß Polydor bei Gräfin Regine erſchien. Das fiel ihr auf. Sie war daran gewöhnt ihn täglich zu ſehen, und ſie em— pfand eine unbeſchreibliche Leere. Ich bin zu hart gegen ihn geweſen dachte ſie das hat ihn ge— kränkt, drum zieht er ſich ſtolz zurück. Er hat Recht! ich muß den erſten Schritt zur Verſöhnung thun.

Sie ſuchte das eleganteſte, parfümirteſte, mit Gold

und Vignette verzierte Papier, und ſchrieb nichts als:

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„Die Zeit wird mir lang ohne Sie. Wenn auch „Ihnen ſo beſuchen Sie mich heute Mittag. „Regine.“ 5

Am Morgen des vierten Tages ſchickte ſie dies

lakoniſche Billet zu Polydor, und harrte in ſchweben— der Ungeduld der Antwort. „Die Langſamkeit der Bedienten iſt wirklich zum Verzweifeln!“ rief ſie hun— dertmal, ohne zu bedenken, daß man Flügel haben müßte um vom hohen Markt nach der Roßau ſchnel— ler als in Dreiviertelſtunde hin und her zu gehen.

„Nun, Joſeph?“ fragte ſie erwartungsvoll den

endlich wiederkehrenden Bedienten.

„Herr Polydor ſagte, es wäre gut“ antwor—

tete Joſeph. „Es wäre gut?“ wiederholte ſie befremdet; „und wird er kommen?“

„Das hat er nicht geſagt, gräfliche Gnaden.“

Sie winkte dem Menſchen ſich zurückzuziehen, und dachte bei ſich: natürlich wird er kommen, alſo braucht er es nicht ausdrücklich zu ſagen. Es war erſt zehn Uhr, ſie konnte alſo bis zwölf leſen, malen, ſticken, ſchreiben; aber ſie that nichts, ſie dachte nur: wär' des doch erſt Mittag! ich langweile mich zu ſehr! Es ſchlug zwölf, uud nun ging ihre Langeweile in Ungeduld über, denn es verging eine Viertelſtunde nach der andern und Polydor kam nicht. Aber es kamen andere Beſuche, und ſie plauderte und ſcherzte ſehr liebenswürdig um ihre Zerſtreutheit zu verbergen.

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Um vier Uhr dachte fie: er iſt zu beſchäftigt geweſen und wird heute Abend kommen. Das beruhigte ſie etwas. Sie machte eine ſehr gewählte Toilette und fuhr zum Diner zu einer Couſine.

„Wenn Du nicht in die Oper gehſt, ſo könnten wir eine Spazierfahrt machen“ ſagte dieſe zu Regine.

„Nein, guter Engel,“ rief Regine lebhaft, „Be liſario iſt meine Lieblingsoper, die Brambilla ſingt und ſpielt hinreißend verzeih' mir, daß ich Deinen Vorſchlag nicht annehme.“

„Freilich wenn ich bedenke, daß die Italiener bald gehen, und daß der Prater uns bleibt, ſo hätte ich auch Luſt den Beliſario zu hören. Ich habe heute meine Loge weggegeben, allein Du nimmſt mich mit, nicht wahr, Liebe?“

„Meine Loge iſt Dir natürlich immer geöffnet; aber mitnehmen kann ich Dich nicht, denn ich muß erſt nach Hauſe fahren und einige Briefe ſchreiben, zu denen ich ſpäter keine Zeit finden mögte.“

„Was haſt Du denn heute noch vor, beſter Engel?“

„O nichts! ich meine nichts Beſtimmtes aber Du weißt das findet ſich gewöhnlich; wenn man drin— gend beſchäftigt iſt.“

„Alſo auf Wiederſehen in Deiner Loge.“

Dieſe Converſation hatten beide Damen nach dem Diner und Regine fuhr ſogleich fort.

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„Niemand hier geweſen?“ fragte ſie ihren Portier.

„Niemand, gräfliche Gnaden.“

Sie ging in ihr Zimmer und ließ Joſeph kom— men. „Gehen Sie um acht Uhr in meine Loge im Kärnthnerthor-Theater, und machen Sie der Fürſtin Gabriele mein Kompliment, ich hätte die Migräne, könnte nicht ausgehen und niemand ſehen.“

Ihre Vorkehrungen waren nun getroffen zu Po— lydors Empfang. Aber er kam nicht, und ihre Un— geduld ging in Angſt über. Er mußte krank ſein! Nach zehn Uhr Abends war alle Hoffnung ihn zu ſehen verſchwunden, und ſie überlegte, ob ſie nicht zu ihm ſchicken und ſich nach ſeinem Befinden erkundigen ſolle. Es würde ihn freuen, wenn er krank iſt aber er ſchläft vielleicht ſchon, und gewiß wenn der träge Joſeph hinauskommt. Morgen ganz früh lieber!

Am andern Morgen ſtand Regine zum erſten Mal in ihrem Leben und zum Entſetzen ihrer Kam— merfrauen um ſieben Uhr auf, und ſchrieb an Polydor:

„Ihr geſtriges Schweigen und Nichtkommen, läßt

„mich fürchten, daß Sie krank ſind. In dem Fall „bitte ich Sie herzlich, lieber Polydor, meinem Be— „dienten ausführlich zu ſagen „wie es Ihnen geht, „wenn Sie nicht ſchreiben können. Sind Sie „aber nicht krank, ſo bitte ich noch herzlicher, daß „Sie Alles bei Seite werfen und im Laufe dieſes „Morgens zu mir kommen mögen. Ich habe viel

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„Ihnen zu fagen und vor allen Dingen Sie „um Vergebung zu bitte.“

Nicht der träge Joſeph, ſondern ein anderer Be— dienter wurde mit dieſem Billet abgeſendet und die größte Eile ihm empfohlen. Doch auch dieſer kehrte erſt nach Dreiviertelſtunde zurück, und antwortete auf der Gräfin athemloſes: „Nun?“

„Herr Polydor ſagte es wäre ganz gut.“

„Und iſt er nicht krank?“

„Ich glaube nicht, gräfliche Gnaden, er ſchaute recht munter aus.“

„Und was that er, als Sie ihm das Billet brachten?“

„Er trank Chocolade, gräfliche Gnaden.“

„O Gott nein! als er es nahm!“

„Er las es, legte es auf einen Arbeitstiſch und fagte: es iſt ganz gut.“

Regine ſtarrte den Bedienten an, ſank auf eine Ottomane und rief: „Unmöglich!“

„Was befehlen gräfliche Gnaden?“ fragte der Menſch verlegen.

„Nichts! gehen Sie.“ Sie begriff Polydor nicht. Er war ganz wol, ſah munter aus, frühſtückte

aber darum muß er ja heute kommen! ſchloß ſie

den Gang ihrer Ideen.

Um zehn Uhr ließ ihre Schneiderin ſich melden; ſie brachte neue Muſter zu Sommerkleidern. Es war höchſt unwahrſcheinlich, daß Polydor ſo früh kommen

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würde, allein Regine hatte keine Zeit für die Schnei— derin. „Ich habe zu thun,“ ſagte ſie verdrießlich zu ihrer Kammerfrau, „ſtören Sie mich nicht mit Ihren einfältigen Fragen.“ i

Was ſie zu thun hatte, war: im Fenſter zu ſte— hen und alle Leute ins Auge zu faſſen, die über den hohen Markt gingen um Polydors Ankunft zu erſpä— hen, damit ſie nicht durch ihn überraſcht würde. Sie verfiel dabei in eine nervöſe Aufregung, die ſie zwang das Fenſter zu verlaſſen und unruhig auf und ab zu gehen.

Als die Beſuchſtunde gekommen und Polydor noch immer nicht erſchienen war, befahl ſie ihre Thür für jedermann, außer für ihn zu ſchließen. Eine Stunde ſpäter dachte ſie: O hätte ich doch die Beſuche ange— nommen, ſie würden mich zerſtreut haben. Sie widerrief den Befehl. Zufällig aber kam niemand mehr; und auch Polydor nicht Das Fieber der Angſt packte ſie; ihre Wangen brannten, ihre Lippen waren trocken, die Adern ſchlugen wie Hammer an Hals und Stirn. Sie befahl anzuſpannen und nach ſeinem Ate— lier zu fahren. Die Pferde flogen, aber nicht raſch genug für ihre flammende Ungeduld. Endlich hielt ſie vor ſeiner Thür und ſchickte den Bedienten hinein. Nach zwei Minuten kam er wieder: das Atelier war verſchloſſen, ſein Zimmer auch, und niemand im Hauſe wußte, wohin er gegangen.

„Zu mir!“ rief Regine ganz laut, und ſetzte

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hinzu: „nach Haufe mein’ ich, ſchnell!“ Und mit derſelben Rapidität ging es heim. Sie fragte nicht den Portier, nicht die Bedienten im Vorzimmer; er mußte ja da ſein, er war ja nicht zu Hauſe! Athem— los fand fie endlich mitten in ihrem Zimmer und ſah ſich um Polydor war nicht da. Ein dumpfer Schrei drängte ſich aus ihrer Bruſt.

Die Kammerfrau, die nach einiger Zeit erſchien um nach Toilettenbefehlen zu fragen, fand Regine auf der Ottomane, zitternd, glühend, und ſagte:

„Gräfliche Gnaden ſind krank, das 1 vom frühen Aufſtehen.“

„Ja, ich bin krank, ich will zu Bett gehen.“ Sie ließ ſich halb entkleiden; dann fiel ihr ein, daß es eine große Zögerung verurſachen würde, wenn Po— lydor käme und ſie ſich wieder ankleiden müßte; alſo ſagte ſie: „Ich will nicht zu Bett gehen, ſondern mich auf die Chaiſe longue legen. Geben Sie mir nur den Peignoir mit hellrothem Tafft gefüttert und gehen Sie.“ Die Kammerfrau gehorchte, und Regine warf ſich in dumpfer Betäubung auf die Polſter.

Als man ihr meldete, daß ihr Diner bereit ſei, rief ſie: „Iſt es ſchon ſo ſpät? Ich will nicht eſſen, bin krank!“ Und Stunde auf Stunde ver— ging, langſam, bleiern, ſchleppend. Die Sonne ſank, die Dämmerung kam, dann die Nacht.

„Ich muß ihn ſehen!“ rief ſie, ſprang auf, ſchellte, und ſagte zur Kammerfrau: „Mich erſtickt die Zim—

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merluft, ich will fahren nach dem Lichtenſteinſchen Palais, und ein wenig im Garten dort ganz einſam ſpazieren gehen.“ Das Mädchen ging den Wagen zu beſtellen, und bald rollte Regine, zum höchſten Er— ſtaunen ihrer Leute, nach dem Lichtenſteinſchen Palais. Aber der Weg dahin führte an Polydors Wohnung vorbei. Sie ſah hin; alle Fenſter verſchloſſen und dunkel. Sollte ſie halten, fragen laſſen? ſie ſchämte fih vor ihren Leuten.

Am Gitter des Gartens, der das Palais umgiebt, ſtieg ſie aus und ging zehn Minuten darin umher, theils weil ſie es geſagt hatte, theils um zu überlegen, ob es nicht möglich ſei von hier unbemerkt nach Po— lydors Wohnung zu ſchlüpfen. Ermattet ſagte ſie endlich: „Nein, heute noch nicht!“ Sie hatte alſo unwillkürlich ihre Hoffnungsloſigkeit ſich eingeſtanden. Beim Heimkehren bemerkte ſie mit Grauen Polydors dunkle Fenſter. „Wenn er fort wäre“ dachte ſie. Ihre Zunge klebte am Gaumen, ihr Herz ſtand ſtill. „Unmöglich kann er fort ſein! weshalb ſollte er auch! was iſt denn ein Wort ein einziges, kleines, arm— ſeliges Wort? O warum habe ich nicht das ausge— ſprochen, um das er ſo flehend, fo rührend, fo ver— zweiflungsvoll bat! aber ich liebte ihn ja nicht da— mals nicht! o ich Unglückſelige!“

Kaum angelangt, ſetzte ſie ſich an den Schreib— tiſch und warf mit unſicherer, fliegender Hand dieſe Zeilen auf's Papier:

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„Wenn ein Funke von Barmherzigkeit in Ihrer „Bruſt lebt, Polydor, ſo vergeben Sie mir und „bringen Sie Selbſt mir Ihre Vergebung. Es „iſt möglich o nein! es iſt ganz gewiß, daß „ich ſehr gegen Sie gefehlt habe, weit mehr, als „durch das eine, letzte, unglückliche Wort; aber dieſe „zwei Tage haben mich zur Genüge beſtraft. Laſ— „ſen Sie Sich verſöhnen, Polydor, ſeien Sie nicht „grauſam, das ſteht dem ſtarken Mann ſo ſchlecht. „Die Frauen ſind es, weil ſie ſchwach ſind, ſich bis— „weilen nicht zu helfen wiſſen o Vergebung! „Vergebung Ihrer Regine.

Sie ſchellte ihrem Kammerdiener und ſagte:

„Damian, dies Billet iſt von der höchſten Wich— tigkeit, darum müſſen Sie es beſorgen. Bringen Sie es morgen früh nach ſeiner Adreſſe, aber ſo früh, Da— mian, daß ich beim Aufſtehen, um neun nicht doch, um acht Uhr, Antwort habe, eine ſchriftliche Antwort! ſagen Sie dem Herrn, Sie hätten den ausdrück— lichen Befehl ohne ſchriftliche Antwort nicht zurückzu— kommen. Wollen Sie das pünktlich ausrichten?“

„Zu Befehl, gräfliche Gnaden!“ ſagte Damian, verſteinert über Reginens Thränen, die in Strömen aus ihren Augen floſſen.

Am nächſten Morgen um ſieben Uhr klopfte Da- mian an Polydors Thür, und als er öffnete, übergab er ihm das Billet.

„Es iſt gut,“ ſagte Polydor.

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„Ich bitte unterthänig um Verzeihung aber ich habe den Befehl eine ſchriftliche Antwort zurück— zubringen.“

„Ganz recht! warten Sie einen Augenblick im Vorzimmer;“ und bald brachte Polydor einen ver— ſiegelten Brief, den Damian vergnügt in Empfang nahm denn die Gräfin würde arg geſchmält haben, käme er mit leerer Hand.

Nach einer qualvollen, halb durchwachten, halb in Fieber verträumten Nacht war Regine endlich einge— ſchlafen, als die Sonne hoch am Himmel ſtand. Da ſie aber ſtreng befohlen hatte, man ſolle ſie wecken, ſobald Damian mit einem Brief komme, ſo hatte ſie kaum eine halbe Stunde geruht, als eine Kammer: frau leiſe den Brief auf ihre Decke legte. Mit einer wahnſinnigen Freude rief ſie:

„Vorhänge auf!“ und zerriß den Umſchlag. Ihre drei Billets an Polydor fielen heraus, die beiden erſten erbrochen, das letzte unerbrochen; außerdem keine Zeile. „Es iſt vorbei!“ ächzte ſie und kalter Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Dann zerriß ſie maſchinen— mäßig die Billets in tauſend winzige Stückchen und ſtreute ſie auf den Teppich. Dann ſagte ſie: „Vor— hänge zu!“ und vergrub ſich in ihre Decken um nur nichts nichts von der Welt zu hören und zn ſehen.

Regungslos blieb ſie den ganzen Tag im Bett. Sie nicht, ſie trank nicht, ſie bewegte ſich nicht. Ihre Augen waren geſchloſſen. Aber ſie ſchlief nicht.

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Der Gedanke Polydor wiederzuſehen hielt ihre ganze Seele wie auf der Folter wach. Sie mußte zu ihm! Daß ihre Leute es bemerken, und wenn ſie es be— merkten, daß die Welt es erfahren würde war ihr ganz gleichgültig. Sie mußte Polydor ſprechen, da— mit er ſeine Verachtung von ihr nehme. Ungeleſen ihren Brief zurückzuſenden! das brach ihren Stolz. Aber wodurch bin ich denn plötzlich ſo elend geworden? fragte ſie ſich ſelbſt; bin ich nicht die ſchöne, herr— liche, angebetete Regine? beugen nicht Alle das Knie vor mir? werd' ich nicht gefeiert wo ich erſcheine, weil ich tadellos bin an Leib und Seele? und dieſer Menſch, der von dem Blick meiner Augen lebte, mein Sclav war, mein Geſchöpf macht mich elend, weil er es wagt mich zu verachten! Aber das ſoll anders werden! er ſoll mich lieben o lieben, wie ich ihn liebe!“ Es war neun Uhr Abends als Regine aufſtand, ein ſchwarzes Kleid ſich geben ließ und einen ſchlichten Strohhut mit grünem Schleier, und dann befahl, daß der Kutſcher ſie wieder nach dem Lichtenſteinſchen Pa— lais fahre. An Polydors Wohnung vorüber rollend, bemerkte ſie mit frohem Herzklopfen Licht in ſeinem Zimmer; ſo war er denn Gottlob zu Hauſe! Wie— der ſtieg ſie am Garten aus und ging umher. Ihre Leute genirten ſie fürchterlich, beſonders der Bediente, der wie eine Schildwach beim Gitter auf und ab ging. Da fiel ihr ein, daß ſie den ganzen Tag keinen Biſſen gegeſſen! ſie rief ihn, und befahl ihm aus irgend ei— nem

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nem Baäͤckerladen ihr ein Brödchen zu bringen. Er ging. Der Kutſcher ſaß halb eingeſchlafen auf dem Bock fie nahm den Moment wahr, und hufchte, als ob ſie Flügel an den Sohlen gehabt, leiſe und geſchwind über die Straße nach Polydors Wohnung Unruh, Angſt, Spannung raubten ihr faſt die Beſin— nung. Als ſie die Thür des Ateliers öffnen wollte, war ſie verſchloſſen. Sie hörte aber in Polydors Zim— mer reden. O Gott, er war alſo nicht allein! Sie ließ den Schleier fallen und klopfte an die zweite Thür, doch ſo leiſe, daß es niemand hören konnte. Da ging die Thür auf, und ein Frauenzimmer trat heraus. Regine fragte faſt unhörbar nach Polydor. Die Frau maß ſie von Kopf zu Fuß und ſagte: „Der Herr iſt heute Morgen um zehn Uhr abgereiſt; wir richten die Wohnung für anderweitige Vermiethung her.“

Ein Blick in das Zimmer überzeugte Regine von der Wahrheit der Ausſage; es herrſchte darin die ganze Unordnung, welche einer neuen Ordnung voranzugehen pflegt. Bunte Feuerfunken tanzten vor Reginens Au— gen, die Wände des Zimmers drehten ſich, ein Sau— ſen wie von heftigem Wind ſchwirrte um ihren Kopf; ſie lehnte ſich an die Mauer, denn ihre Kniee wank— ten; aber das Bewußtſein ihrer Lage ſchützte ſie vor einer Ohnmacht. Sie raffte ſich auf und entfloh pfeil— geſchwind. Die Frau ſah ihr nach, ſtemmte beide Arme bedächtig in die Seite und ſprach kopfſchüttelnd zu der, welche im Zimmer beſchäftigt war:

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„Ein heilloſes Volk, die Männer! Nannh, das ſag' ich Dir, wenn Du Dich je mit einem einläßt, der nicht ſagt: dann und dann iſt die Hochzeit, ſo —. Hier mag wieder mal ein Unglück auf Lebenszeit ge— ſchehen ſein, denn das Frauenzimmer ſah nicht aus, als ob ſie gewohnt ſei Nachts auf den Straßen herum zu laufen. Nanny, merk' Dir das: nur ein Ehemann taugt was; alle andern Männer taugen nichts für die Mädel.“

Nanny ſeufzte; ſie mogte es ſchon gemerkt haben.

Regine langte eine halbe Minute vor ihrem Be— dienten beim Gitter an. Er präſentirte ihr zwei kleine Brode, doch ſtatt ſie zu nehmen, löſte ſie die Hutbän— der, ſtammelte: „Luft!“ und ſank beſinnungslos vor dem Bedienten nieder. „Sackerment!“ fagte der, „ſie ſtirbt vor Hunger, denn fie hat heute und geſtern nichts gegeſſen.“ Er hob ſie in den Wagen, und im geſtreckten Trabe ging es fort.

Es war, als ob die innere Aufregung ihr nicht einmal die Ruhe der Ohnmacht verſtatte. Regine er— holte ſich im Wagen, vielleicht durch die Erſchütterung. „Fort! Wohin?“ das war der Gedanke, auf den ſie ihr ganzes geiſtiges Vermögen richtete, ſo wie ſie es in den letzten drei Tagen auf: „Ihn ſehen!“ ge— richtet hatte. Aber war er auch wirklich fort? konnte er nicht bloß die Wohnung gewechſelt haben? Wien iſt ſo groß! 8

Zu Hauſe angelangt mußte Damian ſogleich kom—

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men, um auf der Stelle ihre Befehle auszuführen. Er ſollte auf dem Paßbüreau, bei der Polizei, an allen Thoren, auf der Poſt, bei Polydors Hauswirthin, Nach— forſchungen machen, wo er geblieben ſei. Damian er— widerte, es ſei fruchtlos um dieſe Stunde, wo alle Büreaus und alle Häuſer geſchloſſen wären. „Es iſt zehn Uhr, gräfliche Gnaden,“ ſetzte er achſelzuckend hinzu.

„Alſo iſt er ſeit zwölf Stunden fort,“ jammerte Regine, „und gewinnt immer mehr Vorſprung durch dieſe Verzögerung!“

Aber ſie mußte ſich ergeben. Das war eine Nacht! endlos wie die am Pol. Regine dachte an keinen Schlaf. Sie ließ in allen ihren Zimmern Licht anzünden und wandelte darin umher, raſtlos, einſam, wie ein Geſpenſt oder eine Wahnſinnige. Bisweilen verſagten die Füße den Dienſt, dann ſank ſie zuſam— men auf dem Platz wo ſie eben ſtand, willenlos, nie— dergedrückt von körperlicher Erſchöpfung, und doch un— fähig Ruhe zu finden. Einmal, in der tiefen Nacht, ſetzte ſie ſich an's Piano und ſpielte einen raſenden Walzer von Strauß; es klang ſchauerlich; ihr graute vor den wilden Jubeltönen, die wie verkappte Ver— zweiflung klangen; ſie brach mitten im Satz ab, und die unaufgelöſte Diſſonanz ſchwirrte unheimlich durch den Saal, wie ein aufgeſcheuchter Nachtvogel.

Ein anderes Mal ſetzte ſie ſich ſterbensmüde auf den Teppich, und legte den Kopf vornüber gebogen

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auf ihre Knie, die ſie mit beiden Armen umſchlang Dabei fiel ihr reiches, ſchwarzes Haar aus einander, und rollte ſchwer über Schultern und Buſen herab. Sie erſchrack fürchterlich, wie man in nervöſer Ueber— reizung vor der lindeſten Berührung zu thun pflegt, und ſagte halblaut:

„Das ſind Schlangen, die unter meinem Hirn gewohnt haben und nun nach meinem Herzen kriechen.“ Sie ſtand auf, wickelte das Haar zuſammen, band ein Foulard darüber und murmelte:

„So, ſo, ſo! nun ſind ſie eingeſperrt und können mir nichts thun. Beſſer im Kopf, als im Buſen!“

Mit der Morgendämmerung befiel ſie ein Frö— ſteln. „Es mag ſehr kalt ſein auf dem Poſtwagen, der ihn fährt weiß Gott wohin!“ dachte ſie. Das war eine Nacht!

Kaum war es Tag, ſo ſchellte ſie. Ihre Leute mußten auf, heraus, in allen Richtungen ſich zerſtreuen, forſchen, fragen, fpähen, und wo möglich in drei Mi— nuten Antwort bringen. Die Kammerfrauen beſchwo— ren ſie zu Bett zu gehen, irgend etwas zu nehmen, ſich wenigſtens wärmer zu kleiden, denn ihre Hände und Füße waren eiskalt, weil ſie die ganze Nacht im leichten Peignoir verbracht hatte.

„Sobald ich Nachricht habe, will ich Alles thun.“ Dabei blieb Regine.

Aber es vergingen Stunden darüber, denn alle Bedienten, die ſchnell wiederkehrten, hatten nichts er—

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fahren. Endlich brachte Damian genauen Bericht: Polydor hatte ſich einen Paß über Berlin nach Rom ausfertigen laſſen und war mit dem Eilwagen abge— reift. Ueber Berlin alſo ging er zu Ilda; dann nach Italien! Dies war ein Haltpunkt. Die unerhörte Spannung ihres Weſens ließ nach, die Kraft brach zuſammen, man mußte ſie in's Bett tragen, es wäre ihr unmöglich geweſen den Fuß zu heben, die Hand zu regen ſie lag wie in Starrſucht.

Ein heftiges Fieber löſte dieſen Krampf und ret— tete ſie vielleicht vor Geiſteszerrüttung. Es verging eine Woche bevor ſie ſich erholte. Nun fing ſie wie— der an nachzudenken über den einen Gegenſtand: ſie mußte Polydor wiederſehen, wiſſen, daß er ſie noch liebe, ihm ſagen, daß ſie ihn liebe. Sie mußte ihn aufſuchen, ihm begegnen. O Gott, wie war die Welt ſo groß und weit. Aber er wollte ja nach Italien. Bei Botzen lebten ſeine Eltern, die er nicht geſehen, ſeit er vor drei Jahren Tyrol verlaſſen! gewiß beſuchte er ſie! vielleicht erſt im Herbſt aber über Botzen ging er gewiß! Dahin mußte ſie. Von dort aus konnte ſie ja an Ilda ſchreiben, an dieſe Frau, die Polydor nie anders als ſeinen Schutzengel genannt. Ilda wird helfen!

Regine erklärte ihrem Arzt, daß ſie Wien ver— laſſen und ſich nach Iſchl begeben werde. Er fand die Jahreszeit viel zu früh um ſich ſchon jetzt zwiſchen die hohen Berge von Iſchl zu wagen. So wolle ſie

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einſtweilen in Salzburg und Tyrol etwas umherreiſen, denn Veränderung der Luft und Umgebung ſei ihr durchaus nothwendig. Das fand auch er. Hoffnungs— voll trat Regine ihre Reiſe an.

Elftes Kapitel.

m ü—q6—

Zu Ildas höchſtem Erſtaunen ließ ſich Werffen am Tage vor ihrer Abreiſe mit der Bitte bei ihr mel— den ſie allein zu finden. Erwartungsvoll, und doch innerlich zerſtreut ſah ſie ihn an, als er etwas präten— tiös bei ihr eintrat. Ottos Unſichtbarkeit in dieſen letzten Tagen, vielleicht auch eine unvorſichtige Aeuße— rung des Barons, hatten ihm einen ſeltſamen Muth gegeben. a

Er debütirte mit der Bitte, Ilda möge ihm er— lauben in ihrer Geſellſchaft die Reiſe nach Florenz zu machen, weil er ſich davon den höchſten Genuß ver— ſpreche. Ilda erwiderte:

„Ich kann Ihnen nicht verbieten Sich dem Ba— ron und mir anzuſchließen, da Sie aber wiſſen in wel— cher Abſicht ich nach Italien gehe, ſo werden Sie

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mich entſchuldigen, lieber Werffen, wenn Sie in mir nicht die gehoffte angenehme Geſellſchafterin finden.“

„Ich habe auch noch eine andere Abſicht dabei.“ „Das iſt denn freilich recht gut“ ſagte ſie gleich— gültig. ö

„Es iſt die Hoffnung, daß Sie mich näher und vielleicht den Mann in mir kennen lernen wer— den, dem Sie Ihr künftiges Glück anvertrauen.“

Ilda ſtarrte ihn ſprachlos mit großen Augen an. Er fuhr fort:

„Warum denn nicht? ich habe eine aufrichtige, innige Verehrung für Sie, Gräfin, das wiſſen Sie längſt; Ihr Herz zieht mich an, Ihr Geiſt feſſelt mich, Ihr ganzes Sein erfreut mich. Ich bin ein Menſch wie Sie ihn als Freund und Stütze brauchen, ruhig, kalt, feſt geben Sie mir Hoffnung!“

„Nein, denn ich liebe Sie nicht.“

„Das weiß ich! aber die Liebe als Leidenſchaft, d. h. als übermächtiges Gefühl, wünſche ich mir nicht in der Ehe, weil es Anſprüche macht, die unmöglich erfüllt werden können. Hingegen dürfen Sie mir Ihre Achtung nicht verſagen, nicht das Vertrauen, daß ich unter allen Umſtänden Sie ſchirmen und ehren werde. Sie aber abgeſehen von Ihren großen Ga— ben, Gräfin können mit dieſer Glut Ihres innern Weſens und dieſem Glanz Ihrer Geſtalt jeden Mann beglücken.“

Ein helles Roth flammte über Ildas Wangen,

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ſie warf einen Blick voll unſäglicher Verachtung auf Werffen und ſagte kalt:

„Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, um ſo mehr, da ich ſie nicht von mir habe.“

Er ſagte traurig: „Ihre Vorurtheile machen, daß Sie ihre Beſtimmung verfehlen und außerhalb ſei es drunter oder darüber aber ſtets außerhalb der Sphäre des Weibes ſtehen.“

„Auf die Weiſe wie Sie es mir vorſchlagen, habe ich vor zehn Jahren ſchon verſucht meine Beſtimmung zu erfüllen, und ward nicht glücklich und machte nicht glücklich. Damals konnte man mit meiner Jugend und Unerfahrenheit, mit meiner Unwiſſenheit über die Verhältniſſe und mich ſelbſt, Nachſicht haben; jetzt aber kenne ich mich; was einſt nur Leichtſinn war, würde jetzt Lüge ſein ich kann nur den Mann be— glücken, den ich liebe, und was ich beglücken nenne, iſt ſein Weſen ergänzen, ſeine Sehnſucht befriedigen, ſei— ner Richtung mich anſchmiegen, ſeinem Winke folgen, ſein Leben in Noth und Tod durchleben, einen Weg haben, einen Zweck, eine Hoffnung, ein Grab. Es iſt ganz gewiß, Herr von Werffen, daß ich nie auf dieſe

Weiſe einen Mann beglücken werde, aber ich be— greife nun einmal keine andere. Endlich fügte ſie ein wenig ungeduldig hinzu kennen Sie ja längſt

meinen Widerwillen gegen die Ehe. Ich mag nicht den Champagner durch Waſſer nüchtern machen.“ „Ich bewundere Ihre gute Laune, Frau Gräfin;

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doch erlauben Sie mir Ihnen zu bemerken, daß viel— leicht in ſpätern Jahren Reue Sie heimſuchen wird, wenn Ihr Herz nicht mehr ſo heiß ſchlägt und Ihr Genius nicht mehr ſo hoch fliegt.“

„Wenn Herz und Genius matt geworden ſind, bin ich die ächte Ilda nicht mehr, und was ich als— dann bereue und bedaure, kann nur gleichgültig ſein. Doch das glauben Sie mir gewiß: nie werde ich be— reuen nach meiner Ueberzeugung gehandelt zu haben.“

„Theure Gräfin, beſinnen Sie Sich nur, ob es wirklich Ueberzeugung und keine vorüber rauſchende Leidenſchaft iſt, die Sie ſo ſprechen und handeln läßt.“

„Herr von Werffen,“ ſagte Ilda nach kurzem Beſinnen „ein Wort wird unſer Geſpräch enden: nicht nur, daß ich Sie nicht liebe ich liebe einen Andern.“

„Das weiß ich“ ſagte er ruhig.

Ilda rief in höchſter Ueberraſchung: „Wenn ich Sie begriffe, würde ich Sie vielleicht bewundern jetzt aber kann ich mich nur verwundern.“

Mit unerſchütterlicher Ruhe entgegnete Werffen: „Sie ſehen, daß eine Liebe, die kein beſtimmtes, er— reichbares Ziel hat, zum Unheil oder zum Unglück führt. Das ſollte Sie beſtimmen Sich gegen ähn— liche Fälle gleichſam zu verſchanzen in den Schranken des Familienlebens. Sie ſtehen hoch und einſam, wie jede geiſtige Größe; Sie ſind unwiderſtehlich anzie— hend für Männer d'une certaine trempe; von Liebe

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und Anbetung wird man Ihnen gern und viel ſpre— chen

Ilda ſagte halb beluſtigt, halb geärgert: „Sie irren Sich ganz und gar, Herr von Werffen; denn ich bin weder Tänzerin noch Kunſtreiterin, und impo— nire viel zu ſehr um Liebe einzuflößen.“

„So iſt es doppelt traurig für Sie, wenn Sie lieben ohne Gegenliebe! und deshalb eben mögte ich Sie ſo gern für eine Sphäre gewinnen, wo das Herz des Weibes ſein Genügen hat.“

„Ihre Güte verdient meine ganze Dankbarkeit, aber wir verſtehen einander nicht, unſere Seelen blei— ben ſich für alle Ewigkeit fremd; denn Sie meinen das Herz könne je ſein Genügen haben, und das glaube ich nicht. Ach, Werffen, das Herz iſt eine Gottheit! es liebt, es weiß, es ſieht, es verzeiht; es durchdringt die Zukunft, es tödtet, es beſeelt o es iſt viel au mächtig für unſere dürftige Erde, und jene unfägliche Melancholie, die in den ſeltenen flüchtigen Momenten unſers höchſten Glückes über das innerſte Weſen ſich ausbreitet ſagt uns das deutlich genug. Vielleicht haben nicht alle Menſchen ſolche flammende Herzen ich wünſche und glaube es und vielleicht haben die es beſſer auf der Welt; aber iſt es denn unſere Be— ſtimmung es gut und behaglich zu haben? Unſer We— ſen müſſen wir durchbringen, retten, aus Kämpfen und Stürmen, das göttliche Gepräge in uns darf nicht ab— gegriffen werden durch die Betaſtung der Welt, und

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wem von Gott das flammende Herz gegeben ward, der darf keine Aſche darauf ſtreuen.“

„Fern von mie das zu begehren! nur in einer natürlichen Richtung ſoll es flammen“ rief Werf— fen, angeregt durch Ildas Lebhaftigkeit, und wollte ihre Hand ergreifen.

Aber ſie zog die Hand zurück und entgegnete: „Das Geliebte giebt uns die Richtung für Alles andere iſt man unbeugſam.“

„Sie ſind es wirklich! und iſt es Ihr letztes Wort zu mir?“

„Ueber dieſen Gegenſtand ja.“

„So iſt es überhaupt Ihr letztes, denn ohne Hoffnung mag ich nicht in Ihrer Geſellſchaft leben dann gehe ich morgen nach Paris.“

„Mögen Sie glücklich leben.“ So trennten ſie ſich auf immer Ilda vollkommen gleichgültig; Werf— fen mehr überraſcht als betrübt. 5

Der Baron ging Abends zu Otto und fand ihn nicht. Wunderlicher Menſch! dachte er; hätte doch wol Abſchied von mir nehmen können. Er ſchrieb auf ſein Viſitenbillet ein Paar freundliche Worte, und die Nachricht, daß die Reiſe am nächſten Morgen um ſechs Uhr angetreten werde. „Wo iſt denn Herr: Otto ?7 fragte er die Leute im Haufe.

„Spazieren geritten mit mehren Herren Nach— mittags ſchon.“

„Spazieren geritten! eomme si de rien n'était!“

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Otto war der Aufforderung einiger guten Freunde gefolgt, die höchlichſt dadurch überraſcht waren. Sie hatten ſicher geglaubt, er werde den letzten Abend vor Ildas Anweſenheit in Ruhenthal zubringen, und ihn nur aus Neckerei oder Zufall eingeladen. Sie hätten ihn gern gefragt aber er imponirte ihnen ſo, daß keiner dieſe Verwegenheit hatte. Leiſe Anſpielungen überhörte er mit einem Gleichmuth, als ob ſie ihn ſo wenig wie den Kaiſer von China angehen könnten. Er war in der Unterhaltung ganz wie gewöhnlich, vielleicht etwas ironiſcher. Das geſchärfteſte Auge das der Liebe ausgenommen, wie ſich von ſelbſt ver— ſteht hätte nicht ſeinen Seelenzuſtand erſpäht.

Es war Nacht, als er heimkehrte. Die Stille, die Friſche, die Einſamkeit, weckten die heiße, den gan— zen Tag zurückgedrängte Sehnſucht, Ilda noch einmal, aus der Ferne wenigſtens, zu ſehen, ihre Stimme zu hören! er ging nach Ruhenthal. Der Portier am Gitter des Parks öffnete gern, obgleich nach zehn Uhr Abends kein Beſuch mehr erlaubt war, und verſprach auch, nach einem freundſchaftlichen Händedruck, das Gitter offen zu laſſen. Otto ging zuerſt auf den Thurm am Fluß, wo Ilda mit jener heiligen Zuverſicht, die nur eine edle Seele haben kann, geſagt hatte: „Wir lieben uns.“ Doch bald durchſtreifte er die Alleen, und ſtand vor dem Schloß. Der Salon war dunkel, einzelne Fenſter erleuchtet; es hatten ſich alſo die Be— wohner in ihre Zimmer zurückgezogen. Er ging nach

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der andern Seite, die Ilda bewohnte. Da war Licht, und die langen Glasthüren, die in den Blumengar— ten führten, ſtanden geöffnet. Große Etageren mit Blumentöpfen bedeckt, waren in dieſem Gärtchen, zwi— ſchen den Beeten und ſeltenen Geſträuchen gruppirt, und verſchatteten leicht eine Geſtalt; er konnte unbe— merkt näher treten. Ilda war in ihrem Zimmer mit einem jungen Mann alſo Polydor! Otto ſah ihn an mit einer leiſen Aufwallung von Neid und Eifer— ſucht, aber ſie verſchwand als er bemerkte, daß Ilda Polydor ſo ganz anders anſah, als ſie ihn angeſehen. Ilda wählte Zeichnungen aus einem großen Porte— feuille, und Polydor legte ſie ſorgſam in ein kleineres. Auf einmal rief er:

„Aber was iſt das für ein Kopf, der nun ſchon auf dem dritten Blatt wiederkehrt, und der Mittel— punkt der ganzen Arabeske zu ſein ſcheint? Ein Por— trät nicht wahr? denn es find Nüancen in diefer Phyſionomie, die man ſchwerlich erfindet.“

„O, nicht fragen!“ ſagte Ilda bittend; „un— terwegs werde ich Ihnen Alles erzählen.“

Polydor ſchwieg betroffen, und ſchweigend vollen— deten Beide ihr Geſchäft. Dann nahm er das kleine Portefeuille und ſagte:

„Wir wollen dieſen Bildern einen ſichern Platz beim Aufpacken geben, drum nehm' ich ſie mit. Gute Nacht, Madonna.“ f .

Ilda nickte ihm freundlich zu, und er entfernte

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ſich. Otto konnte jede Miene ſehen, jedes Wort hö— ren. Er war ihr ſo nah und ſie wußte es nicht. Giebt es denn keinen Zug der Geiſter? fragte er ſich ſchmerzlich; ahnet ſie wirklich meine Nähe nicht? Auf einmal trat er beſtürzt zurück, denn Ilda verließ das Zimmer und wandelte langſam auf dem breiten, mit Syazinthen eingefaßten Wege vor ihren Fenſtern auf und ab. Es war unmöglich, ſie konnte ihn nicht ge— ſehen haben, im Zimmer helles Licht, draußen Finſter— niß, denn die Sterne funkeln nur und leuchten nicht doch war ihm, als ob ſie zu ihm komme, und er wollte ihr unſichtbar bleiben: darum trat er betroffen zurück. Ach, ſie hatten ſich ja nichts mehr zu ſagen. Und er würde doch ſeine Seligkeit drum geben, noch einmal zu ihren Füßen liegen, noch einmal ſie in ſeine Arme ſchließen zu dürfen. Aber würde ſie es ihm noch jetzt erlauben, wie an jenem Abend? konnte er es in ihren Augen noch verdienen? Er drückte die Hand auf's Herz und ſtand regungslos, mit ſei— nem Blick auf ihr ruhend, als wolle er ſie in ſeine Seele hineinziehen. Sie ſah ganz feenhaft aus in dieſer tiefen, ſtillen Abgeſchiedenheit, von niemand be— achtet ſich wähnend, mit dieſem magiſchen, tiefſinnigen Blick, mit dieſen unbegreiflich graziöſen Bewegungen. Wenn Polydor da geweſen wäre, ſo hätte er jede Stellung nachzeichnen können, mit denen ſie ihre Ge— danken begleitete, oder eigentlich: in welche ihre Ge— danken ſie warfen. Mitunter vergaß Otto ganz, daß

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er ſie liebe, und bewunderte fie nur, wenn fie wie eine Göttin oder eine Prieſterin, das Haar aus der Stirn ſtrich, den Kopf emporhob, und zu den Sternen hin— auf ſah, ſtolz, kühn, beinah herausfordernd. Und wenn dieſer Kopf, wie vom Blitz getroffen, herabſank, und die Hände ſich ſchmerzlich auf Bruſt und Stirn legten, oder wenn ſie in banger Troſtloſigkeit ſie rang, ſo zerſchmolz ſeine Seele in Mitleid, und ihm war, als müſſe er ſie zurückreißen von dem Altar, an dem ſie geopfert werden ſollte. Aber dann ſtand ſie bis— weilen da, das Haupt nicht geknickt, nur ſanft geſenkt, weich zur Seite gewendet, lieblich und zart wie eine Perle, träumeriſch lächelnd o! fo hätte fie an je— nem unvergeßlichen Abend vor ihm geſtanden! und warum zog er ſie denn nicht an feine Bruſt? ... fie liebte ihn ja. Und dann hob ſie den Arm, und ſchlang ihn mit einem Ausdruck von endloſer Ermüdung um ihren Kopf, und der andere hing herab, als gebe es für ſie nichts mehr zu thun: ſo glich ſie einem Schwan, der zum Schlaf den Kopf unter den Flügel legt; der weite weiße Ermel verhüllte halb ihr Geſicht. O komm zu mir! rief ſeine ganze Seele; ruhe bei mir! Aber Ilda hörte ihn nicht. Endlich drückte ſie die Fingerſpitzen ihrer beiden Hände mit einer Inbrunſt an die Lippen, als ob ſie ihr tiefſtes Weſen in dem Kuß aushauchen wolle, und breitete dann ſchnell und heftig die Arme aus, damit die Nachtluft den Kuß von ihren Fingern ſtreifen und zu ſeiner Beſtimmung

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tragen möge. Otto that einen Schritt verwärts. Ilda fuhr zuſammen, lauſchte, blickte erwartungsvoll in das Dunkel hinein Alles ſtill! wehmüthig ſchüttelte ſie den Kopf und trat in ihr Zimmer zurück, die Glas— thür hinter ſich ſchließend. Es ſchlug zwölf Uhr und ſie ging in ein Nebenzimmer, deſſen geſchloſſene Jalou— ſien ihm nicht erlaubten hinein zu blicken; aber es war Licht darin. Otto wartete mit brennender Ungeduld auf ihre Rückkehr, denn ſie mußte wiederkommen die Lampen brannten noch auf ihrem Arbeitstiſch. Er wußte ſelbſt nicht, was er wünſchte und wollte viel— leicht den Kuß ihr wiedergeben! auf jeden Fall ſie ſe— hen zum allerletzten Mal! Statt ihrer erſchien nach einer Weile ihre Kammerfrau, ordnete die um— herliegenden Sachen, verſchloß einige, löſchte dann die Lampen und verließ das verfinſterte Zimmer. Es iſt vorbei! ich ſehe ſie nicht wieder! ſeufzte Otto. Doch ent— ſchloſſen ſetzte er hinzu: Ich will aber! Der matte Schein hinter den grünen Jalouſien verrieth eine Nacht— lampe. Er dachte: Ich werde warten bis ſie ſchläft, und dann noch einmal ſie ſehen! es iſt Raſerei, glaub' ich aber damit kann man Alles wagen! Er ging auf und ab wo Ilda gegangen war, und pflückte Blu— men gedankenlos, oder um die Zeit hinzubringen. Das letzte Viertel des Mondes ſchwebte langſam und me— lancholiſch am Himmel empor, und hing als Nachts lampe der Erde zwiſchen den Baumwipfeln, die ſich un—

t ter

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ter dem ſilbernen Nachen wie dunkle Wellen hin und her bewegten. ö

Otto öffnete die Glasthür und ſtand in Ildas Zimmer. Der Teppich verhehlte jeden Schritt. Er warf ſich auf den breiten, niedrigen Divan und lauſchte. Todtenſtille herrſchte im ganzen Schloß; es war wie ausgeſtorben. Nun, dachte er, ich weiß wol, daß es Raſerei iſt aber was thut's denn! Er ſtand auf und legte die Hand an das Thürſchloß des Ne— benzimmers. Himmel, wenn ſie erwachte! ſein Arm ſank kraftlos herab und er hörte ſein Herz klo— ofen. Dann ſagte er feſt: Sie ſoll aber ſchlafen; und öffnete vorſichtig. Ilda ſchlief. Das Nachtlicht warf einen matten Perlenglanz, aber zugleich tiefe Schatten auf ihr Geſicht, das, nicht durch die Augen gelichtet und erheitert, unſäglich traurig war, der Mund ſo melancholiſch, und vollends die breiten, langbewim— perten Augenlieder! Im Schlaf trägt das Geſicht das Gepräge der gewöhnlichen Seelenſtimmung. O mein Engel, dachte Otto bittend, wenn Du mich anlächeln könnteſt! Und ſelbſt im Traum ſeinem Wunſch folgend, glitt über ihre Züge ein zauberhaftes Lächeln, wie der Silberblick über das zerſchmelzende Metall. Sein Herz drohte zu brechen in Wonne und Weh— muth. -Unhörbaren Schritts nahte er ſich und blieb am Fußende des Bettes ſtehen, ernſt, ſchwermüthig, ſchön wie ein Genius, der den Schlummer der ge— liebten ſtillen Geſtalt bewacht. Ihre Hände lagen

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auf der Decke, rein, weich und forglos, wie weiße Li— lien; wenn auch Herz und Seele die Hände we— nigſtens hatten nie mit dem harten Leben gerungen. Er bog ſich nieder und küßte loſe, leiſe die Hand. Dann blickte er im Zimmer umher Alles ſo ein— fach, ſchneeweiß, ruhig, wie die Zelle einer Nonne. Er wollte etwas mitnehmen aus dieſem Zimmer, was ſie oft berührt oder in Händen gehabt. Da ſtanden ihre kleinen ſchwarzen Schuh; auf dem Tiſch vor ihrem Bett lag ein Taſchentuch das nahm er, ihr Name war darin geſtickt. Aber, o Himmel! wenn er das könnte! warum nicht? ſie ſchlief ganz feſt. Ihr locki— ges Haar war in Zöpfen um ihren Kopf gelegt, wo— durch Stirn und Schläfen, jung und friſch wie bei einem Kinde, frei waren; aber eine Locke war nach— läſſig nicht mit aufgeflochten, hing an der Wange herab und dieſe Locke wollte er haben. Zwiſchen den kleinen Geräthſchaften auf der Toilette, griff er behend eine Scheere heraus, und ſchnitt mit ſicherer leichter Hand die Locke ab. Nun hatte er Alles! ... Nun konnte er, mußte er gehen! ... Einen Augen— blick flog ihm der Gedanke durch den Sinn: Wecke ſie auf, ſie liebt dich ja, du biſt ein Thor, daß du es nicht thuſt oder ein Wahnſinniger wenn du es thuſt! Das war der Schluß. Er drückte die geballte Hand vor die Stirn, küßte noch einmal ihre Hand, und verließ das Gemach; ohne ſich umzublicken. Die Thür zwiſchen beiden Zimmern ſchloß er nicht, um

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Geräuſch zu vermeiden. Als er die in den Garten führende Glasthür hinter ſich zudrückte, erwachte Ilda und rief, ſei es in Folge eines Traums, ſei es daß ſein Name ihr erſter Gedanke war: Otto! Otto! Aber er hörte ſie nicht und eilte davon durch die ver— ſchwiegene Nacht.

Als die Kammerfrau in der Frühe eintrat, war ſie nicht wenig überraſcht die Thür geöffnet und den Fußteppich mit zerſtreuten Blumen bedeckt zu ſehen. Das iſt ein wunderlicher Einfall vom Gärtner, dachte ſie. Ilda ſah die Blumen, vermißte die Locke, das Taſchentuch aber fie wußte nichts. Ahnen mogte ſie die Wahrheit. Um ſechs Uhr ertönten zwei lu— ſtige Poſthörner. Der Baron und Polydor fuhren in zurückgeſchlagener Kaleſche voran. Erſterer blickte nach Ottos Fenſter hinauf ohne ihn zu erſpähen, der hinter dem zugezogenen Vorhang ſtand. Ilda folgte im ans dern Wagen, aber er war verſchloſſen und ihr Schleier herabgelaſſen, damit niemand die Thränen ſehen möge, die in Strömen aus ihren Augen floſſen. So fuhr ſie unſichtbar an ihm vorüber, wie eine verhüllte Gott— heit. Und das ſollſt Du mir bleiben, Engel! ſagte er laut, als der Wagen verſchwunden war, und legte Ildas Taſchentuch auf ſeine brennenden Augen.

Ur

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Zwölftes Kapitel.

Sie reiſten durch den erwachenden Frühling dem heitern Süden zu; aber Keiner war in wirklich heite— rer Stimmung. Polydors Leidenſchaft für Regine war wol erloſchen, wie die Rakete, die feurig zum Him— mel ſteigt, und wenn ſie ihren Kulminationspunkt er— reicht hat, todt zur Erde fällt; aber es war doch, wie Ilda ihm einſt geſchrieben, eine Saite in ſeinem Her— zen geſprungen; dieſe Saite war das Bewußtſein der fürchterlichen Täuſchung über ſeine eigene und die fremde Liebe. Wenn das Lüge ſein konnte, wo werd' ich Wahrheit finden? und welch ein vernichtender Ge— danke durch die Sehnſucht nach der Wahrheit getrie— ben, vielleicht von einer Täuſchung in die andere zu fallen! Nein nichts lieben, als die Kunſt, die lügt nicht, die quält nicht, die lohnt mit himmliſchen Ent— zückungen, dem der ihr huldigt ... Aber keine Frauen mehr! So dachte Polydor.

Auf Ilda lag eine unbeſiegliche Traurigkeit. Sie war zuweilen ſehr munter, ſcherzend, geſprächig aber von einer zu gewaltſamen Lebhaftigkeit. Sie

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warf ſich in die Außenwelt, Zerſtreuung ſuchend, Be— täubung erſehnend; ſie wollte ſich unterhalten, um die unſägliche Leere in ihrem Buſen auszufüllen, und daß ihr dies mühſame Streben doch mißlang, daß ſie die ganze Kraft ihres Seins aufbieten mußte um ſie nutz— los zu verſchwenden, das drückte ſie zu Boden. „O,“ ſagte ſie zu Polydor, nachdem ſie ihm Wort gehalten und ihre Liebe ihm erzählt hatte „das Leben iſt ſo ſchön, wenn es ſchön iſt! und jetzt erſcheint es mir wie ein Galeerenſclav, an den ich durch eine Kette ge— ſchmiedet bin. Wir müſſen unſern Weg zuſammen machen, ich muß arbeiten, ringen, flehen, verzweifeln, und immer wieder arbeiten, und der Unhold an den ich gefeſſelt bin, hilft mir nicht, geht pfeifend neben mir, verſpottet mich und mein Elend durch ſeine grelle Luſtigkeit, höhnt mich, indem er ſagt: es wird beſſer werden, du gewöhnſt dich, du biſt ſtark! ... O Poly: dor, nie hab' ich geglaubt, daß das Leben ein ſolcher Unhold ſein könne.“

Der gute Baron ſah Ildas Anſtrengungen an ihrem Schmerz ſcheitern, und betrübte ſich aufrichtig, ohne doch im Stande zu ſein ihr irgend einen Troſt zu bieten, und dieſe Unzulänglichkeit ſehr gut fühlend. Seit zehn Jahren, ſeitdem er aufgehört hatte, gleich— ſam auf eigene Rechnung ſich mit Frauen zu beſchäf— tigen, hatte er ſich an Ilda attachirt, anfangs aus langer Weile, ſpäter aus Intereſſe für ihre anmuthige Perfönlichfeit, endlich aus Gewohnheit. Sie war ihm

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lieb wie ein Kind, vielleicht ſchmeichelte es auch ſeiner Eitelkeit in freundſchaftlicher Verbindung mit ihr zu ſtehen kurz, ſie war die Sonne um die er ſich als kleiner dunkler, doch treuer Mond drehte. Die Nebel und Wolken, welche feine Sonne verdüſterten, änge ſtigten ihn, weil er fürchtete, ſie werde nicht Licht ge— nug behalten, um ſie endlich doch zu durchbrechen. Und durchbrechen mußte ſie das Gewölk; das lag in ihrer Natur; das hatte ſie bewieſen nach Lord Hen— rys Tod. Er ſagte ihr das auch einmal und fügte hinzu: a

„Ein Weſen wie Sie iſt nicht von Sich Selbſt noch von Andern zu berechnen; es überraſcht immer; es wird auch jetzt wieder eine neue Wendung machen, die es noch ſchöner, noch vielfältiger darſtellt.“

Ilda entgegnete: „Ich weiß wol, daß wir Sta tuen gleichen, die der Cicerone langſam auf ihren Po— ſtamenten dreht, damit gehörig ihr ſchönes Profil und ihr ſchöner Rücken bewundert werde; aber ich bin's entſetzlich müde dieſe Wendungen zu machen, denn an der Bewunderung liegt mir nichts, und ich bemerke, daß man dabei etwas aus dem Gleichgewicht, und in ſo heftige Schwankungen geräth, daß die Welt mit— zuſchwanken ſcheint. Und ich verſichere Sie, das iſt ein unbehagliches Gefühl.“

„Sie werden ſagen wie einſt: ich will mit mei— nem Schmerz fertig werden, dann hören alle Schwankungen auf.“

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„O, ich will nichts mehr! ich will auch nicht ihn lieben, ſondern nur frei ſein, ein Lüftchen im Ae— ther, ein Tropfen im Meer! Ich denke immer an den alten Götz von Berlichingen, der ſagt: Wen Gott niederwirft, richtet ſich nicht ſelbſt wieder auf. Mich hat Gott niedergeworfen. Ich glaubte mich unver— wundbar, wie Achill; ich glaubte der Pfeil des Schmer— zes würde von mir abprallen; dieſe Zuverſicht machte mich vermeſſen und ich glaubte mich unwiderſtehlich. Das war Hochmuth und ich bin von ihm geheilt aber ich habe den Glauben an meine Kraft verloren.“

Sie kamen nach Nürnberg, von der Ilda zu Po— lydor als von ihrer Lieblingſtadt in Deutſchland ge— ſprochen, und er fand, daß ſie dieſen Vorzug verdiene. Er verlebte zwei ſelige Tage zwiſchen den Gebilden voll Kraft, Anmuth und Phantaſie, die aus den Mi— rakelhänden von Peter Viſcher und Adam Kraft her— vorgegangen und in der Lorenzkirche, die an Gra— zie ohne Gleichen zwiſchen ihren deutſchen Schweſtern iſt. Ilda begleitete ihn, verſuchte zu zeichnen, wie er verſuchte zu ſchreiben es ging nicht! ſie ſagte:

„Ich habe nicht Seele genug mir zu Gebot, um den Stein zu beleben und fo bleibt er mir eben . Stein.“

In München war es daſſelbe. Es giebt Stim— mungen, in denen die Meiſterwerke der Kunſt keinen andern Eindruck machen, als die eines Schattenſpiels an einer weißen Wand. Ueber Innſpruck und den

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Brenner, kamen fie nach dem ſchönen, warmen, von ſüdlicher Vegetation umgebenen Botzen Polydors freundlicher Vaterſtadt, einſt ſeinem kindiſchen Auge die herrlichſte der Erde. f 6

Im Gaſthof empfing fie eine junge, wünderhüb- ſche Wirthin wunderhübſch, obwol in einem Zu— ſtand, welche der Frauenſchönheit höchſt ungünſtig iſt kurz vor der Niederkunft. Kaum war Polydor aus dem Wagen geſprungen und in die Thür getre— ten, ſo rief er freudig:

„Grüß Dich Gott, Apollonie!“ und ſchüttelte herzlich ihre Hand. Die junge Frau konnte in dem vornehmen Herrn mit ſchwarzem Reiſemützchen und hellbraunen Handſchuhen, unmöglich den Knecht ihres Vaters erkennen; ſie hielt ihn für einen Reiſenden, der vielleicht ſchon öfter ihren Gaſthof beſucht, denn allerdings kam er ihr nicht ganz unbekannt vor und ſie machte ihm ihre beſte Verbeugung.

„Aber kennſt Du mich denn gar nicht mehr, Apollonie? ich bin ja der e ſagte er, 00 Hand feſthaltend.

„Jeſus Marie, der Polder!“ jauchzte Apollonie und die Freude gab ihren Wangen die früheren Far— ben zurück, „freilich erkenne ich Dich nun! aber Du bift groß und ſchön worden!“

„Und Du glücklich, wie ich ſehe.

„Ich hab' einen gar braven Mann“ ſagte ſie

zwiſchen Verlegenheit und Stolz ſchwankend.

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Ildas Wagen fuhr vor. Polydor ging ihr ent— gegen und ſagte: ö

„Hier bring' ich Ihnen Apollonie, meine erſte Liebe! aber geſtehen Sie, daß ich kein ſonderliches Glück mit meiner Liebſten habe; es iſt höchſt verdrieß— lich, ſie gerade dann wiederzufinden, wenn ſie in Wo— chen kommen ſoll.“

„Ich lobe die Apollonie drum,“ entgegnete Ilda lachend; „ſo machen es verſtändige Leute.“ ü

Aber Apollonie hatte ſich ſchon bei dem Baron entſchuldigt, daß die Herrſchaften nicht ſehr bequem logirt ſein würden, weil ihr Haus bereits Gäſte habe und wiederholte jetzt auch vor Ilda ihre Entſchul— digung. i „Im Nothfall wohne ich bei meinen Eltern,“ ſagte Polydor, „und werde gleich hinausgehen, um mir ein Plätzchen auszubitten.“

„Nun, die werden eine Freude haben!“ rief Apol— lonie; aber wohnen kannſt Du doch nicht mehr bei ihnen. Ich will ſchon ein Kämmerlein für Dich her— richten.“ 7 Polydor eilte zu ſeinen Eltern; der Baron ließ ſich Kaffee geben und bereitete ſich an Ildas Mutter zu ſchreiben; Ilda wollte ſpazieren und in der Stadt umher gehen. Es war ein lieblicher Abend.

Linde Luft thut einem traurigen Herzen ſo innig wol. Wenn das Schickſal es hart angefaßt und blu— tig gedrückt hat, ſo iſt die linde Luft wie ein Gruß,

*

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durch welchen die Natur ihm ſagen läßt: „Ich bin dir gut, du liebes Kind meiner Elemente! verwirf nur nicht die Verwandtſchaft mit mir, denn ſiehe, wenn dein Vater dir ernſt und ſtreng iſt und dich durch eine ſchwere Schule gehen läßt, ſo bin ich ja da wie eine treue Mutter, der ins Auge zu ſehen Troſt und Er— quickung iſt.“ Darum lieben alle Menſchen, die viel gelitten haben, die Natur ſo ſehr, weil ſie ihnen gütig iſt wie eine Mutter, die des Vaters Strenge minder fühlbar machen mögte. Sie haben eine Sehn— ſucht, einen Drang zu ihr, der Manchen unbegreiflich, Andern übertrieben oder lächerlich erſcheint; aber was wiſſen ſie denn von den Liebesſchätzen, mit denen eine Mutter ihr leidendes, troſtbedürftiges Kind überſchüttet? Ilda ging an einer Kirche vorbei, durch deren geöffnete Thür ein heißer Strahl der Abendſonne auf ein Madonnenbild mit herrlichen Blumen geſchmückt, wie eine Vergoldung fiel. Sie betrat die Kirche und fand ſie leer; nur eine Beterin lag knieend vor dem Altar dieſes Bildes, den Rücken Ilda zugekehrt, in der Stellung der höchſten Andacht. Und doch war in der prächtigen Geſtalt, mit den ſchönen, nicht ſehr verhüllten, Schultern, und mit der ungewöhnlichen Zierlichkeit des Anzugs, etwas ſo Weltliches, daß Ilda unwillkürlich dachte: „Dieſe Magdalene wird große Sünden zu büßen haben.“ Ilda ſetzte ſich auf den Stufen des Chors nie— der, urſprünglich in der Abſicht, das Antlitz der ſchlan—

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ken Beterin zu ſehen; da es aber vor einem blaßro— then Hut ganz verſteckt war, ſo vergaß ſie ihre Ab— ſicht, und die Gedanken nahmen ihren gewohnten Lauf— Das Kirchlein voll Weihrauchduft und Sonnengold war wie ein einziger Altar. Es wurde auf einen Au— genblick Sabbat in ihrer Seele; da zeichnete ſie in ein kleines Buch die Worte:

Es ſteht in der Bibel geſchrieben Ein ernſtes, gewichtiges Wort: Den bitterſten Feind ſollſt du lieben, Dies heiſcht des Geſetzes Spruch dort.

Ich bin bis zum Tode betrübet Und hing dem Gebot treu doch an Er, den ich am meiſten geliebet,

Er hat mir am weh'ſten gethan.

Sie hatte ihren Hut abgenommen. Nun ſchloß ſie die Augen und legte den Kopf zurück an das Git— ter, welches den Chor vom Schiff der Kirche trennt. „O,“ dachte ſie, „iſt denn für mich lieben und klagen, beten und dichten nur Eins?“

Plötzlich ſagte eine ſanfte Stimme: „Gräfin Schön— holm?“ Ilda ſchlug die Augen auf, und ſah die Be— terin vor ſich ſtehen. Sie war daran gewöhnt, ge— kannt zu ſein, ohne zu kennen, und deshalb nicht durch die Anrede, wol aber durch die Schönheit der Neden: den überraſcht. Dieſe fuhr fort:

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„Ich habe Sie an der Aehnlichkeit mit Ihrer kleinen Büſte erkannt, und an dem beſchriebenen Blätt— chen, und an dem Klopfen meines Herzens, als ich Sie ſah, nachdem ich um Rettung mich müde gebetet. Nicht wahr, Sie ſind Ilda Schönholm, Polydors Schutzengel?“

„O,“ rief Ilda mit lebhafter Bewegung, „gön— nen Sie doch dem armen Polydor Frieden jetzt kenne ich Sie, ohne daß Sie mir Ihren Namen zu nennen brauchten! Aber ich beſchwöre Sie, laſſen Sie ihn gehen, ziehen Sie ihn nicht in die Feſſeln zurück, die er gebrochen, weil ſie ihn wund drückten. Ver— ſuchen Sie es nicht! er glaubt ſich geheilt, vielleicht iſt er's auch aber Sie dürfen, Sie ſollen keinen neuen Verſuch mit ihm anſtellen.“

„Ach,“ ſagte Regine, ihr Geſicht mit beiden Hän— den verdeckend, „ich liebe Polydor.“

Ilda ſah ſie mitleidig an und erwiderte ſanft: „Das glaub' ich nicht.“

„Sie haben ein Recht daran zu zweifeln aber ich liebe ihn doch. Seit ich ihn nicht mehr ſehe, ſeit er mit ſeiner unbegreiflichen Liebe und ſeinem uner— ſchütterlichen Glauben mich nicht mehr verſoͤhnt mit der Kälte und Falſchheit der Welt, ſeit die Furcht auf mir laſtet nein die Todesangſt, daß dieſer gold— reine Menſch nichts in mir ſieht, als ein erbärmliches, gefallſüchtiges Weib o ſeitdem lieb' ich ihn doch.“ Sie

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ſank in Thränen ausbrechend auf - Stufen nieder. Ilda fragte:

„Iſt es denn aber möglich einen ere Men⸗ ſchen zu quälen?“

„O ja,“ rief Regine, immer heftiger weinend, denn gequält hab' ich ihn, aber ich liebe ihn doch.“

„Und was wollen Sie denn jetzt von ihm mit ihm?“ 00

„Von ihm? mit ihm? nichts! ... ich will ihn.“

„Das wird Polydor entſcheiden!“ ſagte Ilda kalt, ſtand auf und wollte die Kirche verlaſſen. Aber Regine hielt ſie am Kleide feſt und rief heftig:

„Ich laſſe Sie nicht gehen, denn Sie wollen Sich ſtellen zwiſchen ihn und mich, Sie wollen uns trennen! O Gräfin, ſeien Sie barmherzig und laſſen Sie ihn mir! . .. O wenn Sie wüßten, was ich ge— litten, ſeit ich ihn nicht mehr ſehe welch ein Fie— ber das Leben geworden gewiß, gewiß, Sie wür— den ihn mir nicht rauben.“

„Sie irren,“ entgegnete Ilda kalt, „nicht ich Sie Selbſt haben Sich Polydors beraubt.“

„Und giebt es denn kein Mittel ihn wieder zu gewinnen?“

„Wenn Sie ihn wirklich lieben, ſo ede Sie vielleicht Mittel finden. Ich weiß keine, mir fehlt die Uebung.“

„Sie haſſen mich,“ jammerte Nine und ließ

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Ildas Kleid los was hab' ich Ihnen denn gethan, daß Sie mich haſſen?“

„Ich bin zum lieben geſchaffen, nicht zum haſſen,“ erwiderte Ilda ſanft und trübe; aber ich kann nicht wünſchen, daß Polydor wieder eine Verbindung ein— gehe, die bisjetzt ſo feindlich auf ihn gewirkt hat, und darum beſchwöre ich Sie gönnen Sie ihm Frieden!“

„Wo iſt er?“ rief Regine, raſch ſich erhebend.

„Bei feinen Eltern armen Landleuten ...“

„Ich weiß! ich weiß! ich war draußen bei ihnen, ich habe ihnen geſagt, ſie ſollten mich wiſſen laſſen, wenn ihr Sohn käme, denn ich müßte ihn ſprechen. Seit acht Tagen bin ich hier und warte, aber ich hätte gewartet bis zum Herbſt, bis zum Tode, bis zur Ewigkeit. Wiſſen Sie was warten heißt?“ | Ilda fagte mit gebrochener Stimme: „Ich warte nicht mehr oder doch! ſetzte ſie nach einer Pauſe hinzu und ſah mit einem unbeſchreiblichen Ausdruck gen Himmel ich warte bis zur Ewigkeit.“

Da ſchlang Regine beide Arme um Ildas Nacken und bat mit ſanften Thränen: „O, Vergebung! Ver— gebung! ich ſehe nun, daß Sie nicht zwiſchen mir und ihm ſtehen.“

Sie verließen die Kirche Hand in Hand. Regine fragte:

„Ob er wol ſchon von den Eltern heimgekehrt iſt? Wann wollte er wiederkommen? Hat er nichts geſagt? Aber er wird doch heute Abend noch wieder—

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kommen, damit ich endlich, endlich einmal ſchlafen könne, denn ich finde keine Ruhe bis ich ihn geſehen. Nicht wahr, er kommt bald?“

„Ich weiß nicht“ ſagte Ilda zerſtreut. Re— ginens Aufgeregtheit ermüdete ſie, denn es war mehr nervöſe Unruh darin, als mächtige Bewegung der tie— fen Leidenschaft. b

Sie nahten dem Hauſe. Ahpollonie ſtand in der Thür. Ilda ſagte, um Reginens Aufmerkſamkeit an— derweitig zu beſchäftigen:

„Sehen Sie, die hübſche kleine Frau iſt Poly— dors erſte Liebe.“

Regine drückte die Hände vor die Augen und rief: „O das thut weh! fo hat er mir doch nicht die Wahrheit geſagt, wenn er mir ſo ehrlich verſicherte, ich ſei ſeine erſte Liebe!“

„Beruhigen Sie Sich! dieſe zog nur wie ein roſenrothes Wölkchen an dem Frühhimmel ſeiner Ju— gend dahin. Mit einem Kuß war ſie beendet.“

„Mit einem Kuß? So hatte ich wol Recht ihm einen Kuß zu verweigern! ... Doch jetzt ſcheint mir ein Kuß müſſe ſie ins Leben rufen.“

Apollonie war verſchwunden, als ſie die beiden Damen kommen ſah, und hatte den Baron von Il— das Ankunft benachrichtigt. Er kam ihr an der Treppe mit einem ganz verſtörten Geſicht entgegen nnd ſagte ohne Weiteres: „Ondine iſt hier.“

Ilda rief: „Wo? wo?“ und flog die Treppe hinan.

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„Um Gottes Willen!“ flehte der Baron athem— los ihr nachkeuchend, „erſchrecken, ar nur die Arme nicht und nicht Sich ſelbſt, ſie iſt. f

„Was?“ fragte Ilda mit leiſem Chnute ftill- ſtehend.

„Krank im Gemüth verwirrt.

„Wahnſinnig! allmächtiger Gott!“ ie Ilda, tod; tenbleich gegen die Wand finfend.

„Nein, nicht gerade wahnſinnig,“ entgegnete der Baron, ſie bei der Hand in ihr Zimmer führend; „aber geiſtig zerbrochen, gemüthskrank. Der Kammerdiener der Gräfin Ondine, den Sie wieder mitgenommen ha— ben, erkannte einen kleinen italieniſchen Gärtnerbur— ſchen, den Ondine als Bedienter bei ſich hat, und ſo kamen wir denn ſchnell genug zur Kenntniß ihres de— plorablen Zuſtandes. Sie bewohnt die Zimmer im Hof. Ich war ſchon da. Der Ludwig führte mich zu Demi K RER das mich innig gerührt hat.

117 7 5 Sie, lieber Baron, bringen Sie mich zu ihr! o meine Ondine!“ ſagte Ilda erſchöpft. Sie ſtand auf; aber ſie zitterte an allen Gliedern und ihre Lippen bebten krampfhaft. Der Baron ſah ſie bekümmert an und ſprach:

„Sie ſind ſo angegriffen, warten Sie noch ein wenig.“

„Nein, wenn ich ſie ſehe, wird mir beſſer ſein.“

Sie gingen. Der Baron klopfte leiſe. Ludwig

öffnete.

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öffnete. Ilda erblidend ſtürzten ihm die Thränen aus den Augen und er zeigte nach dem zweiten Zimmer. Sie drückte die Hände gefaltet auf die Bruſt und trat gefaßt ein. Ondine ſaß in einem Lehnſtuhl am Fen— ſter, wachsgelb, mit ſcharfen, eingeſunkenen Zügen, und dem unheimlich zerſtreuten Blick der Geiſteskranken; neben ihr Hedwig, die mühſam ihre Thränen verhielt.

„Ilda!“ ſagte Ondine tonlos und ſchauerlich ruhig, „da biſt Du ja; ich hab' es immer der Hed— wig geſagt, daß wir uns hier treffen würden Wann kommt Askanio?“ Sie hatte ihre welke, magere Hand nach Ildas Hand ausgeſtreckt, ergriff ſie, drückte ſie an ihre Lippen und ſprach mit Blick und Ton aus früherer Zeit:

„Meine liebe, vielgetreue Ilda verläßt mich nicht.“

Ilda war vor ihr auf die Knie geſunken, verbarg das Geſicht in ihrem Schooß und ſchluchzte konvulſi— viſch. Da ſagte Ondine verdrießlich:

„Ich mag nicht, daß man weint; ich bin des Weinens ganz überdrüßig und recht luſtig! und wenn Askanio erſt kommt . ..“ Sie ſah zum Fen— ſter und zum Himmel hinauf und lächelte geheimniß— voll, unbeſtimmt, ſchauerlich; denn nur die Nerven, nicht die Seele bewegten ihre Züge. Die Seele ſchien verbraucht zu ſein. Ohne irgend ein Zeichen von Theil— nahme oder Freude ſaß ſie da und murmelte dann und wann: „Wenn Askanio gekommen iſt, will ich ...“ oder: „Askanio wird bald kommen, und dann...“

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Es ſtörte fie gar nicht, daß Hedwig zu Ilda ſagte:

„Gewiß war die fürchterliche Unruh, mit der ſie darauf drang Ihnen entgegen zu reiſen, gnädige Gräfin, ſchon Krankheit; aber, lieber Himmel! wie konnte ich unerfahrnes Mädchen das ahnen! Sie führte wol Re— den, die ich nicht verſtand aber das war mir ſchon den ganzen Winter hindurch paſſirt. So reiſten wir denn in Gottes Namen ab, und nahmen den Carlo mit, als Bedienten, ein guter, williger Burſche! So wie wir in dem Wagen ſaßen, verftel die Gräfin in ihren gegenwärtigen Zuſtand, ſie war nämlich ganz ſtill und ſprach in drei oder vier Tagen kein Wort. Natürlich wagte ich nicht ſie durch Fragen zu ſtören, ich gönnte ihr die Ruhe. Aber als ſie endlich anfing zu reden, und ſtets von Ihnen, gnädige Gräfin, und vom ſeligen Grafen doch ſo zerſtreut, und verwirrt ach, da erkannte ich wol unſer Elend, und Gott weiß, wie ich mich geängſtigt habe! Ich nahm mir auch gleich die Freiheit Ihnen zu ſchreiben, um mir Ihre Befehle zu erbitten, allein der Brief kann lange noch nicht in Ruhenthal ſein. In Innſpruck wollte ich Ihre Ankunft abwarten, denn man hatte mir geſagt, das ſei die nächſte Straße aus Norddeutſchland nach Italien und ich wußte wol, daß gnädige Gräfin die nächſte wählen würden.

Doch als wir vorgeſtern hier anlangten, erklärte die Gräfin ſehr beſtimmt, hier wolle ſie bleiben, und

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keine Bitten noch Vorſtellungen konnten ſie bewegen ihren Entſchluß zu ändern. Die Wirthin hier im Gaſt— hof, die wirklich engelsgut iſt, hat Alles gethan, um es uns ſo bequem wie möglich zu machen, auch einen Arzt herbeirufen laſſen doch der verſchrieb calmi— rende Pulver, und damit iſt nicht geholfen.“

„Nein, gute Hedwig, damit iſt nicht geholfen! ich werde jetzt an den Comer-See gehen und meine arme Couſine mit mir nehmen. Da iſt reine Luft, ſchöne Gegend, ärztliche Hülfe, Stille, vielleicht wirkt das günſtig. Wo nicht, ſo gehe ich mit ihr nach Flo— renz oder Rom zu berühmten Aerzten.“

In ſolchen Geſprächen verging die Zeit. Da kam der Baron, wieder ganz verſtört, ins Zimmer und ſagte zu Ilda:

„Es iſt ein Frauenzimmer da, eine Dame, was weiß ich! die mit der größten Heftigkeit Sie zu ſpre— chen verlangt. Ihre Leute haben ſie zu mir geführt, weil ſie nicht im Stande waren ſie zu beruhigen. Doch ich konnte mich nicht mit ihr verſtändigen, und ich weiß noch nicht, ob ſie eigentlich Sie oder Poly— dor zu ſehen wünſcht. Dies Botzen iſt ein unruhiger Ort.“

Ilda küßte Ondine auf die Stirn und verließ

fie ſeufzend. An der Thür ihres Gemachs flog Ne:

gine ihr entgegen und rief: „Es wird Nacht und Polydor kommt nicht! Er— barmen Sie Sich und laſſen Sie ihn rufen! 18 *

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„Es wird das Beſte fein, erwiderte Ilda, und ſie ſchrieb ihm haſtig:

„Durch Ihre Eltern werden Sie wiſſen oder ah— „nen, daß Gräfin Regine Sie hier erwartet, und „ganz entſchloſſen iſt ſich mit Ihnen zu verſtändi— „gen; verſchieben Sie alſo nicht die unabwendbare, „peinliche Szene, und kommen Sie gleich, denn ſie „iſt wie auf der Folter, aber wunderbar ſchön.“

„Mein Bedienter ſoll das Billet hinbringen,“ ſagte Regine, er kennt den Weg, er kennt Polydor. Eine halbe Stunde werde ich wol noch warten müſſen die Kraft habe ich, mehr nicht ... wenn er kommt ſchicken Sie ihn gleich zu mir nicht wahr?“

Ilda gab ihr die Verſicherung. Regine ging mit dem Billet. Fünf Minuten ſpäter trat Polydor in Ildas Gemach, und ſagte:

„Regine iſt hier; meine Eltern haben ſie mir beſchrieben, den Namen wußten ſie zwar nicht aber nur ſie kann es ſein.“

„Freilich harrt ſie Ihrer und hat Ihnen ſo eben Botſchaft geſchickt.“

„Da will ich gleich zu ihr gehen.“

„Sind Sie feſt, mein armer Polydor?“

„Feſt und ruhig.“

„So gehen Sie und Gott mit Ihnen.“

Regine lag in ihrer gewöhnlichen Stellung auf dem Sopha, als der Bediente Polydor bei ihr ein— führte. Doch kaum war die Thür hinter ihm ge—

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ſchloſſen, als ſie vom Sopha herab und auf ihre Knie glitt, und die Arme zu ihm erhebend, flehend ſagte:

„Polydor, können Sie mir vergeben?

„Demüthigen Sie mich nicht, gnädige Gräfin“ ſprach er ſanft, hob ſie auf und ließ ſie auf dem Sopha nieder.

„Ach,“ ſagte ſie weinend, „da Sie fo ruhig zu mir reden, ſehe ich, daß Sie mich nicht mehr lieben.“

Er ſchwieg.

„Haben Sie denn weder ein tröſtendes noch ein freundliches Wort für mich, Polydor, und ſehen doch, wie ich Ihretwegen leide?“

„Hatten Sie einſt ein tröſtendes Wort für mich?“ fragte er hart.

„Nein! aber daß ich es nicht hatte, macht mich ja elend.“

„O Gräfin, was kann ich Ihnen ſagen? jedes Wort, mein Anblick ſogar, muß Ihnen weh thun!“

„So iſt die Liebe ganz todt in Ihrem Herzen dieſe Liebe, die einſt nur mein kindiſcher Triumph war, und jetzt mein Stolz wie meine Seligkeit ſein würde?“

Polydor ſtand wie damals vor ihr, hochaufgerich— tet, blaß und bewegt aber ohne Zorn, und ſo ſagte er auch:

„Der Glaube iſt todt! und was iſt Liebe ohne Glauben? Sie haben mit mir geſpielt, mich gequält, mich tödtlich verwundet, das vergebe ich Ihnen gern

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doch vergeſſen kann ich es nicht, kann kein Vertrauen zu der Frau faſſen, die mich mit kalter Verachtung von ſich wies, nachdem ſie mich mit ſüßer Liebesvor— ſpiegelung angezogen. Und wenn Sie mir auch jetzt tauſend Zeichen und Beweiſe der Liebe geben ich könnte Ihnen doch nicht mehr glauben, würde jetzt unter Ihren Schwüren und Küſſen mir ſagen: ſie liebt dich nicht ſie ſpielt nur mit dir. Ich muß an das Weib glauben können, das ich lieben ſoll. Mag ſie irren, mag ſie fehlen, mag ſie mir weh thun ich werde nicht bloß vergeben, ſondern auch ver— geſſen; doch reines Herzens muß fie fein, ohne Falſch— heit, ohne Lüge.“ 5

„Sie ſprechen mein Todesurtheil“ ſprach Ne: gine dumpf.

„Nein, Sie ſind ſo jung und ſchön, daß das Le— ben noch in ſeiner ganzen Herrlichkeit vor Ihnen liegt, wenn Sie nur dieſe Herrlichkeit erkennen, und nicht Flittergold und Puppenſpiele dafür anſehen wollen. Sie können noch ſehr glücklich werden, ſobald Sie Sich entſchließen glücklich zu machen.“

Sie ſah ihn an mit einem ihrer faseinirenden Blicke, der vor vier Wochen ihn zu ihren Füßen hin— abgezogen haben würde. Doch heute glitt er an ſei— nem Buſen ab, wie der Blitz an Marmor. Sie ver— hüllte das Geſicht und winkte ihm mit der Hand ſie zu verlaſſen. Da ſagte er bewegt:

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„Gott ſegne Sie“ und ging. Als er an der Thür war, rief ſie:

„Polydor!“ Er blieb deen Sie flog durch das Zimmer, warf den Arm um ſeinen Hals, drückte ihn heftig an ihre Bruſt, und noch heftiger einen Kuß auf ſeine Lippen, und drängte ihn aus der Thür.

Nachts um zwei Uhr verließ Regine Botzen.

„Ward Ihnen der Abſchied ſchwer?“ fragte Ilda am nächſten Morgen Polydor.

„Nein! Die Liebe iſt todt.“

„Aber ihr?“

„Sie war anfangs ſehr niedergeſchlagen, dann ſehr heftig, aber ſie wird ſich faſſen und tröſten.“

„Wie ſie mir erzählte, hat ſie wirklich nach Ih— rem Verſchwinden Unglaubliches gethan und gelitten.“

„Die Ueberraſchung war groß, das böſe Gewiſſen quälte ſie, die Unruh, was aus mir geworden ſei, die Unwiſſenheit, welch Ende die ganze Sache nehmen würde kurz, die Neuheit der Situation brachte ſie aus der Faſſung. Nun, da Alles und auf immer ab— gethan iſt, wird ſie ſehr ſchnell ihre frühere Haltung gewinnen.“

„Ich glaube auch nicht, daß ſie von dem Stoff iſt, aus dem man die großen Leidenſchaften macht. Schmerzliche Aufwallungen mag ſie haben, aber kei— nen unvergänglichen Schmerz.“

„Jeder Schmerz iſt vergänglich, denn wir ſind

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glücksbedürftig, und ein Sternchen Glück macht eine ganze Schmerzensnacht hell.“

„Das iſt brav! ſo muß man denken bei einund— zwanzig Jahren.“

„Wir ſind ſchon wieder bei unſerer alten Ge— wohnheit des Disputirens, denn ich behaupte, daß man ſtets ſo denken, und nie ſich einbilden muß, mit Schmerz oder Freude die Rechnung abgeſchloſſen zu haben.“

„Lieber, die Stelle welche vom Blitz getroffen war, blieb den Alten heilig, ſie überbauten ſie nie, ein Gott hatte ſie berührt. So mein' ich ſolle auch der Menſch das Plätzchen heilig achten, das in ſeiner Seele vom Blitz verſengt ward. Auf andern Stellen mögen Blumen erblühen und Altäre ſtehen auf dieſer nicht. Es können allerlei Freuden und Schmerzen kommen, aber die eine, beſeligende aber der eine, vernichtende die kommen nicht wieder, nnd es iſt gut ſich darüber keine Illuſionen zu machen.“

„Die Reſignation ſteht Ihnen ſeltſam, Gräfin.“

„O, ich bin nicht reſignirt, gar nicht, guter Po— lydor! ich mag ja nicht meinen Schmerz tragen, ſon— dern ich mögte zu ihm ſprechen: Du ſollſt meine Wonne ſein und mein Triumph! und vielleicht gelingt es mir. Wenn ich nur erſt ſo viel Kraft gewonnen habe, um unter den ewigen Freiheitsbaum der Poeſie mich zu flüchten dann, Polydor, iſt es mir gelungen.“

Der Baron endete nach drei Tagen des Aufent— halts in Botzen ſeinen Brief an Ildas Mutter:

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„Und ſo reiſen wir denn morgen früh mit der „armen Kranken an den Comer-See, wo Ihre „Tochter eine Villa zu bewohnen denkt, die ſie „auch im vorigen Sommer bewohnt hat. Polydor „wird nicht lange dort verweilen, ſondern nach Rom „gehen zu ſeiner Kunſt. Ilda hat großes Verlan— „gen nach Stille und Einſamkeit; gar keins nach „der Geſellſchaft. Ach, theure Gräfin, die Welt „iſt langweilig, kalt und ſchwerfällig, zuweilen grau— „ſam, wie ein Maſchinen-Räderwerk. Die lieb— „lichſten Erſcheinungen gehen darin zu Grunde. „Ondine zerbricht; Ilda flieht. Ich bin ganz trüb— „ſinnig, und die Erde iſt doch ſo ſchön!“

Seitdem ſind zwei Jahre vergangen. Polydor ſchreitet fort auf ſeiner glänzenden Laufbahn, und die Kunſt iſt ſeine Geliebte. Ilda lebt in Italien und der Schweiz, bewundert, gefeiert, ſorgſam den Pur— purmantel über ihrem Herzen zuſammenhaltend. On— dine ſchlummert an der Pyramide des Ceſtius. Re— gine ſteht im Begriff eine glänzende Vermählung aus herzlicher, gegenſeitiger Neigung zu ſchließen. Und Otto? Otto macht ſicher und ruhig ſeinen Weg durch die Welt; der Mann, der ſich ſelbſt beherrſchen kann, iſt geſchaffen um ſie zu beherrſchen.

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Verzeichniß der Druckfehler.

Seite 74. Zeile 1. lies; 96

109. 19. 115. 25. 122. 26. 130. 21.

141. 27.

189. 1. 191. 12. Me S8. er

ecraſtren ſtatt evaſiren. denn, ſtatt dann.

u bonnes fortunes, ſtatt 4 bonne fortune.

komme, ſtatt kommen. pur, ſtatt par.

heute, ſtatt heulte. Samovar, ſtatt Samovor. kleines, ſtatt keines. Caeſonia, ſtatt Caſonia. Teint, ſtatt Taint.

Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn in Berlin.

Im Verlage von Dunker und Humblot iſt erſchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Alexis, Willibald (Dr. W. Häring) geſammelte Novellen.

Bd. N 8. 1830. 1831. Thlr. neue Novellen. Bd. I. II. 8. 1836. 33 Thlr. die Geächteten. Novelle. (Steht nicht in den „ge⸗

ſammelten Novellen“). 13 Thlr.

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Göthe und Zelter, Briefwechſel in den Jahren 1796 bis 1832. Herausgegeben v. Dr. F. W. Riemer. 6 Thle. 12 Thlr.

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ler der Pyrenäen. 15 Thlr. Meißner, A. G., das Leben des Julius Cäſar, fortgeſetzt von J. Ch. L. Haken. 4 Bde. 6 Thlr. Memoiren des Grafen Alexander von T— (Tilly). 3 Bde. 6 Thlr.

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Müchler, K., Anekdoten-Almanach für die Jahre 1810. 1811. 1812. 1813. 1815. 1817 bis 1834. 23 Jahr⸗ gänge und Regiſter. 313 Thlr.

Müller, Wilh., Rom, Römer und Römerinnen. Eine Sammlung vertrauter Briefe aus Rom und Albano. 2 Bände. 23 Thlr.

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Rumohr, K. F. v., Deutſche Denkwürdigkeiten. 4 Theile. 4, Thlr.

Die Schleichhändler, Novelle von J. v. G. 15 Thlr.

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Voß, Jul. v., Traveſtieen und Burlesken. 5 Thlr. Woltmann, Karoline b., Die Bildhauer. Nee

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Wunderſage, die, von Alrov. Vom Verfaſſer des Vivian Grey. Ueberſetzt von Th. Hell. 2 Bde. 3 Thlr.

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